Ostern 24: Superchips und Kriegswirtschaft
Der nächste Schritt in eine digitale Zukunft mit künstlicher Intelligenz, parallel zu einem für unmöglich gehaltenen Revival der Rüstungsindustrie, verlangt uns gerade den maximalen Spagat ab.
Wo merkt man zuerst, ob eine Zukunftstechnologie in der Realität angekommen ist? An der Börse! Der US-Chiphersteller Nvidia, der sich auf Halbleiterplättchen für selbstlernende Maschinen spezialisiert hat, ist auf dem Weg, eines der wertvollsten Unternehmen der Welt zu werden, Giganten wie Apple und Amazon gar zu überholen. „Nvidiawer?“, werden noch viele fragen.
Seit die künstliche Intelligenz die Digitalisierung zuerst in den Sonntagsreden abgelöst hat, dann den meisten Menschen über ihre Kinder in Form nicht selbst verfasster Hausaufgaben erstmals im echten Leben begegnet ist, überschlagen sich nun die Meldungen über neue Anwendungsformen Woche für Woche. Von den einen verteufelt, weil dystopische Zustände wie in „Terminator“drohen, in denen die Maschinen die Menschen beherrschen. Von den anderen als Universalschlüssel für alle Probleme propagiert, mit der wohligen (?) Vision einer Menschheit in Wohlstand und Freizeit, die
KI-Anwendungen wertschöpfen lässt. Die Wahrheit wird wohl, wie meistens, irgendwo in der Mitte liegen. Weggehen werden die genialen Automaten jedenfalls sicher nicht mehr. Ein Blick an die Börse genügt eben.
Doch als wäre dieser nächste Schritt in Richtung Science-Fiction nicht aufregend genug, gibt es parallel eine Art Schubumkehr tief in das 20. Jahrhundert hinein. Die EU plant eine Kriegsanleihe mit Eurobonds, der französische Präsident, Emmanuel Macron, droht privaten Rüstungsfirmen unverhohlen mit Kriegswirtschaft, und die Waffenindustrie wirft die Produktion von Panzern, Bomben und Munition mit Extraschichten an.
Erfindergeist und Abgrund. Auch wenn in vielen Waffen längst nicht mehr nur Tonnen von Stahl und Sprengstoff stecken, sondern jede Menge Hightech (vermutlich bald auch haufenweise Nvidia-Chips), fühlt sich das Zusammentreffen dennoch wie ein großer Widerspruch an. Hier die nächste Stufe menschlichen Erfindergeists, mit der die Eroberung eines neuen, digitalen Kontinents möglich wird, dort der Blick in einen überwunden geglaubten Abgrund voller Leid und Zerstörung. Doch wird uns der Spagat, der beide parallelen Entwicklungen nicht als bloßen Widerspruch, sondern als Ausfluss ein und derselben Welt begreift, nicht erspart bleiben. Keine Entwicklung ist unumkehrbar, die Absicherung des Erreichten bleibt oberste Priorität. Gerade im Superwahljahr fällt auf, wie sehr es auch in stabilen Demokratien im Gebälk der Institutionen knirscht. Es erinnert uns daran, nur ja nichts, das lang erkämpft werden musste, für selbstverständlich zu halten. Das gilt zuallererst für Demokratie, Freiheit und Frieden.
Ostern ist nicht nur im christlichen Sinne das Fest der Hoffnung, sondern im aufkeimenden Frühling von Vorfreude und Zuversicht begleiteter Wendepunkt. Die internationale Lage will dazu so gar nicht passen. Doch das macht die Hoffnung ja gerade aus, dass sie die Konturen des Positiven auch zu sehen vermag, wenn diese gerade nicht so klar zu erkennen sind. Ich wünsche Ihnen frohe Ostern!
» Nur ja nichts, das lang erkämpft werden musste, für selbstverständlich halten. «
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