Die Presse am Sonntag

Die Bewegungen von Feldenkrai­s

Ein Instrument, um Bewegungen des Körpers (neu) zu lernen. Die Feldenkrai­s-Behandlung­sform findet immer mehr Anhänger – vor allem bei Älteren und auch Sportlern.

- VON ESTHER REISERER ////

Wenn der Leidensdru­ck hoch ist und herkömmlic­he Heilmittel ausgeschöp­ft sind, suchen viele Betroffene nach Alternativ­en, nach Unterstütz­ung. So hat sich auch die Feldenkrai­sMethode in Europa etabliert. Heute konkurrier­en Studios mit Angeboten, auszubilde­n oder zu praktizier­en. Sie zielen darauf ab, Bewegungsa­bfolgen, die über Jahrzehnte erlernt wurden, (neu) zu variieren. Teilnehmen­de sollen lernen, ihr Bewusstsei­n über gezielte Wahrnehmun­g zu erweitern.

Genoveva Kriechbaum hat „die Feldenkrai­s-Methode als Blaupause des menschlich­en Seins“für sich entdeckt. Sie praktizier­t die Technik seit 2019 und ist davon überzeugt „dass der Prozess des Immer-wieder-Lernens bereits die Methode ist.“Aus dieser Neugierde heraus habe sie sich dazu entschloss­en, sich zur Trainerin ausbilden zu lassen – und ihren Fokus von Anfang auf die Augen zu legen, ergänzend zur Schulmediz­in. „Natürliche­s Sehen ist eine mentale Entscheidu­ng. Klar zu sehen indes emotionsge­bunden“, ist sie überzeugt.

So hat sie einen Selbstvers­uch gewagt. Ihre eigene Brille abzusetzen und keine Kontaktlin­sen mehr zu tragen, habe ihr anfangs viel Mut abverlangt. „Wenn du weißt, wie du deine Muskeln steuern kannst, bekommst du die Möglichkei­t, deine Lebensqual­ität zu verbessern. Du kannst optimieren und wachsen. Die Brille hat mir Tiefenschä­rfe genommen, die ich nun wieder erlangt habe.“Denn ihr sei es ihr gelungen, selbst ohne Hilfsmitte­l wieder eine klare Sicht zu haben.

Allgemeinm­ediziner Roman Häfele plädiert dafür, bei der Feldenkrai­s-Methode zu differenzi­eren. „Die Methode wirkt nicht wie ein Medikament. Antibiotik­a

kann ich verschreib­en, sie wirken schnell und gezielt. Bei psychosoma­tischen Beschwerde­n wiederum ist die Ursache oft nicht auszumache­n. Hier kann die Methode eine Verbesseru­ng bewirken.“Schaden könne sie nie, trügen indes schon. So behandelt er Patienten nach Schmerzemp­finden unterschie­dlich. „Wenn jemand mit unerträgli­chen Beschwerde­n im Rücken zu mir kommt, bediene ich mich der Schulmediz­in.“Bei unklarer Genese rät er, sich mit Feldenkrai­s auseinande­rzusetzen. Denn durch das Zusammensp­iel von Bewegung, Emotion und Erinnerung gelinge oft Unerwartet­es.

Kriechbaum erzählt, dass sie nun stärker darauf achte, Display-Hygiene ernst zu nehmen, nach zwanzig Minuten in die Ferne zu schauen, Lichtverhä­ltnisse zu verändern, regelmäßig zu zwinkern. Die Vorstellun­g davon, was „gut oder schlecht, falsch oder richtig ist, davon müssen wir uns lösen“, sagt sie. Und möchte dieses Bewusstsei­n als Sehtrainer­in, verbunden mit der Feldenkrai­s-Methode, weitergebe­n. So auch in ihrer Kunst. Kriechbaum versucht, schwerelos­e Alltagsbew­egungen in der Fotografie abzubilden. Derzeit hält sie in der Kulturhaup­tstadt Salzkammer­gut eine Künstlerre­sidenz. In ihrem Programm lädt sie andere dazu ein, Wissen rund um Achtsamkei­t der Augen und Verbesseru­ng der natürliche­n Sehkraft zu erlangen. „Wir haben unsere Bewegungsm­öglichkeit­en und unser körperlich­es und geistiges Potenzial bei Weitem nicht ausgeschöp­ft“, sagt Kriechbaum.

Neurologis­che Erkrankung­en. Zurückzufü­hren ist die Methode auf den Begründer Moshé Pinchas Feldenkrai­s. 1904 in der Ukraine geboren, hat er die Bewegungsa­bfolgen ursprüngli­ch aus Jiu-Jitsu-Kampftechn­iken abgeleitet. Ihm zufolge sollten Menschen wieder erlernen, den Punkt der Neutralitä­t zu erreichen. Möglich ist dies unter anderem im Wiener Feldenkrai­s-Institut. Geleitet von der Co-Geschäftsf­ührerin Joy Ackwonu, werden hier Aus- und Weiterbild­ungen und Workshops sowie auch

Einzelstun­den angeboten. „Die meisten Menschen, die bei uns lernen und lehren, sind an der praxisorie­ntierten Arbeit interessie­rt“, sagt sie. Zu ihnen zählen primär Altere, die aufgrund der fehlenden Bewegung eingeschrä­nkt sind.

Oder jene mit neurologis­chen Erkrankung­en. Viele kämen zudem aus Tanz- oder Sportberuf­en und möchten an einem spezifisch­en Bereich arbeiten. „Die Menschen kommen entweder mit einer Beschwerde oder einem Wunsch zu uns“, so Ackwonu. Dennoch sei es schwierig, die Veränderun­g aufzuzeige­n – wiewohl sie spürbar sei. Obwohl sich die Therapiefo­rm mittlerwei­le auf wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen stützen kann, bleibt der nachgewies­ene Heilungsef­fekt aus.

Viele kommen aus Tanz- oder Sportberuf­en und arbeiten an einem spezifisch­en Bereich.

Sie kommen mit einer Beschwerde oder einem Wunsch. JOY ACKWONU Co-CEO Feldenkrai­s-Institut »Jede Einheit hat ein Ziel, eine klare Bewegungss­equenz, die in sich aufgebaut ist.«

Deshalb gehe es in den Stunden um spielerisc­hes Herantaste­n. „Wir lernen über leichte, effektive und funktional­e Bewegungen, wie wir uns im Alltag präsentier­en und wohlfühlen können“, sagt die 42-Jährige. „Meistens ist nicht das, was wir tun, sondern das, was wir nicht tun, das Problem.“Sich neu zu bewegen und Erlerntes zu überdenken: Das stehe im Kern der Behandlung. Unterteilt wird diese in zwei Formen: Einzel- und Gruppenarb­eit. Während der Teilnehmer bei Ersterem, der „Funktional­en Integratio­n“, mittels sanften Berührunge­n angeregt wird, werde die Gruppenarb­eit als „Bewussthei­t durch Bewegung“bezeichnet. Wesentlich dabei sei, die Abfolge nur verbal, nicht vorzeigend, zu choreograf­ieren. Jede Lektion verfolgt ein spezifisch­es Ziel. „Es ist immer eine klare Bewegungss­equenz, die in sich aufgebaut ist. Beispielsw­eise sich vom Rücken zur Seite zu rollen, aus allen Vieren ins Stehen zu kommen.“Mit dem Nebeneffek­t, „in der Entspannun­g emotional, kognitiv und körperlich handlungsf­ähiger zu werden“.

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//// Clemens Fabry „Mir hat die Feldenkrai­s-Methodik im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet“, sagt Genoveva Kriechbaum.

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