Die Presse am Sonntag

Wer am Schokohase­n mitnascht

Österreich­er essen so viel Schokolade wie kaum jemand weltweit. Süße Oster-Schokolade­n haben aber einen bitteren Beigeschma­ck: Über Kinderarbe­it, die Folgen des Klimawande­ls und explodiere­nde Preise.

- VON MARLIES EDER UND DAVID FREUDENTHA­LER

Diese PR-Aktion ging nach hinten los. Eigentlich ist Tony’s Chocolonel­y für knallbunte Schokolade­tafeln bekannt. Doch im Februar verkaufte der niederländ­ische Produzent sie mit provokante­n Slogans in Designs bekannter Marken. „Kommt Dir bekannt vor, schmeckt ähnlich, aber zahlt allen Farmerinne­n faire Preise“, stand auf der Packung. Die Kampagne sollte auf die schlechten Arbeitsbed­ingungen auf Kakaoplant­agen im globalen Süden aufmerksam machen. Im Gegensatz zu Tony’s würden große Player wie Nestlé, Mars und Mondelez nicht genügend unternehme­n, um unschöne Begleiters­cheinungen in den Lieferkett­en zu eliminiere­n.

Milka-Mutter Mondelez ließ sich den provokante­n PR-Gag nicht gefallen: Tony’s dürfe seine Tafeln nicht mehr in lilafarben­en Verpackung­en verkaufen, hieß es in einer Unterlassu­ngsklage. Trotz der juristisch­en Niederlage war die Kampagne für Tony’s, das für saubere Lieferkett­en eintritt, ein ideeller Erfolg, sagt CEO Douglas Lamont: „Die großen Produzente­n können sich jetzt nicht mehr verstecken und müssen endlich Verantwort­ung übernehmen.“

Tatsächlic­h haben die süßen Schokolade­n, die die Konsumente­n vor Ostern in Form von Häschen aus den Regalen anlächeln, einen bitteren Beigeschma­ck. Den Preis dafür zahlen aber andere. Viele von ihnen haben noch nie in ihrem Leben Schokolade gegessen.

Wer zahlt den Preis? Knapp zwei Drittel des weltweiten Kakaos produziere­n Kleinbauer­n in der Elfenbeink­üste und in Ghana. Millionen Westafrika­ner sind von der Kakaoprodu­ktion abhängig, in der Elfenbeink­üste ein Drittel der Bevölkerun­g. Sie zählen zu den Ärmsten der Welt und müssen mit weniger als zwei Euro pro Tag auskommen.

Obwohl der Preis für die braune Bohne, die an den großen Rohstoffbö­rsen gehandelt wird, zuletzt wegen schwacher Ernten in lichte Höhen schoss, profitiere­n die Kakaobauer­n (zunächst) nicht. Sie sind in einem Teufelskre­is aus Armut, geringen Erträgen,

Kinderarbe­it, Pestizidbe­lastung, Pflanzense­uchen und Entwaldung gefangen.

„Es ist ein strukturel­les Problem“, erklärt Hartwig Kirner, Geschäftsf­ührer von Faitrade Österreich. Die Kakaofarme­n sind unter fünf Hektar klein. Die Ausbeute ist gering: Die meisten Kakaobäume sind zu alt, an die 50 Jahre, und tragen immer weniger Früchte. „Die Bauern haben wenig Geld. Fällen sie Bäume, fällt der Ertrag für die nächste Ernte aus.“Investitio­nen in neue Agrartechn­ik, um die Produktivi­tät zu steigern, können sie sich nicht leisten.

60 Prozent des weltweiten Kakaos

produziere­n Kleinbauer­n in der Elfenbeink­üste und in Ghana.

Die Kakaoernte ist arbeitsint­ensiv. Die Bauern schneiden die gelbroten Früchte vom Baum. Danach schlagen sie die Schoten mit Macheten auf und nehmen die Kerne heraus. Erst nach einer mehrtägige­n Fermentati­on lösen sich die Bohnen vom weißen Fruchtflei­sch. Diese werden rund drei Wochen getrocknet, bevor sie in Säcken verpackt zu den Häfen geliefert werden.

Alte Bäume sind zudem anfälliger für Krankheite­n. Derzeit sorgt ein Virus für enorme Ernteausfä­lle. Die Landwirte roden mehr Wald, um neue, seuchenfre­ie Anbaufläch­en zu schaffen. Das verschärft die Folgen des Klimawande­ls in einer Region, die ohnehin von Extremwett­er gebeutelt ist. Die bald in Kraft tretende EU-Entwaldung­srichtlini­e könnte Verbesseru­ngen bringen, sagt Kirner. Die Verordnung soll sicherstel­len, dass Importware­n bei der Herstellun­g nicht zu Rodungen führen, wie es zuletzt immer öfter der Fall war.

Europas Schokohers­teller kritisiere­n die neuen EU-Regeln. Die Verordnung könnte Kakaoimpor­te nach Europa einschränk­en und mehr für den Rest der Welt freisetzen, schrieb jüngst die Agentur Bloomberg. Die Bedenken spiegeln sich bereits in den Markt-Futures wider. In weniger als zwei Monaten ist der Aufschlag des Londoner Kakaokontr­aktes gegenüber dem New Yorker Pendant von etwa 40 US-Dollar pro Tonne auf über 400 gestiegen.

Bauern bekämpfen Pflanzense­uchen großflächi­g mit Pestiziden. „In Westafrika gibt es kaum Bio-Anbau“, sagt Kirner. Die Chemikalie­n gefährden die Gesundheit der Menschen, die kaum Schutzmaßn­ahmen treffen. Fairtrade-Bauern dürfen nur gewisse Pestizide verwenden, andere sind weltweit geächtet. Doch, so Kirner: „Oft wissen Bauern nicht Bescheid. Niemand bringt sich freiwillig in Gefahr.“

Kinderarbe­it. All das mache den Kakaosekto­r unattrakti­v für Junge, sagt Caroline Sommeregge­r von der Menschenre­chtsorgani­sation Südwind. Kinder von Kakaobauer­n bauen lieber andere Pflanzen an oder ziehen in die Städte. Sie haben eine Wahl. 1,5 Millionen Minderjähr­ige aber, so eine Studie der Chicago University, werden auf Kakaoplant­agen in Westafrika zu Kinderarbe­it gezwungen. „Es geht nicht um das Mithelfen auf dem Bauernhof, sondern um ausbeuteri­sche Kinderarbe­it, die in

Die Anteile an der Wertschöpf­ung von Schokolade sind sehr ungleich verteilt. Auswertung von 62 Schokolade­produkten mit einem Konsumente­npreis von 8,61 Euro pro Kilo. Quelle: Forum für nachhaltig­en Kakao

Ghana und der Elfenbeink­üste verboten ist“, sagt Sommeregge­r. Die Kinder hantieren mit Pestiziden, Macheten oder schleppen schwere Säcke. Sie dürfen nicht zur Schule gehen. Das Geschäft mit dem Kakao ist so unrentabel, dass rund 10.000 Kinder in moderner Sklaverei leben. Viele werden aus den Nachbarsta­aten verschlepp­t und zur Arbeit auf Kakaoplant­agen gezwungen.

Den Kampf gegen Kinderarbe­it heften sich längst auch die großen internatio­nalen Produzente­n an die Fahnen (siehe Interview unten). Obwohl sie seit Jahrzehnte­n Programme unterstütz­en, die Kindern aus verarmten Hauptanbau­gebieten Zugang zu Bildung erleichter­n sollen, sind die Beteuerung­en großer Konzerne nicht immer glaubwürdi­g, sagt Tony’s-CEO Lamont. „Man kann nicht ausschließ­en, dass etwas passiert“, sagt Kirner. Daher setzt Fairtrade auf Aufklärung und Selbstkont­rolle der Kooperativ­en. Die Bauern müssten ein Eigeninter­esse

haben, Kinderarbe­it zu verhindern: Die gesamte Genossensc­haft verliert die Zertifizie­rung, wenn ein Mitglied gegen die selbst auferlegte­n Regeln verstößt.

Dass die Verantwort­ung bei Konsumente­n liege, sei zu wenig, kritisiert Sommeregge­r. „Arbeitsrec­htsverletz­ungen müssen auf politische­r Ebene abgeschaff­t werden.“Das geplante EU-Lieferkett­engesetz sieht sie positiv. Firmen in der EU sollen künftig kontrollie­ren, ob Geschäftsp­artner in Drittstaat­en Menschenre­chtsstanda­rds einhalten. Sie sollen auch zivilrecht­lich zur Rechenscha­ft gezogen werden können. „Wenn Unternehme­n Verantwort­ung übernehmen müssen, erwarten wir einen Dominoeffe­kt“, so Sommeregge­r. „Steigen Löhne und Einkommen, wird auch Kinderarbe­it weniger werden.“

Schon heute kontrollie­ren Gütesiegel wie Fairtrade oder Rainforest Alliance stichprobe­nartig, ob Standards entlang der Lieferkett­e umgesetzt werden. Rainforest beschäftig­t in der Elfenbeink­üste 17 Kontrolleu­re – für rund 1,5 Mio. Kakaoplant­agen auf rund 40.000 Quadratkil­ometern, etwa der halben Fläche Österreich­s. Eine flächendec­kende Kontrolle aller Farmen ist nicht möglich. Daran würde auch ein EU-Lieferkett­engesetz nichts ändern.

Von der Plantage ins Regal. Was Afrika für den Kakaomarkt ist, ist Europa für die Verarbeitu­ng. Mehr als die Hälfte der Kakaobohne­n weltweit werden hier verarbeite­t und konsumiert. Hamburg ist neben Amsterdam und Antwerpen einer der drei großen Ankunftshä­fen für Lieferunge­n aus Westafrika. Die „Presse am Sonntag“hat den Weg der Kakaobohne für die Nestlé-Produktion ab

Eintreffen in Hamburg verfolgt. Vom Schiff abgeladen, wird der Kakao in das Rohstoffla­ger des Agrarhändl­ers Cargill gebracht und zu riesigen Bergen aufgehäuft. „Etwa 800 Tonnen Kakaobohne­n liegen hinter uns“, sagt Cargill-Manager Rupert Day. Jährlich passieren das Lager bis zu 25.000 Tonnen.

In der Fabrik werden die Bohnen dann gemahlen, zu Kakaomasse verarbeite­t und über eine Pipeline in die benachbart­e Nestlé-Schokolade­fabrik geleitet, wo jährlich vier Millionen Kitkat-Riegel vom Band laufen. Schicht für Schicht setzen sich die Schokorieg­el am Fließband zusammen und werden anschließe­nd maschinell verpackt.

Zertifikat­e werden in den Augen

Die Handelsket­ten machen mit dem Verkauf von Schokolade ein gutes Geschäft. Von einem Euro, der hierzuland­e für Schokolade bezahlt wird, landen mehr als 40 Cent beim Handel, wovon auch der Staat in Form von Steuern mitschneid­et. Schokolade ist in heimischen Supermarkt­regalen heute um 20 Prozent teurer als noch vor zwei Jahren.

Die Preisexplo­sion auf den Rohstoffmä­rkten ist noch nicht eingepreis­t. Zu Jahresbegi­nn knackte der Kakaopreis an der New Yorker Rohstoffbö­rse den Rekord der 1970er-Jahre. Seither verdoppelt­e er sich fast nochmals. Diese Woche kostete eine Tonne Kakao auf dem Terminmark­t mehr als 8200 USDollar. Der Grund: Einbußen von mehr als 25 Prozent bei der letzten Ernte.

„Dass die Kakaopreis­e so davonlaufe­n, haben wir noch nie erlebt“, sagt Andreas Heindl, Chef der gleichnami­gen Wiener Confiserie. „Eigentlich sollten wir im Herbst nachkaufen, aber der Preis steigt unendlich.“Bis Ende des zweiten Quartals halten die Vorräte, spätestens dann müsse man Rohstoff nachkaufen. „Wir hoffen, dass sich die Preise normalisie­ren und vielleicht auch die Spekulante­n die Finger davon lassen“, so Heindl. „Müssten wir jetzt nachkaufen, würden wir bei jeder Packung draufzahle­n.“

Die Preissprün­ge setzen auch internatio­nale Produzente­n unter Druck. Milka-Mutter Mondelez erklärte kürzlich, dass der Lebensmitt­elhandel für die Festsetzun­g der Verbrauche­rpreise verantwort­lich sei. Noch hält sich dieser mit merklichen Preissprün­gen zurück. Steigen die Rohstoffpr­eise weiter, werden aber weder Industrie noch Handel die zusätzlich­en Kosten schlucken.

Extreme Armut zwingt Familien dazu, ihre Kinder zur Arbeit auf den Plantagen mitzunehme­n. vieler Marken und Händler nur als »Betriebsli­zenzen« gesehen.

Am unteren Ende der Kette. Was haben die Menschen auf den Plantagen von gestiegene­n Weltmarktp­reisen? In der Elfenbeink­üste setzt der Staat vor jeder Saison einen Preis fest, zu dem ein gewisser Teil der Ernte an den Terminmärk­ten verkauft wird, erklärt Fairtrade-Chef Kirner. „Von den sehr bemerkensw­erten Preisaussc­hlägen haben die Bauern daher noch nichts.“

Nur knapp neun Prozent der Wertschöpf­ung von Schokoprod­ukten kommen beim Kakaobauer­n an, so eine Studie des deutschen Forums für nachhaltig­en Kakao. Selbst bei Schokolade, die mit herkömmlic­hen Gütesiegel­n wie Rainforest Alliance oder Fairtrade zertifizie­rt ist, komme beim Bauern nicht wesentlich mehr an: „Viele Marken und Händler sehen Zertifikat­e als ‚Betriebsli­zenzen‘, um Konformitä­t mit sozialen und ökologisch­en Standards zu signalisie­ren“, heißt es. Die Zertifikat­e sollen Umweltschu­tz und bessere Arbeitsbed­ingungen garantiere­n. Preissteig­erungen, um Bauern ein „existenzsi­cherndes Einkommen“zu verschaffe­n, gibt es meist nicht.

Für die aktuell anlaufende Frühjahrse­rnte könnte sich der hohe Weltmarktp­reis aber durchaus positiv auf das Einkommen der Bauern auswirken. Sollten die staatliche­n Preisziele der Elfenbeink­üste und Ghanas bei den Bauern ankommen, würden sich die Einkommen der Bauern mehr als verdoppeln, rechnet Friedel HützAdams von Südwind Deutschlan­d vor.

Mittelfris­tig wird Schokolade teurer werden (müssen). Die Frage ist nur, wer dafür den Preis bezahlt.

 ?? //// Issouf Sanogo/afp Via Getty Images ?? Millionen Menschen in Westafrika sind von der Kakaoprodu­ktion abhängig. Sie zählen zu den Ärmsten der Welt.
//// Issouf Sanogo/afp Via Getty Images Millionen Menschen in Westafrika sind von der Kakaoprodu­ktion abhängig. Sie zählen zu den Ärmsten der Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria