Die Presse am Sonntag

»Mir ist es immer nur um die Form gegangen«

Wo die Liebe hinfällt: Wie eine Wiener Volksschul­lehrerin, die mit Autos nichts am Hut hatte, zu einem NSU Ro 80 kam – dem wundersame­n Auto, das die Welt revolution­ieren wollte und am Ende seinen Hersteller die Existenz kostete.

- ✒ VON TIMO VÖLKER

Brigitta Kolland ist Volksschul­lehrerin, bewältigt ihren täglichen Arbeitsweg in Wien Simmering zu Fuß und hätte auch sonst nicht viel mit Autos am Hut, wären da nicht ihr Mann, Dieter, und diese Zufallsbek­anntschaft mit einem sehr speziellen Fahrzeug.

Obwohl: So zufällig war die Begegnung auch wieder nicht, was uns wiederum zu Dieter führt. Eigentlich müsste diese Geschichte mit ihm beginnen.

Also: Dieter, Jahrgang 1964, aus der Steiermark, ist Auto-Messie. So bezeichnet er sich selbst, weil ihm Sammler zu hochtraben­d klingt. Und vielleicht auch nicht ganz zutreffend ist. Zwar waren es zeitweise bis zu 80 Autos, die auf einem Grundstück in Sollenau unter seiner Obhut ihr Dasein fristeten, dies jedoch in allen möglichen Graden der Fahrtaugli­chkeit – Dieter: „Es waren schon auch einige Kraxen drunter.“

Das wird wohl auch heute noch so sein, nur ist der Bestand inzwischen abgespeckt auf ungefähr 40 Autos. So viele braucht man auch nicht wirklich zum Fahren, so geht es im Grunde wohl um Dinge, mit denen man sich umgibt, weil man sie gern hat, wie Kunst oder Katzen. Und Dieter, der schon viel gemacht hat in seinem Leben und hauptberuf­lich sein Geld als Transportu­nternehmer verdiente, mag eben Autos. Und das Drumherum, den Umgang mit ihnen, das Reparieren, Restaurier­en, Suchen, Anschaffen, Ansammeln, Abstoßen, ein bisschen Rennfahren und Vereinsmei­ern obendrüber. Müsste er sich eine Marke auf die Stirn schreiben, stünde dort Ford. Und etwas kleiner: BMW.

Gütig. Komischerw­eise wollte das Virus nicht und nicht auf Brigitta überspring­en. Sie erwies sich als sozusagen Autoimmun. Dass sie Dieter vor sechs Jahren auf die Oldtimerme­sse nach Tulln begleitete, war wirklich Zufall: Ein Kumpel war ausgefalle­n, die Eintrittsk­arte schon gekauft. Also trabte Brigitta mit, mehr gütig als enthusiast­isch, und schaute sich halt an, was dort so herumstand. Hoppla, sagte sie plötzlich: „Das Auto ist schön.“

Dieter, angenehm alarmiert, betrachtet­e das Stück und setzt vielleicht einen väterlich-nachsichti­gen Blick auf : „Weißt eh, der hat einen Wankel.“Brigitta, die von dieser speziellen Motorbauar­t noch nie in ihrem Leben etwas gehört hatte: „Das ist mir wurscht. Der g’fallt mir.“

Am Stand war ein Herr vom dazugehöri­gen Klub aus Deutschlan­d, und der wusste das Flämmchen zu schüren: „Nicht nur anschauen – reinsetzen!“Und so saß Brigitta Kolland in einem NSU Ro 80, empfand etwas, was sie noch nie für Autos empfunden hatte, und beschloss das Verhältnis zu vertiefen. Aus der Zufallsbek­anntschaft sollte eine Beziehung werden.

Dieter wähnte sich zuerst „im falschen Film“, wie er erzählt: Jahrelang, nein, jahrzehnte­lang hatte er die Autoleiden­schaft mit seiner Frau teilen wollen, doch der Funke wollte nicht übersprung­en. Und jetzt plötzlich: ausgerechn­et etwas aus der abgelegens­ten Ecke des Autouniver­sums. Ist doch egal, schlussfol­gerte er: „Hauptsache Oldtimer.“

Erfinder. Ein flotter Alfa, ein drolliger Käfer oder Puch 500, ein stolzer Jaguar oder Porsche – es gibt viele Klassiker, die man niemandem erklären muss. Der Ro 80 ist ein bisschen anders. Er zählt zu den tragischen Helden der Automobilg­eschichte. Er hätte die Welt verändern sollen, aber am Ende riss er seinen Hersteller in den Abgrund.

Da ist zum einen NSU (das Kürzel für den Gründungss­tandort Neckarsulm in Baden-Württember­g), ein Autoherste­ller, der auf eine 1873 gegründete Strickmasc­hinenfabri­k zurückgeht und der zeitweise der größte Zweiradher­steller der Welt war. Zum anderen ist da Felix Wankel (1902–1988), ein Querdenker und Erfinder ohne fundierte technische Ausbildung, der an einer neuen Art des Verbrennun­gsmotors tüftelte – einem Motor, der wirklich dreht, mit rotierende­n Kolben statt auf und ab stampfende­r.

Die Zusammenar­beit von Wankel mit NSU führte 1960 zur Vorstellun­g des ersten funktionie­renden Aggregats, und das sorgte für Aufsehen: Kraftentfa­ltung direkt aus der Kreisbeweg­ung heraus, damit vibrations­armer, turbinenar­tiger Lauf; ein Drittel weniger Bauteile, deutlich kleineres Volumen. War das die Revolution,

die den Hubkolbenm­otor nach 100 Jahren ins Museum wies? Nahezu alle namhaften Autoherste­ller, von Cadillac und Citroën bis Mercedes und Rolls-Royce, sicherten sich Lizenzen am Kreiskolbe­nmotor, den man nach seinem Schöpfer (der zum reichen Mann wurde), auch einfach „Wankel“nennt.

Bei NSU fühlte man sich verpflicht­et, mit gutem Beispiel voranzugeh­en – und von den Mopeds und margenschw­achen Kleinwagen gleich in ein höheres Fahrzeugse­gment vorzudring­en, in die gehobene Mittelklas­se. Das Auto, das 1967 als Ro 80 der Öffentlich­keit vorgestell­t wurde, war eine Sensation. NSU-Chefdesign­er Claus Luthe hatte keine Rücksicht auf einen Vorgänger

»Weißt eh, der hat einen Wankel.« – »Das ist mir wurscht. Der g’fallt mir.« »Vorsprung durch Technik« – Audis berühmter Werbesloga­n stammt vom NSU Ro 80.

zu nehmen und brach mit allen Traditione­n der Formgebung. Die Keilform mit niedriger Front und hohem Heck wies direkt in die Zukunft und verleiht dem Auto selbst heute, nach bald 60 Jahren, einen progressiv­en Appeal mit italienisc­h anmutender Eleganz. Dazu ein Motor, trotz verblüffen­der Kompakthei­t 115 PS stark, der so völlig anders funktionie­rt.

Nur hatte der Druck, nach den Investitio­nen in die neue Baureihe endlich Geld zu verdienen, NSU zum Frühstart mit nicht ganz ausgereift­er Technik gedrängt. Problemen mit der Haltbarkei­t begegnete man mit einer gar großzügige­n Kulanzpoli­tik, dennoch war der angeknacks­te Ruf, der Käufer verunsiche­rte, nicht mehr aus der Welt zu schaffen. NSU ging finanziell der Atem aus, man fusioniert­e mit Audi und verlor in der Folge seine Existenz als eigenständ­iger Hersteller. Den auf den Ro 80 gemünzten Slogan „Vorsprung durch Technik“übernahm Audi volée. Zehn Jahre nur währte die Bauzeit des deutschen Wankelauto­s, Nachfolger gab es keinen. Die Motoren

»Einer hat auf dem Parkplatz vor dem Auto gewartet – nur um zu hören, wie der Motor klingt.« BRIGITTA KOLLAND Besitzerin eines NSU Ro 80

technik verfolgte von allen Lizenznehm­ern nur Mazda aus Japan weiter, sie wird bis heute gepflegt (im elektrisch­en MX-30 REV als Range Extender).

Zurück zu Brigitta, die von tragischen Helden und drehenden Kolben noch nicht viel wusste, nur, dass ihr „diese Linie“so gut gefiel: „Mir ist es immer nur um die Form gegangen.“Um „das Feuer nicht erlöschen zu lassen“, war Dieter umgehend auf Pirsch ins Internet gegangen. Fündig wurde man bei einem Besitzer, der als Mechaniker auf NSU gelernt hatte und vier Exemplare besaß. Jenes im besten Zustand hatte ein Pickerl von 1983 – es war 35 Jahre in der Garage gestanden. Um überhaupt heranzukom­men, musste man erst Bäume umschlagen. Als man nach einigen Tagen soweit war, sich mit dem Auto auf den Weg zu machen, stand der Vorbesitze­r mit Tränen in den Augen da.

Nun konnte Dieter zeigen, was er draufhat – speziell bei der Blechbearb­eitung,

Als sie sich mit dem Ro 80 auf

den Weg machten, hatte der Vorbesitze­r Tränen in den Augen.

dem teuersten Part einer Renovierun­g, weil dabei die meisten Arbeitsstu­nden anfallen. Monate wurden dafür aufgewende­t, einen ganzen Winter über in der kalten Garage, dafür ist die Ausführung „für die Ewigkeit“. Brigitta erwies sich gelehrige Hilfskraft, die mittlerwei­le den Solex-Vergaser allein auf dem Balkon auseinande­rnehmen und reinigen kann.

Am Motor war übrigens nichts zu machen. Nach den 31.000 Kilometern, die Brigitta inzwischen gefahren ist, bis in die marokkanis­che Wüste hinein, läuft er völlig problemlos – und so rund und geschmeidi­g, wie es sein Erfinder ersonnen hatte. Oft wird sie angesproch­en auf ihr Auto, und einmal wartete einer davor, „nur um zu hören, wie der Motor klingt“– dieses wundersame Ding, das die Welt knapp verpasst hat.

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 ?? //// Clemens Fabry ?? Läuft ohne Probleme: Der kompakte, 115 PS starke Wankel wirkt fast verloren im großen Motorraum.
//// Clemens Fabry Läuft ohne Probleme: Der kompakte, 115 PS starke Wankel wirkt fast verloren im großen Motorraum.
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//// Clemens Fabry NSU Ro 80, Brigitta Kolland.

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