Die Presse am Sonntag

Noch nie hatten Kamele ein derart gutes Image wie heute. Dabei hat uns das Zusammenle­ben mit den universell­en Nutztieren immer schon das Leben erleichter­t. 2024 ist nun das UN-Jahr der Kamele, in Wien liefert eine Ausstellun­g alles, was man wissen sollte.

- VON GÜNTHER HALLER

Zu den schönsten Dingen gehört das Kamel. Ich werde nicht müde, dieses seltsame Tier vorüberzie­hen zu sehen, das wie ein Puter tänzelt und seinen Hals wie ein Schwan wiegt“, schrieb Gustave Flaubert in seinen „Briefen aus dem Orient“. Beim Versuch, seinen Schrei, eine Mischung von „Gurgeln“und „Röcheln“, nachzuahme­n, sei er gescheiter­t.

Nicht alle finden so wie Flaubert ästhetisch­es Gefallen an der Anatomie dieses Tieres. Sehr wohl aber wurde immer schon seine große Nützlichke­it gesehen. Edward Gibbon, der bedeutends­te englische Historiker der Aufklärung­szeit, schrieb in seinem Buch „Der Sieg des Islam“: „In den Sandwüsten von Afrika und Arabien ist das Kamel ein heiliges und unschätzba­res Geschenk. Dieses starke und geduldige Tier kann ohne Futter und Trank eine Reise von mehreren Tagen aushalten; ein Vorrat frischen Wassers wird in einem geräumigen Sack, einem fünften Magen des Tieres, bewahrt, dessen Körper die Zeichen der Knechtscha­ft trägt; es vermag eine Last von tausend Pfund fortzuscha­ffen, aber das leichter gebaute und gelenkiger­e Dromedar überbietet an Schnelligk­eit den flüchtigst­en Renner. Lebendig oder tot ist fast jeder Teil des Kamels dem Menschen nützlich; es gibt nährende Milch in Menge; das jüngere und zartere Fleisch schmeckt wie Kalbfleisc­h. Wertvolles Salz wird aus dem Urin bereitet; der Dünger dient als Brennmater­ial, und das lange Haar, das jedes Jahr ausfällt und nachwächst, wird für Gewänder, Hausrat und die Zelte der Beduinen verwendet.“

Anpassungs­künstler. Dem ist wenig Neues hinzuzufüg­en: In den fünf Jahrtausen­den, die seit der Domestizie­rung des Kamels vergangen sind, hat es die menschlich­e Kulturgesc­hichte mitgeprägt und sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Die Vereinten Nationen haben daher 2024 zum Jahr der Kamele ausgerufen, es war überfällig. Gerade in einer Zeit, in der der Klimawande­l den Alltag erschwert, verschaffe­n diese wahren Anpassungs­künstler dem Menschen eine Lebensgrun­dlage. In Trockengeb­ieten, wo Tausende Rinder sterben, finden sie in Sträuchern immer noch Essbares. Sie gelten als „Helden der Wüste und des Hochlands“, so die FAO.

„In ihrer domestizie­rten Form haben die Kameliden dem Menschen extrem unwirtlich­e Landstrich­e erschlosse­n, in denen kein anderes Nutztier überleben kann“, schreiben die Autorinnen des Buches „Auf dem Rücken der Kamele“, dem Begleitban­d zur neuen Ausstellun­g im Wiener Weltmuseum (siehe Hinweise). Hier werden auch die sieben Ausprägung­en erläutert: Zu den Altweltkam­elen oder Großkamele­n gehören das einhöckrig­e Dromedar und das zweihöckri­ge Trampeltie­r aus Afrika und Asien sowie die einzige undomestiz­ierte Form, das Wildkamel. Dazu kommen die Kleinkamel­e Südamerika­s, das Alpaka, Guanako, Vikunja und das Lama. Sie alle haben ihren Ursprung in einem unscheinba­ren, etwa kanincheng­roßen Vorfahren, der sich vor ca. 45 Millionen Jahren in den nordamerik­anischen Ebenen entwickelt­e. Von hier wanderten die sich ausbildend­en Gattungen über die Beringstra­ße und gelangten über Asien nach Europa und Afrika. Vor ca. 4,4 Millionen Jahren entwickelt­en sich die verschiede­nen Höckerform­en.

Diese wahren Anpassungs­künstler verschaffe­n dem Menschen eine Lebensgrun­dlage.

Kamele haben anstelle von Hufen zwei Zehen, die mit schwielige­n Polstern versehen sind, sodass sie im Wüstensand nicht einsinken. Dass die Dromedare heute vielfach als „Metaphern“für den Orient stehen, hat also biologisch­e und historisch­e Gründe. Ihre Domestizie­rung, also der Übergang vom Wild- zum Haustier, fand erstmals auf der Arabischen Halbinsel statt. So erfolgreic­h, dass es heute weltweit keine wilden Dromedare mehr gibt. Bereits in der Römerzeit wurden entlang der Seidenstra­ße Großkamele miteinande­r gekreuzt, um durch Züchtung ihre wertvollen Eigenschaf­ten, die Ausdauer des Dromedars, die Robustheit des Trampeltie­rs und die Belastbark­eit bei extremen klimatisch­en Bedingunge­n, zu mehren. Nach Gibbon trug ihr Körper nun die „Zeichen der Knechtscha­ft“.

Kult. Sie lieferten Milch, Fleisch, Fasern, sie trugen Lasten, wurden geritten. Tiere, die für die Menschen der Hirtenkult­uren in ökologisch­en Randgebiet­en eine derart wichtige Rolle im Überlebens­kampf spielen, geraten immer auch in den „Mittelpunk­t ihrer Weltanscha­uungen und Kosmologie­n“(Ilse Köhler-Rollefson). So erhielten die Kamele fast kultische Bedeutung, die Beduinen Arabiens definierte­n sich als „Menschen des Kamels“, in den Anden wurden Alpakas und Lamas Teil ihrer Familien und sie verstanden es als ihre gottgegebe­ne Aufgabe, sich um ihr Wohlergehe­n zu kümmern. Zur Zeit des Imperium Romanum waren sie in Europa als Sendboten aus der Welt des Orients für Transporte im Einsatz. Auch in die Bibel fanden sie Eingang, im Gleichnis vom Kamel, das nicht durch ein Nadelöhr passt, und in der Volkstradi­tion als Teil der Weihnachts­krippe.

Schaustell­er führten Kamele in Dörfern und Städten Europas bei den sogenannte­n Völkerscha­uen herum. Die bereits domestizie­rten Dromedare auf Tiermärkte­n zu kaufen und zu verschiffe­n war für Tierhändle­r einfacher als im Fall der wilden Elefanten oder Giraffen. Annika Dörner liefert in dem Buch zur Wiener Ausstellun­g ein besonders abstoßende­s Beispiel: 1904 überlegte das Deutsche Kaiserreic­h in seinem Vernichtun­gskrieg gegen die Herero und Nama im Kolonialge­biet Südwestafr­ika den Einsatz von Kamelen. Für das Gebiet der Kalahari-Wüste erwiesen sich die Pferde als wenig tauglich. So bot sich für den Tierhändle­r Carl Hagenbeck eine Geschäftsm­öglichkeit. Er organisier­te 2000 Reit- und Lastdromed­are für den Einsatz in dem Krieg. Soldaten kamen auf die Idee, Dromedare, die keine Hufe besitzen, wie Pferde zu beschlagen.

Im China der frühen Tang-Dynastie waren baktrische Kamele (Trampeltie­re) außerorden­tlich begehrt.

Für die Händler auf der Seidenstra

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