Wer am Schokohasen mitnascht
Österreicher essen so viel Schokolade wie kaum jemand weltweit. Süße Oster-Schokoladen haben aber einen bitteren Beigeschmack: Über Kinderarbeit, die Folgen des Klimawandels und explodierende Preise.
Diese PR-Aktion ging nach hinten los. Eigentlich ist Tony’s Chocolonely für knallbunte Schokoladetafeln bekannt. Doch im Februar verkaufte der niederländische Produzent sie mit provokanten Slogans in Designs bekannter Marken. „Kommt Dir bekannt vor, schmeckt ähnlich, aber zahlt allen Farmerinnen faire Preise“, stand auf der Packung. Die Kampagne sollte auf die schlechten Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen im globalen Süden aufmerksam machen. Im Gegensatz zu Tony’s würden große Player wie Nestlé, Mars und Mondelez nicht genügend unternehmen, um unschöne Begleiterscheinungen in den Lieferketten zu eliminieren.
Milka-Mutter Mondelez ließ sich den provokanten PR-Gag nicht gefallen: Tony’s dürfe seine Tafeln nicht mehr in lilafarbenen Verpackungen verkaufen, hieß es in einer Unterlassungsklage. Trotz der juristischen Niederlage war die Kampagne für Tony’s, das für saubere Lieferketten eintritt, ein ideeller Erfolg, sagt CEO Douglas Lamont: „Die großen Produzenten können sich jetzt nicht mehr verstecken und müssen endlich Verantwortung übernehmen.“
Tatsächlich haben die süßen Schokoladen, die die Konsumenten vor Ostern in Form von Häschen aus den Regalen anlächeln, einen bitteren Beigeschmack. Den Preis dafür zahlen aber andere. Viele von ihnen haben noch nie in ihrem Leben Schokolade gegessen.
Wer zahlt den Preis? Knapp zwei Drittel des weltweiten Kakaos produzieren Kleinbauern in der Elfenbeinküste und in Ghana. Millionen Westafrikaner sind von der Kakaoproduktion abhängig, in der Elfenbeinküste ein Drittel der Bevölkerung. Sie zählen zu den Ärmsten der Welt und müssen mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen.
Obwohl der Preis für die braune Bohne, die an den großen Rohstoffbörsen gehandelt wird, zuletzt wegen schwacher Ernten in lichte Höhen schoss, profitieren die Kakaobauern (zunächst) nicht. Sie sind in einem Teufelskreis aus Armut, geringen Erträgen,
Kinderarbeit, Pestizidbelastung, Pflanzenseuchen und Entwaldung gefangen.
„Es ist ein strukturelles Problem“, erklärt Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Faitrade Österreich. Die Kakaofarmen sind unter fünf Hektar klein. Die Ausbeute ist gering: Die meisten Kakaobäume sind zu alt, an die 50 Jahre, und tragen immer weniger Früchte. „Die Bauern haben wenig Geld. Fällen sie Bäume, fällt der Ertrag für die nächste Ernte aus.“Investitionen in neue Agrartechnik, um die Produktivität zu steigern, können sie sich nicht leisten.
60 Prozent des weltweiten Kakaos
produzieren Kleinbauern in der Elfenbeinküste und in Ghana.
Die Kakaoernte ist arbeitsintensiv. Die Bauern schneiden die gelbroten Früchte vom Baum. Danach schlagen sie die Schoten mit Macheten auf und nehmen die Kerne heraus. Erst nach einer mehrtägigen Fermentation lösen sich die Bohnen vom weißen Fruchtfleisch. Diese werden rund drei Wochen getrocknet, bevor sie in Säcken verpackt zu den Häfen geliefert werden.
Alte Bäume sind zudem anfälliger für Krankheiten. Derzeit sorgt ein Virus für enorme Ernteausfälle. Die Landwirte roden mehr Wald, um neue, seuchenfreie Anbauflächen zu schaffen. Das verschärft die Folgen des Klimawandels in einer Region, die ohnehin von Extremwetter gebeutelt ist. Die bald in Kraft tretende EU-Entwaldungsrichtlinie könnte Verbesserungen bringen, sagt Kirner. Die Verordnung soll sicherstellen, dass Importwaren bei der Herstellung nicht zu Rodungen führen, wie es zuletzt immer öfter der Fall war.
Europas Schokohersteller kritisieren die neuen EU-Regeln. Die Verordnung könnte Kakaoimporte nach Europa einschränken und mehr für den Rest der Welt freisetzen, schrieb jüngst die Agentur Bloomberg. Die Bedenken spiegeln sich bereits in den Markt-Futures wider. In weniger als zwei Monaten ist der Aufschlag des Londoner Kakaokontraktes gegenüber dem New Yorker Pendant von etwa 40 US-Dollar pro Tonne auf über 400 gestiegen.
Bauern bekämpfen Pflanzenseuchen großflächig mit Pestiziden. „In Westafrika gibt es kaum Bio-Anbau“, sagt Kirner. Die Chemikalien gefährden die Gesundheit der Menschen, die kaum Schutzmaßnahmen treffen. Fairtrade-Bauern dürfen nur gewisse Pestizide verwenden, andere sind weltweit geächtet. Doch, so Kirner: „Oft wissen Bauern nicht Bescheid. Niemand bringt sich freiwillig in Gefahr.“
Kinderarbeit. All das mache den Kakaosektor unattraktiv für Junge, sagt Caroline Sommeregger von der Menschenrechtsorganisation Südwind. Kinder von Kakaobauern bauen lieber andere Pflanzen an oder ziehen in die Städte. Sie haben eine Wahl. 1,5 Millionen Minderjährige aber, so eine Studie der Chicago University, werden auf Kakaoplantagen in Westafrika zu Kinderarbeit gezwungen. „Es geht nicht um das Mithelfen auf dem Bauernhof, sondern um ausbeuterische Kinderarbeit, die in
Die Anteile an der Wertschöpfung von Schokolade sind sehr ungleich verteilt. Auswertung von 62 Schokoladeprodukten mit einem Konsumentenpreis von 8,61 Euro pro Kilo. Quelle: Forum für nachhaltigen Kakao
Ghana und der Elfenbeinküste verboten ist“, sagt Sommeregger. Die Kinder hantieren mit Pestiziden, Macheten oder schleppen schwere Säcke. Sie dürfen nicht zur Schule gehen. Das Geschäft mit dem Kakao ist so unrentabel, dass rund 10.000 Kinder in moderner Sklaverei leben. Viele werden aus den Nachbarstaaten verschleppt und zur Arbeit auf Kakaoplantagen gezwungen.
Den Kampf gegen Kinderarbeit heften sich längst auch die großen internationalen Produzenten an die Fahnen (siehe Interview unten). Obwohl sie seit Jahrzehnten Programme unterstützen, die Kindern aus verarmten Hauptanbaugebieten Zugang zu Bildung erleichtern sollen, sind die Beteuerungen großer Konzerne nicht immer glaubwürdig, sagt Tony’s-CEO Lamont. „Man kann nicht ausschließen, dass etwas passiert“, sagt Kirner. Daher setzt Fairtrade auf Aufklärung und Selbstkontrolle der Kooperativen. Die Bauern müssten ein Eigeninteresse
haben, Kinderarbeit zu verhindern: Die gesamte Genossenschaft verliert die Zertifizierung, wenn ein Mitglied gegen die selbst auferlegten Regeln verstößt.
Dass die Verantwortung bei Konsumenten liege, sei zu wenig, kritisiert Sommeregger. „Arbeitsrechtsverletzungen müssen auf politischer Ebene abgeschafft werden.“Das geplante EU-Lieferkettengesetz sieht sie positiv. Firmen in der EU sollen künftig kontrollieren, ob Geschäftspartner in Drittstaaten Menschenrechtsstandards einhalten. Sie sollen auch zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden können. „Wenn Unternehmen Verantwortung übernehmen müssen, erwarten wir einen Dominoeffekt“, so Sommeregger. „Steigen Löhne und Einkommen, wird auch Kinderarbeit weniger werden.“
Schon heute kontrollieren Gütesiegel wie Fairtrade oder Rainforest Alliance stichprobenartig, ob Standards entlang der Lieferkette umgesetzt werden. Rainforest beschäftigt in der Elfenbeinküste 17 Kontrolleure – für rund 1,5 Mio. Kakaoplantagen auf rund 40.000 Quadratkilometern, etwa der halben Fläche Österreichs. Eine flächendeckende Kontrolle aller Farmen ist nicht möglich. Daran würde auch ein EU-Lieferkettengesetz nichts ändern.
Von der Plantage ins Regal. Was Afrika für den Kakaomarkt ist, ist Europa für die Verarbeitung. Mehr als die Hälfte der Kakaobohnen weltweit werden hier verarbeitet und konsumiert. Hamburg ist neben Amsterdam und Antwerpen einer der drei großen Ankunftshäfen für Lieferungen aus Westafrika. Die „Presse am Sonntag“hat den Weg der Kakaobohne für die Nestlé-Produktion ab
Eintreffen in Hamburg verfolgt. Vom Schiff abgeladen, wird der Kakao in das Rohstofflager des Agrarhändlers Cargill gebracht und zu riesigen Bergen aufgehäuft. „Etwa 800 Tonnen Kakaobohnen liegen hinter uns“, sagt Cargill-Manager Rupert Day. Jährlich passieren das Lager bis zu 25.000 Tonnen.
In der Fabrik werden die Bohnen dann gemahlen, zu Kakaomasse verarbeitet und über eine Pipeline in die benachbarte Nestlé-Schokoladefabrik geleitet, wo jährlich vier Millionen Kitkat-Riegel vom Band laufen. Schicht für Schicht setzen sich die Schokoriegel am Fließband zusammen und werden anschließend maschinell verpackt.
Zertifikate werden in den Augen
Die Handelsketten machen mit dem Verkauf von Schokolade ein gutes Geschäft. Von einem Euro, der hierzulande für Schokolade bezahlt wird, landen mehr als 40 Cent beim Handel, wovon auch der Staat in Form von Steuern mitschneidet. Schokolade ist in heimischen Supermarktregalen heute um 20 Prozent teurer als noch vor zwei Jahren.
Die Preisexplosion auf den Rohstoffmärkten ist noch nicht eingepreist. Zu Jahresbeginn knackte der Kakaopreis an der New Yorker Rohstoffbörse den Rekord der 1970er-Jahre. Seither verdoppelte er sich fast nochmals. Diese Woche kostete eine Tonne Kakao auf dem Terminmarkt mehr als 8200 USDollar. Der Grund: Einbußen von mehr als 25 Prozent bei der letzten Ernte.
„Dass die Kakaopreise so davonlaufen, haben wir noch nie erlebt“, sagt Andreas Heindl, Chef der gleichnamigen Wiener Confiserie. „Eigentlich sollten wir im Herbst nachkaufen, aber der Preis steigt unendlich.“Bis Ende des zweiten Quartals halten die Vorräte, spätestens dann müsse man Rohstoff nachkaufen. „Wir hoffen, dass sich die Preise normalisieren und vielleicht auch die Spekulanten die Finger davon lassen“, so Heindl. „Müssten wir jetzt nachkaufen, würden wir bei jeder Packung draufzahlen.“
Die Preissprünge setzen auch internationale Produzenten unter Druck. Milka-Mutter Mondelez erklärte kürzlich, dass der Lebensmittelhandel für die Festsetzung der Verbraucherpreise verantwortlich sei. Noch hält sich dieser mit merklichen Preissprüngen zurück. Steigen die Rohstoffpreise weiter, werden aber weder Industrie noch Handel die zusätzlichen Kosten schlucken.
Extreme Armut zwingt Familien dazu, ihre Kinder zur Arbeit auf den Plantagen mitzunehmen. vieler Marken und Händler nur als »Betriebslizenzen« gesehen.
Am unteren Ende der Kette. Was haben die Menschen auf den Plantagen von gestiegenen Weltmarktpreisen? In der Elfenbeinküste setzt der Staat vor jeder Saison einen Preis fest, zu dem ein gewisser Teil der Ernte an den Terminmärkten verkauft wird, erklärt Fairtrade-Chef Kirner. „Von den sehr bemerkenswerten Preisausschlägen haben die Bauern daher noch nichts.“
Nur knapp neun Prozent der Wertschöpfung von Schokoprodukten kommen beim Kakaobauern an, so eine Studie des deutschen Forums für nachhaltigen Kakao. Selbst bei Schokolade, die mit herkömmlichen Gütesiegeln wie Rainforest Alliance oder Fairtrade zertifiziert ist, komme beim Bauern nicht wesentlich mehr an: „Viele Marken und Händler sehen Zertifikate als ‚Betriebslizenzen‘, um Konformität mit sozialen und ökologischen Standards zu signalisieren“, heißt es. Die Zertifikate sollen Umweltschutz und bessere Arbeitsbedingungen garantieren. Preissteigerungen, um Bauern ein „existenzsicherndes Einkommen“zu verschaffen, gibt es meist nicht.
Für die aktuell anlaufende Frühjahrsernte könnte sich der hohe Weltmarktpreis aber durchaus positiv auf das Einkommen der Bauern auswirken. Sollten die staatlichen Preisziele der Elfenbeinküste und Ghanas bei den Bauern ankommen, würden sich die Einkommen der Bauern mehr als verdoppeln, rechnet Friedel HützAdams von Südwind Deutschland vor.
Mittelfristig wird Schokolade teurer werden (müssen). Die Frage ist nur, wer dafür den Preis bezahlt.