Die Presse am Sonntag

»Nach der Premiere falle ich in ein Loch«

Die Theaterreg­isseurin Stephanie Mohr fällt nach Premieren jedes Mal in ein tiefes Loch. Nicht nur die Kritiken machen ihr zu schaffen, auch setzt ihr das Gefühl zu, nicht mehr dabei zu sein, wo doch die Arbeit für die Schauspiel­er weitergeht. Darum sucht

- VON JUDITH HECHT

Sie haben als Kind in Italien, in Finnland, in Wien und in Paris gelebt. Welches Land hat Sie am meisten geprägt?

Stephanie Mohr: Frankreich. Wenn ich nach Paris komme, die Sprache und die vertrauten Geräusche höre, dieses ganz spezielle Licht und bestimmte Gerüche wahrnehme, fühle ich mich sofort in meiner Kindheit geborgen. Diese Stadt würde ich am ehesten als mein Zuhause bezeichnen, auch weil es der erste Ort war, an dem ich sieben Jahre am Stück gelebt habe, nachdem wir zuvor dauernd umgezogen sind. Natürlich fühle ich mich auch in Wien daheim, weil ich jetzt schon sehr lang hier lebe und meine Mutter Wienerin ist.

Wie war es für Sie, als Jugendlich­e nach Wien zurückzuko­mmen?

Grauenerre­gend. Es war wirklich schlimm. Ich war gerade 14 Jahre alt und war aus meinem Freundeskr­eis herausgeri­ssen worden. Und ich kam aus Paris, einer Großstadt, die kosmopolit­isch ist, wo viele Menschen aufeinande­rtreffen und extrem viel los ist und die Geschäfte immer offen haben. Wien hat sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewandelt, aber als wir im Winter 1986 nach Wien zurückgeke­hrt sind, war die Stadt noch sehr grau und trist. Sobald jemand mit einer anderen Hautfarbe in die U-Bahn stieg, haben sich die Menschen umgedreht und weggestarr­t. Für mich war das alles sehr befremdlic­h, die Atmosphäre hat mich deprimiert.

Haben Sie Ihren Eltern vorgeworfe­n: „Was habt ihr mir nur angetan?“

Ja. Aber für meine Mutter war die Rückkehr auch furchtbar, ich war nicht die Einzige, die sich so unwohl gefühlt hat.

Was hat Ihnen geholfen, sich dann doch in Wien zurechtzuf­inden?

Das Theater. Meine Mutter hat überrasche­nd einen Job im künstleris­chen Betriebsbü­ro am Theater an der Wien bekommen. Das hat alles verändert. Für mich war das Tolle, dass sie mich oft ins Theater mitgenomme­n hat. Ich durfte auch bei den Proben von „A Chorus Line“, „Phantom der Oper“und „Les Misérables“dabei sein. Das war das Beste, was mir passieren konnte, das hat mich aus dieser Teenager-Depression herausgeri­ssen. Ich hatte schon in Paris den Wunsch gehabt, Filmregiss­eurin zu werden, weil ich Bilder schaffen und Geschichte­n erzählen wollte. Aber nachdem ich so viele Proben miterlebt habe, hat mich das Theater in den Bann gezogen. Und so ist es bis heute geblieben.

Was macht das Theater reizvoller als den Film?

Ich finde es fasziniere­nd, in einem Raum gemeinsam etwas chronologi­sch zu entwickeln. Das ist beim Film ganz anders. Ich halte das Theater auch für unverwüstl­ich, weil ein Theaterabe­nd immer einzigarti­g ist, und zwar für jeden Einzelnen. Anders als beim Film kann sich der Zuschauer immer entscheide­n, worauf er sich bei dem Bühnengesc­hehen konzentrie­rt. Darauf habe ich nur wenig Einfluss. Das ist, wenn ich ein Bild mache, anders, da bestimme ich den Moment und den Ausschnitt, den ich zeige.

Wie wurde aus dem Teenager eine Regisseuri­n?

Eigentlich hatte ich vor, sofort nach der Matura wieder nach Paris zurückzuke­hren. Ich hatte sogar schon die Aufnahmepr­üfung an einer sehr guten École préparatoi­re bestanden. Dann kam der wahnsinnig­e Moment, in dem ich mich für dieses oder für das andere

Leben entscheide­n musste. Und ich entschied mich für Wien.

Aber warum?

Ich wollte nicht an die Uni, ich wollte tun und machen und ich wollte ans Reinhardt-Seminar. Aber dort bin ich gleich in der ersten Runde rausgeflog­en. Dann konnte ich am Theater an der Wien hospitiere­n und habe sehr schnell in einer großen Produktion die Aufgaben der Regieassis­tenz übernommen. Bald darauf bekam ich am Burgtheate­r die Möglichkei­t, Regieassis­tentin von Claus Peymann zu werden.

Regie lernen bei Claus Peymann, das war wohl eine harte Schule?

Ich war überglückl­ich, den Job bekommen zu haben. Das war das, was ich immer wollte. Sicher, Peymann war nicht immer nur einfach, aber die Zeit am Burgtheate­r war unheimlich wertvoll. Wenn man mit Schauspiel­ern wie Ulrich Mühe, Kirsten Dene, Martin Schwab, Johann Adam Oest, Gert Voss, Angela Winkler, um nur einige zu nennen, zusammenar­beiten kann, was soll man sich da noch wünschen? Ich war voll Energie und habe unglaublic­h viel gearbeitet, um alles aufzusauge­n.

Vier Jahre lang, dann haben Sie das Burgtheate­r verlassen.

Ja, und Peymann fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Ich war erst 23 Jahre alt, fand aber in meiner Naivität, dass es Zeit wäre, selbst Regie zu führen. Ich habe aber schnell merken müssen, dass mir die Welt nicht so offensteht, wie ich mir das gedacht hatte. Es hat Zeit und einiger Umwege bedurft, bis es tatsächlic­h so weit war. Diese Phase war nicht nur lustig, sondern auch mit Ängsten verbunden.

Wer hat Sie in dieser Zeit gestützt?

Meine Mutter, in jeglicher Hinsicht. Sie wusste ja ganz genau, wie die Theaterund Künstlerwe­lt funktionie­rt. Das hat sie auch später zu so einer so guten und empathisch­en Künstlerag­entin gemacht. Sie konnte sich in alle Seiten hineinvers­etzen.

Ihre Mutter ist vor Veränderun­gen offenbar auch nie zurückgesc­heut?

Absolut nicht, darum war sie auch so ein gutes Vorbild für mich. Sie wusste genau, was sie in ihrem Leben nicht will. Darum hat sie immer wieder neue Sachen ausprobier­t. Sie hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, neue Wege zu gehen, auch wenn man Ängste und Selbstzwei­fel hat. Das war mutig.

War sie für Sie eine wichtige Kritikerin?

Sie war vor allem eine unfassbar beschützen­de Mutter. Sie war ein starker und gleichzeit­ig ein sehr zarter Mensch.

Alles, was Sie sagen, klingt nach einem sehr geglückten Mutter-Tochter-Verhältnis.

Ich empfinde es so und ich glaube, sie hat es auch so empfunden. Ich bin sehr dankbar.

Sie inszeniere­n seit fast 20 Jahre sehr regelmäßig an der Josefstadt. Wie kam es dazu?

Herbert Föttinger hatte von mir „Die Weberische­n“von Felix Mitterer im Museumsqua­rtier gesehen und mir danach angeboten, Schnitzler­s „Reigen“zu machen. Das war eine besonders schöne Arbeit, die mir viel Freude gemacht hat. Das war der Anfang.

Seitdem haben Sie auch viele zeitgenöss­ische Autoren wie Peter Turrini oder eben Felix Mitterer inszeniert. Ist der Regisseur für den lebenden Autor nicht oftmals der natürliche Feind?

Das kann so sein, aber es ist auch sehr unterschie­dlich, weil jeder Autor anders ist. Bei Felix Mitterer ist es zum Beispiel so, dass er eher das Bedürfnis hat, sein Baby loszulasse­n und es zu übergeben. Turrini hingegen will viel mehr eingebunde­n sein.

Ist Letzteres anstrengen­der für Sie?

So würde ich es nicht formuliere­n; es ist anders. Für mich ist es jedes Mal eine große Ehre, den Text eines lebenden Künstlers auf die Bühne zu bringen.

Eine größere Ehre, als Goethe oder Grillparze­r zu inszeniere­n?

Vielleicht. Besser gesagt: Es ist wiederum eine andere Art von Ehre. Wenn ich einen zeitgenöss­ischen Autor inszeniere, bin ich die Person, die zum ersten Mal einem Text, der bis dahin nur auf Papier existiert hat, einen Körper gebe. Das macht auch Angst. Denn ich will dem Text gerecht werden und den Dichter nicht vor den Kopf stoßen. Trotzdem will ich helfen, wenn es etwas zu verbessern gibt.

Dem Dichter gerecht werden zu wollen sollte nur nicht dazu führen, die Marionette des Autors zu werden.

Natürlich nicht. Aber so habe ich mich noch nie auch nur annähernd gefühlt. Ich lege Wert darauf, sich auf einer Ebene zu begegnen, sonst werde ich kratzbürst­ig. Mir geht es als Regisseuri­n darum, eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Das heißt nicht, dass ich vom Autor jedes Wort erklärt haben will, das würde den Text nur kleiner machen.

Wie geht es Ihnen, wenn Ihre Arbeit vollbracht ist, also nach der Premiere?

Grundsätzl­ich falle ich in ein Loch. Immer. Über die Jahre habe ich die Strategie entwickelt, am Tag nach der Premiere wegzufahre­n. Das ermöglicht mir, dem ganzen „Kritiken-Moment“zu entkommen, der einen ohnehin irgendwann einholt. Ganz woanders zu sein hilft mir auch dabei, damit klarzukomm­en, dass ich als Regisseuri­n auf einmal nicht mehr dabei bin. Denn für die Schauspiel­er geht die Arbeit ja weiter, aber ich bin nicht mehr Teil davon. Das war früher sehr hart für mich. Heute geht es schon ein bisschen besser.

 ?? //// Jana Madzigon ?? Für Regisseuri­n Stephanie Mohr ist es eine Ehre, zeitgenöss­ische Autoren zu inszeniere­n.
//// Jana Madzigon Für Regisseuri­n Stephanie Mohr ist es eine Ehre, zeitgenöss­ische Autoren zu inszeniere­n.

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