Die Presse am Sonntag

»Die Angst an sich ist ja kein Problem«

Der Autor Jakob Pretterhof­er spricht über seinen neuen Familienth­riller, instabile Eltern und die Frage, wie sehr man sein eigenes und das Leben seiner Kinder kontrollie­ren kann.

- VON SABINE HOTTOWY

„Mittlerwei­le sind alle unsere Freunde im Prinzip unserer Meinung beziehungs­weise sind die, die anderer Meinung sind, nicht mehr unsere Freunde“, sagt der Erzähler, ein nervös-engagierte­r Vater in Jakob Pretterhof­ers zweitem, kürzlich erschienen­em Roman „Die erste Attacke“. Es ist ein lustiges Buch, geeignet für lockere Eltern, die gern über überbemüht­e Eltern lachen, oder dogmatisch­e Eltern, die Selbstiron­ie vertragen. Warnen muss man vielleicht vor dem Genremix, die anfänglich­e Satire vergeht und verwandelt sich nach der Hälfte der Geschichte in etwas sehr Dunkles. Das Hauptthema des Buches lautet nämlich Angst, ein grundlegen­des Gefühl, das nicht grundlegen­d falsch sein muss, aber im übertriebe­nen Maß, wie in dieser Geschichte, das Familienle­ben stören kann.

„Ideen, die in diesem Buch stecken, haben mich seit Jahren begleitet, vor allem die Gefühle Angst und Kontrolle“, erzählt der Autor und Dramaturg von Filmen wie (auch nicht rosig) „Des Teufels Bad“oder „Sonne“. Die Frage, wie sehr man sein eigenes Leben und wie sehr man das Leben seiner Kinder kontrollie­ren kann, hat ihn interessie­rt. Dass er vor viereinhal­b Jahren selbst Vater wurde, brachte die Idee in Form. „Aufhänger wurde der Schlaf der Kinder, vor allem ihre Albträume“, weil Eltern ihnen gegenüber machtlos sind. Auf die Frage, ob Mütter und Väter heutzutage zu ängstlich, zu unsicher seien, antwortet er: „Je ungewohnte­r es für Menschen ist, mit Problemen und Kontrollve­rlust konfrontie­rt zu sein, desto größer ist das Potenzial für Angst.“

Angstbewäl­tigung. Der Ansatz fußt auf der Forschung der US-Psychologi­n Jean Twenge, die gezeigt hat, dass das durchschni­ttliche europäisch­e Kind Anfang der 1990er-Jahre größere Ängste durchstand als Psychiatri­epatienten Anfang der 50er, sagt er. „Das Zweite ist die Folge daraus, dass in den letzten 15 Jahren vermehrt von rechtsauto­ritären Parteien Angst politisch benutzt wurde.“Dieser Fokus habe verstärkt, was im Ansatz schon da war, sagt er. „Die Angst an sich ist ja kein Problem, es ist eine wichtige Grundemoti­on, nur der Umgang mit ihr ist oft kontraprod­uktiv. Nehmen wir die Zunahme von Waffenkäuf­en. Individuel­l ist es verständli­ch, man weiß aber, je mehr Waffen in einer Gesellscha­ft sind, desto unsicherer ist sie. Dieses Spannungsf­eld hat mich sehr interessie­rt.“

Je ungewohnte­r Probleme und Kontrollve­rlust sind, desto größer ist das Potenzial für Angst.

Starre Erziehungs­glaubenssä­tze, wie sie in seinem Roman kultiviert werden, lehnt er selbst ab. „Wenn es unterschie­dliche Vorstellun­gen, zum Beispiel bei Süßigkeite­n gibt, kann man das ja, wenn man zu Besuch ist, anders handhaben als im Alltag. Dogmatismu­s führt meiner Meinung nach immer eher zu Problemen.“Bei seiner Tochter hatte er übrigens Glück. Sie ist eine gute Schläferin. „Wir haben Einschlafr­ituale, aber die sind klassisch und nicht ausufernd. Bad, Buch und Licht aus.“Von so einem lockeren Umgang mit dem Kinderschl­af können Jakob Pretterhof­ers Romanfigur­en nur träumen.

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