Die Edtstadler-ÖVP: Hart, aber herzlich
ÖAAB oder Wirtschaftsbund? Frau oder Mann? Karoline Edtstadler oder Magnus Brunner? Zwei Wege für die Volkspartei. Was die Verfassungs- und Europaministerin für die mögliche Führung einer Post-Nehammer-ÖVP mitbringen würde.
Es ist die 74. Reise von Karoline Edtstadler als Europaministerin abseits von Brüssel. Wo immer sie an diesem Donnerstag auch hinkommt in Podgorica – beim Staatspräsidenten, beim Ministerpräsidenten, bei der Europaministerin –, spricht sie lobend vom „Frontrunner“, der Montenegro unter jenen Staaten, die noch der EU beitreten wollen, sei. 2028 soll es so weit sein, den Euro hat Montenegro schon. „We want you in“, sagt Edtstadler zu ihren Gesprächspartnern. Doch sogleich dämpft sie die Erwartungen: Weitere Anstrengungen seien nötig. Bei einem Wirtschaftsforum am Fluss Morača meint sie: „Mir wird oft nachgesagt, ich sei zu ungeduldig. Seien Sie das auch: Ungeduldig und ambitioniert!“
Auf einem Spaziergang durch Podgorica sinniert Karoline Edtstadler später darüber, dass es jetzt dann bald vorbei sein könnte mit der Politik, die Regierungsperiode ende schließlich in einem halben Jahr. Und keiner wisse, was dann sei. Vielleicht beginnt es aber auch erst so richtig für die „ungeduldige und ambitionierte“Salzburgerin. Sie gilt – neben Magnus Brunner – als die Personalreserve für den „Frontrunner“der ÖVP, sollte Karl Nehammer die Nationalratswahl verlieren oder schon vorher straucheln. Aber auch als EU-Kommissarin wäre sie eine Option. Oder Landeshauptfrau, wenn Wilfried Haslauer nicht mehr will.
Wie könnte eine Edstadler-ÖVP also aussehen? Sie kommt beruflich aus der Justiz, politisch aus dem ÖAAB, dem Arbeitnehmerflügel der ÖVP, der in ihrem Fall – wie bei vielen anderen auch – aber mehr der Beamtenflügel ist. Dennoch ist Edtstadler im Sinne der Gesamtausrichtung der Volkspartei, die nicht auf Klassenkampf abzielt, durchaus unternehmerfreundlich. Es wäre von ihr also eine Linie zu erwarten, die irgendwo zwischen liberal-konservativ und Law and Order angesiedelt ist und in modernem Gewand daherkommt.
Auch eine Art Maggie Thatcher mit freundlichem Antlitz wäre möglich. Die Rolle der toughen Staatsanwältin, als die sie bei ihrem Einstieg in die Politik verkauft wurde, ist zuletzt einer schon recht lockeren Inszenierung ihrer selbst in den sozialen Medien gewichen. Als klassische Bürgerliche geht die frankophile und -phone Juristin allein schon von ihrem Habitus her durch. Und sie setzt bewusst auch Zeichen als Frau. Starke Frauen in starken Positionen, so solle es sein, sagt sie all ihren Gesprächspartnerinnen auf ihrer Balkanreise.
Tags darauf, in Tirana, ist vom „Frontrunner“nicht mehr die Rede. Albanien ist relativ weit hinten in den Kapiteln für einen EU-Beitritt. Große Probleme gab und gibt es im Justizbereich bezüglich Korruption, früher konnte man bei manchen Richtern sogar Urteile kaufen. Vor Unternehmern in Tirana – Edtstadler ist gemeinsam mit ÖVPWirtschaftsminister Martin Kocher unterwegs – hebt sie jedoch auch die bisherigen Bemühungen Albaniens hervor. Und man müsse ja nicht gleich Vollmitglied sein, um wirtschaftlich intensiv zusammenzuarbeiten.
Karoline Edtstadler ist das dritte Mal in Tirana. Von Ministerpräsident Edi Rama wird sie herzlich umarmt wie eine gute Freundin. Rama, in seinem früheren Leben Künstler, überreicht ihr einen selbst bemalten Seidenschal. Er passt tatsächlich zu ihrem Outfit. „Wenn alle Länder das tun würden, was Österreich für uns tut, wären wir schon in der EU“, meint Rama. Wann Albanien nun wirklich in der EU sein würde, sei aus heutiger Sicht Kaffeesudleserei.
Edtstadler beherrscht das ernsthafte Fach, kann aber auch ihr Lachen anknipsen wie einen Lichtschalter. Davon macht sie auch bei Edi Rama eifrig Gebrauch. Selbstbewusst, fleißig, eloquent, in vielen Belangen firm, galt sie schon unter Sebastian Kurz als „Allzweckwaffe“der ÖVP. Lang wurde ihr diese unbedingte Loyalität auch vorgehalten, mit der Zeit emanzipierte sie sich jedoch, das ist auch unter Karl Nehammer so geblieben. Edtstadler interpretiert ihre Ministerrolle heute recht eigenständig.
Wie kam sie überhaupt in die Politik? Die gelernte Richterin arbeitete im Kabinett des damaligen Justizministers Wolfgang Brandstetter. Sie fiel auf, weil sie nicht nur juristisch, sondern auch politisch dachte. Unter anderem wurde der damalige Außenminister Sebastian Kurz auf sie aufmerksam. Es war dann jedoch Wolfgang Sobotka, der sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, Staatssekretärin zu werden. Damals war sie bereits beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg tätig. Sie sagte zu. Am nächsten Tag wurde sie präsentiert.
Die Frage ist, ob Edtstadler im Falle des Falles auch eine eigene Vorstellung von der Welt hätte, oder ob sie mehr oder weniger die Politik des Sebastian Kurz mit weiblichen Mitteln fortführen würde. Und ob sie in der Lage wäre, über das ÖVP-Biotop hinaus zu wirken. Bei der EU-Wahl 2019 hatte sie immerhin die meisten Vorzugsstimmen. Für Neos-Wähler ist sie dann vielleicht doch eine Spur zu konservativ. Auf FPÖ-Veranstaltungen wiederum gilt sie als Feindbild, von Herbert Kickl als „Corona-Karo“geschmäht. In diesem Leben werden die beiden, die einst im selben Ministerium saßen, wohl keine Freunde mehr.
Was immer in einem halben Jahr auch sein wird: Eine Regierungsspitze Kickl/Edtstadler ist eher auszuschließen.