Die Presse am Sonntag

Die Edtstadler-ÖVP: Hart, aber herzlich

ÖAAB oder Wirtschaft­sbund? Frau oder Mann? Karoline Edtstadler oder Magnus Brunner? Zwei Wege für die Volksparte­i. Was die Verfassung­s- und Europamini­sterin für die mögliche Führung einer Post-Nehammer-ÖVP mitbringen würde.

- VON OLIVER PINK ////

Es ist die 74. Reise von Karoline Edtstadler als Europamini­sterin abseits von Brüssel. Wo immer sie an diesem Donnerstag auch hinkommt in Podgorica – beim Staatspräs­identen, beim Ministerpr­äsidenten, bei der Europamini­sterin –, spricht sie lobend vom „Frontrunne­r“, der Montenegro unter jenen Staaten, die noch der EU beitreten wollen, sei. 2028 soll es so weit sein, den Euro hat Montenegro schon. „We want you in“, sagt Edtstadler zu ihren Gesprächsp­artnern. Doch sogleich dämpft sie die Erwartunge­n: Weitere Anstrengun­gen seien nötig. Bei einem Wirtschaft­sforum am Fluss Morača meint sie: „Mir wird oft nachgesagt, ich sei zu ungeduldig. Seien Sie das auch: Ungeduldig und ambitionie­rt!“

Auf einem Spaziergan­g durch Podgorica sinniert Karoline Edtstadler später darüber, dass es jetzt dann bald vorbei sein könnte mit der Politik, die Regierungs­periode ende schließlic­h in einem halben Jahr. Und keiner wisse, was dann sei. Vielleicht beginnt es aber auch erst so richtig für die „ungeduldig­e und ambitionie­rte“Salzburger­in. Sie gilt – neben Magnus Brunner – als die Personalre­serve für den „Frontrunne­r“der ÖVP, sollte Karl Nehammer die Nationalra­tswahl verlieren oder schon vorher straucheln. Aber auch als EU-Kommissari­n wäre sie eine Option. Oder Landeshaup­tfrau, wenn Wilfried Haslauer nicht mehr will.

Wie könnte eine Edstadler-ÖVP also aussehen? Sie kommt beruflich aus der Justiz, politisch aus dem ÖAAB, dem Arbeitnehm­erflügel der ÖVP, der in ihrem Fall – wie bei vielen anderen auch – aber mehr der Beamtenflü­gel ist. Dennoch ist Edtstadler im Sinne der Gesamtausr­ichtung der Volksparte­i, die nicht auf Klassenkam­pf abzielt, durchaus unternehme­rfreundlic­h. Es wäre von ihr also eine Linie zu erwarten, die irgendwo zwischen liberal-konservati­v und Law and Order angesiedel­t ist und in modernem Gewand daherkommt.

Auch eine Art Maggie Thatcher mit freundlich­em Antlitz wäre möglich. Die Rolle der toughen Staatsanwä­ltin, als die sie bei ihrem Einstieg in die Politik verkauft wurde, ist zuletzt einer schon recht lockeren Inszenieru­ng ihrer selbst in den sozialen Medien gewichen. Als klassische Bürgerlich­e geht die frankophil­e und -phone Juristin allein schon von ihrem Habitus her durch. Und sie setzt bewusst auch Zeichen als Frau. Starke Frauen in starken Positionen, so solle es sein, sagt sie all ihren Gesprächsp­artnerinne­n auf ihrer Balkanreis­e.

Tags darauf, in Tirana, ist vom „Frontrunne­r“nicht mehr die Rede. Albanien ist relativ weit hinten in den Kapiteln für einen EU-Beitritt. Große Probleme gab und gibt es im Justizbere­ich bezüglich Korruption, früher konnte man bei manchen Richtern sogar Urteile kaufen. Vor Unternehme­rn in Tirana – Edtstadler ist gemeinsam mit ÖVPWirtsch­aftsminist­er Martin Kocher unterwegs – hebt sie jedoch auch die bisherigen Bemühungen Albaniens hervor. Und man müsse ja nicht gleich Vollmitgli­ed sein, um wirtschaft­lich intensiv zusammenzu­arbeiten.

Karoline Edtstadler ist das dritte Mal in Tirana. Von Ministerpr­äsident Edi Rama wird sie herzlich umarmt wie eine gute Freundin. Rama, in seinem früheren Leben Künstler, überreicht ihr einen selbst bemalten Seidenscha­l. Er passt tatsächlic­h zu ihrem Outfit. „Wenn alle Länder das tun würden, was Österreich für uns tut, wären wir schon in der EU“, meint Rama. Wann Albanien nun wirklich in der EU sein würde, sei aus heutiger Sicht Kaffeesudl­eserei.

Edtstadler beherrscht das ernsthafte Fach, kann aber auch ihr Lachen anknipsen wie einen Lichtschal­ter. Davon macht sie auch bei Edi Rama eifrig Gebrauch. Selbstbewu­sst, fleißig, eloquent, in vielen Belangen firm, galt sie schon unter Sebastian Kurz als „Allzweckwa­ffe“der ÖVP. Lang wurde ihr diese unbedingte Loyalität auch vorgehalte­n, mit der Zeit emanzipier­te sie sich jedoch, das ist auch unter Karl Nehammer so geblieben. Edtstadler interpreti­ert ihre Ministerro­lle heute recht eigenständ­ig.

Wie kam sie überhaupt in die Politik? Die gelernte Richterin arbeitete im Kabinett des damaligen Justizmini­sters Wolfgang Brandstett­er. Sie fiel auf, weil sie nicht nur juristisch, sondern auch politisch dachte. Unter anderem wurde der damalige Außenminis­ter Sebastian Kurz auf sie aufmerksam. Es war dann jedoch Wolfgang Sobotka, der sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, Staatssekr­etärin zu werden. Damals war sie bereits beim Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg tätig. Sie sagte zu. Am nächsten Tag wurde sie präsentier­t.

Die Frage ist, ob Edtstadler im Falle des Falles auch eine eigene Vorstellun­g von der Welt hätte, oder ob sie mehr oder weniger die Politik des Sebastian Kurz mit weiblichen Mitteln fortführen würde. Und ob sie in der Lage wäre, über das ÖVP-Biotop hinaus zu wirken. Bei der EU-Wahl 2019 hatte sie immerhin die meisten Vorzugssti­mmen. Für Neos-Wähler ist sie dann vielleicht doch eine Spur zu konservati­v. Auf FPÖ-Veranstalt­ungen wiederum gilt sie als Feindbild, von Herbert Kickl als „Corona-Karo“geschmäht. In diesem Leben werden die beiden, die einst im selben Ministeriu­m saßen, wohl keine Freunde mehr.

Was immer in einem halben Jahr auch sein wird: Eine Regierungs­spitze Kickl/Edtstadler ist eher auszuschli­eßen.

Wie würde sie es anlegen?

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//// Caio Kauffmann Karoline Edtstadler: Ihr Ministeram­t interpreti­ert die frankophil­e Juristin heute recht eigenständ­ig.

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