Die Presse am Sonntag

Milch ohne Kuh: »Ähnlich wie in einer modernen Brauerei«

Fermentati­on hat ein gewaltiges Potenzial für die Zukunft der Ernährung. Buchautor Martin Reich übers Melken von Mikroorgan­ismen, Nahrungsmi­ttel aus Gas, die Industrie – und Nachhaltig­keit ohne Verzicht.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Fast alles, was gut schmeckt, ist fermentier­t: von Käse über Wein bis zu Schokolade. Fermentati­on kann aber noch viel mehr. In Ihrem Buch schreiben Sie: Fermentati­on könnte die Zukunft der Ernährung revolution­ieren. Wie das? Und warum überhaupt?

Martin Reich: Wir verbrauche­n mit unserer Ernährung unglaublic­h viel Fläche, das ist auch mit der größte Faktor für Umweltzers­törung. Davon müssen wir unbedingt runter, und das werden wir mit ökologisch­em Landbau, mehr Effizienz oder ein bisschen nachhaltig­er Weidehaltu­ng nicht schaffen. Auch wenn das alles seine Berechtigu­ng hat, sind es keine Hebel, die groß genug sind.

Fermentati­on kann uns da raushelfen?

Mit Mikroorgan­ismen können wir die Fläche, die wir für unsere Ernährung brauchen, enorm reduzieren. Einmal indem wir die Mikroorgan­ismen selbst essen, aber auch indem wir es mit ihrer Hilfe schaffen, tierische Lebensmitt­el ohne Tiere zu produziere­n.

Also quasi Milch ohne Kuh, Huhn ohne Ei – und zwar identisch mit dem Original. Das ist für die meisten Menschen schwer vorstellba­r. Der etwas sperrige Begriff dafür ist Präzisions­fermentati­on. Wie funktionie­rt das?

Mikroorgan­ismen produziere­n ja von Natur aus alles Mögliche. Bei der Präzisions­fermentati­on verändert man sie genetisch so, dass sie eine ganz bestimmte Sache produziere­n. Und dann hat man etwas, das in der Natur ganz genau so vorkommt, aber normalerwe­ise zum Beispiel durch ein Tier produziert wird. Diese Technologi­e ist schon da – sie wird verwendet, um Lab, Insulin oder Vanillearo­ma herzustell­en. Neu ist, dass sie aus dem Schatten heraustrit­t. Und mit ihr ganze Nahrungsmi­ttel hergestell­t werden sollen.

Und zwar im Fall der Milch ganz ohne Kuh.

Genau, wobei: Man hat dann noch keine komplette Milch, sondern zum Beispiel das Protein Casein, aus dem Käse hergestell­t wird. Aber es ist nicht auf Tiere beschränkt, auch Dinge wie Palmöl kann man so herstellen. Verschiede­ne Start-ups arbeiten auch an Produkten wie Hühnereiwe­iß oder Kaffee.

Wie kann man sich so eine Produktion konkret vorstellen?

Ein bisschen ähnlich wie in einer modernen Brauerei. Man bekommt einen maßgeschne­iderten Mikroorgan­ismus aus dem Labor. Und der bekommt Nahrung – Zucker oder andere pflanzlich­e Kohlenhydr­ate –, wächst in einem großen Stahltank und fängt zum Beispiel an, Casein zu produziere­n. Am Schluss hat man ein weißes Pulver, mit dem man wiederum Käse herstellen kann. Die folgenden Schritte sind dann ähnlich zur normalen Käseproduk­tion.

Viele Menschen werden sich die Frage stellen, ob es nicht total unnatürlic­h ist, wenn die Milch aus dem Bioreaktor kommt statt aus der Kuh.

Das ist auch eine der spannendst­en Dimensione­n an der Diskussion. Interessan­t ist, dass man den Status quo immer als natürlich betrachtet. Aber wir halten ja eine Kuh, die in der Natur so nicht vorkommt, sondern die wir gezüchtet haben, und trinken dann die Milch, die eigentlich für das Kalb gedacht ist: Das ist ja auch nicht sehr natürlich, obwohl wir das schon länger machen. Ich würde also sagen, das ist eher eine kulturelle Frage. Natürlichk­eit hält da als Kategorie nicht gut her.

Gentechnik ist auch ein Thema: Präzisions­fermentati­on funktionie­rt mittels gentechnis­cher Veränderun­g von Mikroorgan­ismen.

Man kann sich die DNA als einen Code aus Buchstaben vorstellen, in den etwas einprogram­miert wird. Das ist Gentechnik, wobei es das Ziel der Startups ist, dass die gentechnis­ch veränderte DNA nicht in den Produkten landet, die die Mikroorgan­ismen herstellen.

Fleisch kann man mit dieser Art der Fermentati­on aber nicht herstellen, oder?

Nein. Der Unterschie­d ist, dass man bei Fleisch aus Zellkultur Zellen produziert und im Idealfall ein Gewebe, entweder als eine Masse wie Hackfleisc­h oder – das ist etwas schwierige­r – eine Art Filet. Das ist technisch aufwendige­r und meiner Meinung nach schwierige­r als Fermentati­on. Aber das, was den Geschmack von Fleisch ausmacht, kommt hauptsächl­ich durch den Blutbestan­dteil, und das sogenannte Häm-Protein kann man auch mit Präzisions­fermentati­on herstellen.

Bis es in Europa Fleisch aus dem Labor gibt, wird es wohl noch ein wenig dauern (siehe Artikel unten). Das Unternehme­n Planted hat kürzlich aber sein erstes pflanzlich­es, fermentier­tes Steak präsentier­t. Ein klassische­s Ersatzprod­ukt, aber ein Stück weit fleischige­r gemacht.

Da sehe ich auch eine große Chance, die Fermentati­on mit den ganzen pflanzlich­en Alternativ­en zu verbinden: Eine faserige Textur bekommt man inzwischen gut hin, mit Fermentati­on kann man die Produkte noch zusätzlich aufwerten, was den Nährwert, aber auch den Geschmack angeht: das typische, herzhafte umami.

Ein anderer Ansatz mit großem Potenzial, den Sie in Ihrem Buch beschreibe­n, ist die sogenannte Biomassefe­rmentation, dass man also

quasi durch Fermentati­on Mikroorgan­ismen züchtet. Und dann?

Bei dieser Fermentati­on „melkt“man die Mikroorgan­ismen nicht, wie man es bei der Präzisions­fermentati­on macht, sondern isst sie direkt. Schnell wachsende Pilze oder Bakterien werden dafür massenhaft herangezüc­htet. Und wir können diese Biomasse dann entweder an Tiere verfüttern – oder im besten Fall selbst essen.

Und wie? Als Riegel aus Pilzpulver? Astronaute­nnahrung aus Hefe?

Das ist genau eine der drängenden Fragen, die mitentsche­idet, ob das alles funktionie­rt. In England gibt es seit Langem Quorn, das besteht aus einem Pilz, aus dem sie Hackbällch­en und Ähnliches machen. Das Wiener Unternehme­n Revo Foods hat kürzlich ein Oktopus-Imitat aus Pilzprotei­n auf den Markt gebracht. Aber es braucht für den Durchbruch wohl noch ein, zwei Gamechange­r in der Kulinarik. Denn das ist am Ende der Hebel. Genuss und Emotionen spielen eine große Rolle.

Der Vorteil an der Präzisions­fermentati­on ist, dass man sich da nicht viel überlegen muss, denn da werden ja quasi uns bekannte Lebensmitt­el produziert.

Genau, da ist der Ansatz eher, dass man uns Konsumente­n weniger Veränderun­g zumutet. Dass man die Produktion ändert und nicht die Gewohnheit­en der Menschen. Dass man zwar weiß, dass das Casein aus dem Bioreaktor kommt, aber dass man den Käse isst, wie man ihn immer gegessen hat.

Ist das das große Potenzial: Nachhaltig­keit ohne Verzicht?

Es ist vielleicht die realistisc­here Herangehen­sweise. Wir müssen schauen, was am Ende wirklich etwas bringt. Es wäre natürlich super, wenn wir alle es schaffen würden, Pflanzen statt Tiere zu essen. Aber darauf kann man sich nicht einfach verlassen. Deswegen ist der Ansatz, mit möglichst wenig Verzicht nachhaltig zu werden, schon sinnvoll.

Um wie viel nachhaltig­er ist Fermentati­on im Vergleich zu klassische­r Produktion?

Man geht je nach Ansatz von fünf, zehn oder 20 Mal weniger Fläche aus, die notwendig ist. Es gibt aber einen Ansatz, der das Ganze komplett entkoppeln könnte: die Gasferment­ation.

Wie funktionie­rt das?

Da nutzt man Mikroorgan­ismen, die keinen Zucker oder andere pflanzlich­e Kohlenhydr­ate brauchen, sondern die mit Gasen als Futter auskommen. Die finnische Firma Solar Foods stellt so schon Biomasse für Lebensmitt­el her, das Wiener Start-up Arkeon arbeitet ebenfalls in dem Bereich. Der größte Unsicherhe­itsfaktor, was Nachhaltig­keit und Machbarkei­t angeht, ist dabei die Energie. Denn die Bioreaktor­en brauchen Strom, und wenn der aus fossilen Quellen kommt, ist das Murks.

Eine Sache, die viele beunruhigt, ist die Rolle der Industrie: Legen wir unsere Ernährung gänzlich in die Hand der Konzerne, wenn unser Essen aus dem Bioreaktor kommt?

Das ist keine unberechti­gte Sorge. Daher finde ich es auch wichtig, das in den öffentlich­en Diskurs zu bringen und von der Politik einzuforde­rn, es voranzubri­ngen, aber gleichzeit­ig zu schauen, wie alles in eine erwünschte Richtung gehen kann. Damit nicht wenige Große sich alles sichern – eine Tendenz, die es in der Lebensmitt­elindustri­e ohnehin gibt –, sondern es eine Vielfalt gibt, etwa durch kürzere oder offenere Patente. Die wichtige Frage ist: Wie können wir als Gesellscha­ft bestmöglic­h profitiere­n? Die geht momentan unter, weil noch nicht genügend Menschen davon wissen, um mitdiskuti­eren zu können.

Eine Frage ist auch: Was machen dann die Bauern? Müssen sich die endgültig einen anderen Job suchen?

Es gibt manche, die die Idee haben, Bioreaktor­en auf die Bauernhöfe bringen zu können. Das ist sicher möglich, aber wahrschein­licher ist erst einmal, dass die verarbeite­nde Industrie fermentier­t und die Landwirtsc­haft nur noch die Grundstoff­e liefert. Was bei Wegfall der Tiere für die Wertschöpf­ung einen großen Verlust bringt. Das ist eine Herausford­erung, die man wohl auch politisch lösen muss, wenn man die Landwirtsc­haft als wichtige strukturel­le Komponente sieht.

Wie weit ist man bei diesen Methoden, vor allem bei der Präzisions­fermentati­on?

Inzwischen funktionie­ren viele Dinge schon im kleinen Maßstab, zum Beispiel die Produktion von Milchprote­inen. In Deutschlan­d ist Formo ein Vorreiter, in Österreich Fermify. In anderen Ländern wie den USA ist man weiter, erste Produkte sind bereits marktreif.

Wie lang wird es dauern, bis wir Käse aus präzisions­fermentier­tem Casein im Regal finden?

Ich glaube, wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass diese Produkte auch in Europa zugelassen werden. Und in den nächsten maximal fünf Jahren wird sich entscheide­n, ob das Ganze abhebt. Bei der Präzisions­fermentati­on ist eine wesentlich­e Frage: Gibt es genügend Investitio­nen in eine Skalierung, damit die Produkte auch zu entspreche­nden Preisen im Supermarkt­regal landen?

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//// Ddukang/ Ein maßgeschne­iderter Mikroorgan­ismus produziert in einem gro Und das kann man wiederum zu Käse weitervera­rbeiten.
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//// Andreas Bretsche „In den nächsten fünf Jahren wird sich entscheide­n, ob das Ganze abhebt“, sagt Martin Reich über das Thema Fermentati­on.
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Getty Images ßen Stahltank Casein. Am Schluss hat man ein weißes Pulver.

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