Die fabelhafte Welt der Eva R.
»Der Hamster mit der Löwenmähne« von Nicolas Garma-Berman ist intelligente Unterhaltung mit schrägem Personal und perfektem Sinn für Situationskomik und Sprachwitz.
Was Eva Rosset gar nicht mag: blauen Himmel und glückliche Menschen, eigentlich Menschen aller Art, vor allem jene, die in irgendeiner Form mit ihr kommunizieren wollen. Was Eva Rosset gern mag: Trübsal blasen und sich mit den Tieren in ihrer Werkstatt unterhalten, allen voran dem Hirsch Ernesto. Doch selbst diese Gesprächspartner strotzen nicht gerade vor Lebendigkeit, stellen sie doch die eher missglückten Anfänge von Evas Karriere als Tierpräparatorin dar.
In diesem halbdepressiven Gleichgewicht lebt die junge Frau in Alfortville, einem Pariser Vorort im Département Val-de-Marne, als eine Mutter mit ihrem siebenjährigen Sohn die Werkstatt betritt. Der Bub möchte seinen verstorbenen Hamster für die Nachwelt bewahren, allerdings als etwas ganz Besonderes: mit einer Löwenmähne. Und nachdem Eva dank ihrer Angststörung zwar sozial unverträglich sein mag, beruflich aber mittlerweile Perfektionistin ist, muss echtes Löwenhaar her und Eva in die Welt hinaus. Eine Entscheidung mit Folgen.
Diese Ausgangslage des Debütromans „Der Hamster mit der Löwenmähne“von Nicolas Garma-Berman zusammen mit dem Umschlagblatt des Buches legen eine völlig falsche Fährte: „Herzig“, denkt man, „etwas kindlich, vielleicht sogar kitschig.“Alle diese Vorurteile zerstört Garma-Berman bereits auf den ersten Seiten. Mit bösem Witz, gutem Timing und perfektem Sinn für Situationskomik entführt er die Leser in die ebenso fabelhafte wie surreale Welt der Eva R.
Gegen den Strich gebürstet. Nichts ist in „Der Hamster mit der Löwenmähne“wie es scheint, alles wird gegen den Strich gebürstet. Man nehme etwa den Jungen, der seinen geliebten Hamster ausstopfen lassen möchte und von dem man erwartet, dass er deshalb ein herzensgutes Kind ist. „Präparieren?“, fragt er nach, als Eva erklärt, was sie mit seinem verstorbenen Haustier vorhat. „Wie die Ausländer ihre Pässe? (…) Papa sagt, alle Ausländer präparieren ihre Pässe.“Die Aussicht, „für eine Familie zu arbeiten, die es geschafft hat, bereits einen Siebenjährigen zu einem ausländerfeindlichen Neurotiker zu machen“, begeistert Eva nicht. Aber sie ist jung und braucht das Geld. Und Ernesto, der Hirsch, rät ihr dringend, nicht schon wieder einen Kunden abzulehnen.
Nicolas Garma-Bermans Romandebüt „Der Hamster mit der Löwenmähne“wurde in Frankreich mit „Die fabelhafte Welt der Amélie“verglichen. Im Gegensatz zu dem Erfolgsfilm aus dem Jahr 2001 hat Garma-Bermans Roman allerdings einen düsteren Grundton, die Absurdität der Situationen fühlt sich zwar auch traumähnlich an, ist aber in realen Traumata verankert. Das dominierende Thema ist Verlustangst, unter der Eva nach dem frühen Tod ihrer Mutter leidet und die wohl auch die treibende Kraft hinter ihrer Berufswahl war.
Nicolas Garma-Berman verzaubert den Leser nicht nur dank seiner wunderbaren Sprache, sondern auch mithilfe des grandiosen Personals, das er Eva zur Seite stellt, allen voran ihr Nachbar.
Bobo mit kompostierbarem Umhang. Mit „Nachbar“knüpft sie bald zarte Bande, hat ihn aber in Verdacht, nicht der zu sein, als der er sich ausgibt: „Bobo auf den ersten Blick, aber es stimmt etwas nicht mit ihm; diese umweltbewussten Prinzipien, das Angepasste, das ist nur Fassade. Innerlich ist er so verrückt wie nur irgendwas (…). Er ist nicht der, der er gern wäre. Oder er ist es und versteckt in seinen Einkaufsbeuteln einen kompostierbaren Umhang, den er in Vollmondnächten hervorholt, um die Straßen des Val-de-Marne von boshaften Seelen zu befreien.“Ein intelligenter Feel-good-Roman mit Ecken und Kanten, die Garma-Bermans Witz nur noch schärfer hervortreten lassen.