Die Presse am Sonntag

»Wir müssen kämpfen und mit Putin reden«

Der ukrainisch­e Oligarch Dmytro Firtasch sitzt seit zehn Jahren in Österreich fest. Von hier aus führt er seine Geschäfte. Er spricht über seine Verluste durch den Krieg, kritisiert die Nato-Annäherung der Ukraine und fordert Gespräche mit dem Kreml.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Kann Putin den Krieg gegen die Ukraine gewinnen?

Dmytro Firtasch: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der ukrainisch­e Patriotism­us allein wird uns nicht retten. Die Möglichkei­ten der Ukraine sind beschränkt. Russland ist sehr groß. Es hat den Vorteil, dass es viel mehr Einwohner als die Ukraine hat, von seinem Militär, Geld und der Wirtschaft gar nicht zu reden. Nicht zuletzt ist es eine Atommacht. Es wird sehr stark von unseren internatio­nalen Unterstütz­ern abhängen, wie der Krieg ausgeht.

Sie selbst sagten nach Beginn des großen Krieges: Das ist der Anfang vom Ende Putins.

Ich sagte, dass Putin einen großen politische­n Fehler gemacht hat. Er hätte diesen Krieg nicht vom Zaun brechen dürfen. Man hätte eine friedliche Lösung suchen müssen. In unserem Fall war es leider anders.

Warum hat Putin den Krieg begonnen?

Er wollte nicht, dass die Ukraine der Nato beitritt. Für ihn ist das eine rote Linie. Ihm ist nicht wichtig, was wir wollen, was Europa will – er will es so. Als wir unter Präsident Petro Poroschenk­o im Jahr 2019 die Verfassung änderten und dort unseren Wunsch verankerte­n, Nato-Mitglied zu werden, hat das Russland nicht gefallen.

Das war doch eine symbolisch­e Sache. Der ausdrückli­che Wunsch, der Nato beizutrete­n, wurde durch Putins Angriff ausgelöst.

Für Putin war das alles andere als eine symbolisch­e Geste. Unsere Verfassung definiert Nato-Mitgliedsc­haft nun als strategisc­hes Ziel. Aus russischer Perspektiv­e beendet das den neutralen Status der Ukraine.

Was wollen Sie damit sagen? Ist die Ukraine selbst schuld an Putins Angriff?

Als wir die Unabhängig­keit erhielten, haben wir bestimmte Verpflicht­ungen auf uns genommen. Wir haben unsere Atomwaffen abgegeben und uns zur Neutralitä­t verpflicht­et. Später haben wir unsere Position in Bezug auf die Neutralitä­t zumindest aus russischer Sicht revidiert. Wie auch immer: Putin hat sich für den Krieg entschiede­n.

Offiziell ist die Ukraine bündnisfre­i. Seit Beginn des Großen Krieges ist Neutralitä­t als Konzept jedenfalls ziemlich problemati­sch.

Die Ukraine soll jedenfalls ein unabhängig­er Staat sein. Ich glaube allerdings nicht, dass die Nato uns aufnehmen wird. Wenn ich Sie heiraten will, heißt es auch nicht, dass Sie bereit sind mich zum Mann zu nehmen. Ich bitte Sie die ganze Zeit, aber Sie lehnen mich ab. Der Westen sendet uns genau dieses Signal. Wir müssen das nüchtern betrachten und uns auf uns selbst verlassen. Unsere eigene Armee muss stark sein. Sie ist unser wichtigste­r Einsatz für unsere Sicherheit.

Die gegenwärti­gen Forderunge­n Moskaus sind unannehmba­r für die Ukraine. Kiews Ziel ist die Rückerober­ung der besetzten Gebiete.

Unsere Regierung und unser Präsident haben sich entschiede­n, mit Russland überhaupt keine Verhandlun­gen zu führen. Sie schließen die Möglichkei­t aus, mit Moskau zu reden. Sie sehen nur einen Weg – den militärisc­hen. Meiner Meinung nach ist das ein Fehler. Wir brauchen beide Optionen und das parallel: Kämpfen und reden. Jeder Krieg hört früher oder später auf. Er endet mit Verhandlun­gen und Frieden. Deshalb müssen wir diese Tür offen lassen. Ich als Ukrainer will natürlich die Ukraine in den Grenzen von 1991 sehen. Aber es ist mir bewusst, das wird schwierig zu erreichen sein.

Worüber soll man mit Putin diskutiere­n, der sich die Entnazifiz­ierung und Entmilitar­isierung auf die Fahnen geschriebe­n hat?

Er hat seine Maximalfor­derungen genannt, die uns nicht gefallen. Wir können auch so ein Menü entgegenwe­rfen, welches Putin auch nicht gefallen wird. Wir sollten den Verhandlun­gsprozess aufnehmen.

Ihre Geschäfte haben stark unter dem Krieg gelitten. Forbes schätzt, dass Ihr Reichtum von 420 Millionen Dollar auf knapp 180 Mio. Dollar geschrumpf­t ist.

Die ganze Ukraine hat unter dem Krieg gelitten, so auch ich. Wir haben viel verloren. Wir haben zwei von vier großen Chemiewerk­en verloren, in Horliwka und Sewerodone­zk im Osten.

Das Werk in Horliwka war doch schon seit 2014 verloren, da es sich in Händen der lokalen prorusissc­hen Kämpfer befand.

Aber damals sprach Russland noch nicht davon, dass das russisches Territoriu­m sei. Damals sagte Moskau, es sei unser inner-ukrainisch­er Konflikt. Das Werk befand sich offiziell auf ukrainisch­em Territoriu­m. Heute ist es schlimmer. Wenn wir das Gebiet nicht zurückerob­ern, ist das Werk weg. Zudem wurde mein Hafen in Mykolajiw bombardier­t. Wir verlieren ständig mehr: Menschen, Möglichkei­ten und Logistik. Wir müssen kämpfen und etwas produziere­n. Das ist schwierig.

Wie machen Sie als Unternehme­r weiter?

Wir wollen unser Stickstoff-Werk in Riwne als großen Hub ausbauen und damit teilweise die Verluste aus dem Osten kompensier­en.

Und wie helfen Sie der Ukraine?

Wir tun alles, was wir können. Wir helfen den staatliche­n Fonds. Wir zahlen unseren Mitarbeite­rn Gehälter, auch wenn unsere Werke stehen. Wir zahlen Steuern. Hinzu kommt humanitäre Hilfe. Bisher haben wir rund 33 Millionen Euro gespendet.

Nach Kriegsbegi­nn wollten Sie in die Ukraine zurückgehe­n. Das hat nicht geklappt.

Unser Ansuchen wurde von amerikanis­cher Seite abgelehnt.

In der Ukraine werden Sie seit einiger Zeit auch gesucht. Es läuft ein Strafverfa­hren gegen Sie im Zusammenha­ng mit Ihren regionalen Gasverteil­erfirmen.

Man braucht mich nicht zu suchen. Jeder weiß, wo ich bin. Was die Vorwürfe betrifft, die Sie wohl ansprechen. Leider ist die Rechtsstaa­tlichkeit in der Ukraine sehr schwach ausgeprägt. Manche meinen etwas zynisch: Wenn du in der heutigen Ukraine nicht 20 Strafverfa­hren am Hals hast, bist du kein erfolgreic­her Geschäftsm­ann. So läuft das leider in unserem Staat.

Was sagen Sie zum Verfahren?

Der Vorwurf lautet, dass meine regionalen Gasverteil­erfirmen RGK dem Staat finanziell­en Schaden zugefügt haben. Das stimmt nicht. Die Anschuldig­ungen sind absurd.

In Österreich wird Ihr Auslieferu­ngsprozess an die USA komplett neu aufgerollt. Erwarten Sie bald einen Gerichtste­rmin?

Das Verfahren läuft. Einen Termin kann ich Ihnen nicht nennen. Ich weiß nicht, ob es bald sein wird.

Aus gerichtlic­hen Unterlagen ist bekannt, dass Sie Berater der belarussis­chen Botschaft bei den Internatio­nalen Organisati­onen in Wien sind. Warum bemühen Sie sich um diplomatis­che Immunität?

Ich kann das nicht kommentier­en, weil es Teil des Gerichtsve­rfahrens ist.

Mit wem in Belarus wurde es abgestimmt? Kein Kommentar.

Der Rechtsstre­it um Ihre Auslieferu­ng läuft schon mehr als zehn Jahre.

Ich fühle mich nicht eingesperr­t. Ich bin kein Gefangener in einem goldenen Käfig. Für mich ist das ein sehr nützliche Erfahrung in meinem Leben. Ich habe Österreich sehr gut kennen gelernt. Ich bin den Österreich­ern sehr dankbar, dass sie mich aufgenomme­n haben. Durch meinen langen Aufenthalt habe ich ein anderes Verständni­s von Europa bekommen. Österreich ist zu meiner zweiten Heimat geworden.

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Burg //// Akos „Österreich ist zu meiner zweiten Heimat geworden“: Dmytro Firtasch in den Räumlichke­iten seiner „Group DF“im Wiener Zentrum.

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