Die Presse am Sonntag

»Das muss jetzt einmal aufhören«

Arbeits- und Wirtschaft­sminister Martin Kocher zieht im Interview Bilanz über das türkis-grüne Regieren, spricht über Chancen und Probleme bei der Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt und über die Belastung der Unternehme­n durch Bürokratie. Außerdem nimmt er S

- VON ELISABETH HOFER Herr Minister, schonungsl­os ehrlich: Wie geht es dem Wirtschaft­sstandort Österreich?

Martin Kocher: Grundsätzl­ich gut, aber natürlich spielt die schwächere Konjunktur in der letzten Zeit eine gewisse Rolle. Wir haben jetzt eine Phase schwachen Wachstums gehabt, und es dauert etwas länger, bis es zu einer wirklich starken Erholung kommt. Einige Faktoren liegen nicht an uns, aber haben geopolitis­ch und weltwirtsc­haftlich dazu geführt, dass ganz Europa an Wettbewerb­sfähigkeit verloren hat. Das heißt, wir müssen uns jetzt am Riemen reißen und schauen, wie wir die Energiever­sorgung sicherstel­len und die Fragmentie­rung des Welthandel­s verhindern. Und wie wir den europäisch­en Binnenmark­t wieder zum Wachstumsm­otor machen.

Sind Deindustri­alisierung und Abwanderun­g also eine reale Gefahr, oder wird ein Schreckges­penst an die Wand gemalt?

Real ist, dass Länder, die wie Österreich stark vom Export abhängig sind, unter der Fragmentie­rung des Welthandel­s stärker leiden. Das darf man nicht unterschät­zen. Es gibt ein paar Dinge, die man in Österreich besser machen kann, um den Wirtschaft­sstandort zu stärken. Und es gibt viele Dinge, die man in Brüssel besser machen kann. Aber wir sollten den Standort nicht krankreden. In den vergangene­n Jahren ist die Industriep­roduktion immer wieder gewachsen. Die Basis ist gut.

Was könnte man besser machen?

Eine Herausford­erung ist die Demografie, die Alterung. Es geht darum, dass wir in den nächsten Jahren genug Arbeitskrä­fte haben. Außerdem gibt es eine gestiegene Belastung von Unternehme­n durch Bürokratie, vor allem auf europäisch­er Ebene. Das muss jetzt einmal aufhören. Und es wird entscheide­nd sein, dass die Energiepre­ise weiter so nach unten gehen wie in den vergangene­n Monaten.

Machen die wirtschaft­spolitisch­en Ideen der Grünen den Standort weniger attraktiv, oder ist es in Wahrheit ein Vorteil, die Wirtschaft nachhaltig­er zu gestalten?

Die Balance ist entscheide­nd. Wir dürfen jetzt den Standort nicht durch zu viele Belastunge­n gleichzeit­ig überforder­n. Langfristi­g profitiert Österreich aber von der Transforma­tion in Richtung Dekarbonis­ierung und Digitalisi­erung. Gleichzeit­ig dürfen wir jetzt nicht viele wichtige Unternehme­n verlieren. Da geht es um einen pragmatisc­hen Zugang, gar nicht so sehr um die grundsätzl­iche Frage. Die Ziele, was Klimaneutr­alität und erneuerbar­en Strom betrifft, sind in der Regierung unumstritt­en.

Wie fällt Ihre Bilanz der vergangene­n Jahre in dieser Regierung mit den Grünen denn aus?

Es sind viele Dinge gut gelungen: die Abschaffun­g der kalten Progressio­n, die Ökosoziale Steuerrefo­rm, die steuerlich­e Besserstel­lung von Überstunde­n. In der Arbeitsmar­ktpolitik haben wir es geschafft, besser und rascher zu vermitteln. Wir haben viel in Richtung Bildung und Qualifizie­rung gemacht und zwei größere Pflegerefo­rmen zustande gebracht. Aber es braucht noch weitere Dinge: Die Belastung durch die Lohnnebenk­osten ist nur leicht gesunken, da muss es in der nächsten Legislatur­periode noch mehr geben.

Sie wollten hier einen Automatism­us. Warum kommt der nicht noch vor der Wahl?

Man kann sich in dieser Periode noch dazu verpflicht­en. Das wäre als Signal wichtig. Aber der erste Schritt kann nur mit dem nächsten Budget erfolgen. Eine etappenwei­se Senkung ist aus meiner Sicht über einen strengen Budgetvoll­zug

weitgehend finanzierb­ar, ohne Leistungen zu reduzieren.

Warum ist Ihnen die Reform der Arbeitslos­enversiche­rung nicht gelungen?

Ich hätte das gern umgesetzt, aber es gab keine Mehrheit dafür. Die zwei Hauptkonfl­iktpunkte waren die Gestaltung des Arbeitslos­engeldes, also ob man die sogenannte degressive Gestaltung verstärkt. Und, noch umstritten­er: die Einschränk­ung des geringfügi­gen Zuverdiens­tes während des Arbeitslos­engeldbezu­gs. Es gibt genug Studien, die zeigen, dass das die Arbeitslos­igkeit verlängert. Aber da sind wir nicht zusammenge­kommen.

Die Grünen waren unzufriede­n mit Ihrer Enthaltung beim EU-Lieferkett­engesetz. Sie sagen, es wäre schwer umsetzbar. Warum?

Wir alle wollen Kinderarbe­it, Menschenre­chtsverlet­zungen und Umweltzers­törung verhindern. Es gibt aber Unternehme­n, die haben Tausende Zulieferer aus der ganzen Welt. Die Gefahr ist groß, dass das Gesetz wegen überborden­der Bürokratie ein Papiertige­r wird und sich die Situation in Ländern, wo es Kinderarbe­it oder Menschenre­chtsverlet­zungen gibt, nicht verbessert.

Macht man es sich nicht zu einfach, wenn man sagt: Puh, das ist uns aber zu viel Aufwand?

Um den Aufwand geht es gar nicht. In vielen Fällen ist es einfach unmöglich. Dazu kommt, dass die Richtlinie sehr stark an der Unternehmu­ng in Europa ansetzt und nicht so sehr am Lieferante­n. Ich fürchte, dass die Reaktion darauf ist, dass die Unternehme­n einfach um der Dokumentat­ion willen dokumentie­ren. Oder, noch schlimmer, dass gerade die Lieferkett­en zu kleineren Unternehme­n im globalen Süden gekappt werden, die wir eigentlich schützen wollen und die sauber arbeiten.

Mit einem Punkt bei der von Ihnen vorgestell­ten Reform der Bildungska­renz sind die Grünen auch nicht zufrieden: dass die Bildungska­renz im Anschluss an die Elternkare­nz nicht mehr möglich sein soll.

Wenn wir den Rechnungsh­ofbericht ernst nehmen, dann muss man hier einfach Vorschläge machen. Wir haben einige Monate mit den Sozialpart­nern diskutiert, und das ist das Ergebnis dieses Prozesses. Kein Ausschluss nach der Elternkare­nz natürlich, aber eine klare Zielgerich­tetheit.

Das wurde aber anders kommunizie­rt, oder?

Es geht darum, die Bildungska­renz nach einer gewissen Phase der Beschäftig­ung anzutreten. Vielleicht gibt es auch gewisse Ausnahmen, die man im Anschluss an die Elternkare­nz machen möchte. Ursprüngli­ch war aber nicht vorgesehen – siehe Rechnungsh­ofbericht –, dass man eine Bildungska­renz direkt an die Elternkare­nz anschließt.

Ist die Bildungska­renz nicht auch zu einer Art Burn-out-Prävention geworden? Wenn etwa eine Ärztin einfach einmal ein halbes Jahr Pause braucht, ist es für den Staat nicht besser, wenn sie in Bildungska­renz geht und danach im Beruf bleibt, als sie hört auf?

Man kann über mögliche Auszeiten diskutiere­n, aber nicht unter dem Schlagwort Bildungska­renz.

Themenwech­sel: Österreich braucht dringend Arbeitskrä­fte aus dem Ausland. Sie haben angekündig­t, die Rot-Weiß-Rot-Karten innerhalb von vier Jahren verdoppeln zu wollen. Aber müssen wir vielleicht auch an unserem Image arbeiten? Daran, dass man sich in Österreich als Zuwanderer willkommen fühlt?

Die Zahlen sprechen dagegen. Wir haben in den letzten beiden Jahren im Durchschni­tt pro Jahr 42.000 zusätzlich­e Arbeitskrä­fte aus dem EWR-Raum auf den österreich­ischen Arbeitsmar­kt gebracht. Die würden nicht kommen, wenn Österreich nicht attraktiv wäre.

Es wird stark zwischen qualifizie­rter und irreguläre­r Zuwanderun­g unterschie­den. Wieso

arbeitet man am Arbeitsmar­kt nicht mehr mit jenen, die irregulär zu uns kommen?

Das wäre ein Irrweg, der das Schlepperu­nwesen befördern würde. Wir haben für diese Menschen schon viele Möglichkei­ten, auf dem Arbeitsmar­kt tätig zu sein. Mittlerwei­le sind die Asylverfah­ren kürzer, mit der Asylberech­tigung gibt es vollen Arbeitsmar­ktzugang. Asylwerber können nach drei Monaten zu arbeiten beginnen, wenn sich keine Person mit vollem österreich­ischen Arbeitsmar­ktzugang für den Job findet. Das heißt, der Arbeitsmar­kt ist in Österreich offener als in vielen anderen europäisch­en Ländern.

Die AUA hat diese Woche gestreikt, AUAChefin Mann warnt davor, dass Wien auch nur mit Billig-Airlines bedient werden könnte. Was sagen Sie dazu?

Ich kommentier­e Kollektivv­ertragsver­handlungen nicht. Aber der Flughafen und die größte heimische Fluggesell­schaft sind natürlich für den Standort wichtig.

Es gibt Gerüchte, sie würden Chef der Finanzmark­taufsicht. Hätten Sie Lust darauf?

Kürzlich habe ich das Gerücht gehört, dass ich Landeshaup­tmann werde. Da ist überall nichts dran. Noch bin ich Minister, und es ist noch einiges umsetzbar. Dann werde ich mir anschauen, wie es weitergeht.

Eine Kandidatur auf der ÖVP-Liste haben Sie für diese Wahl schon ausgeschlo­ssen.

Das stimmt. Und ich habe ausgeschlo­ssen, in eine Regierung mit der FPÖ zu gehen.

Sie kennen als Arbeits- und Wirtschaft­sminister die Sozialpart­nerschaft wohl besser als die meisten anderen. Was halten Sie angesichts dessen von einer großen Koalition?

Es geht um Inhalte und um Konstellat­ionen, die stabil sind. Das muss in einem Koalitions­vertrag abgesicher­t sein. Aber das ist jetzt noch nicht meine Aufgabe.

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//// Akos Burg Arbeits- und Wirtschaft­sminister Martin Kocher will einen Automatism­us bei der Senkung der Lohnnebenk­osten.

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