»Ich will beim ESC singen«
Mit »Rampen (APM: Alien Pop Music)« legen die Einstürzenden Neubauten ein fantastisches Spätwerk vor. »Die Presse am Sonntag« traf Mastermind Blixa Bargeld in Berlin.
Die Einstürzenden Neubauten gibt es seit 44 Jahren. Was macht das Gewicht der Zeit mit einer Band?
Blixa Bargeld: Ich bin erstaunt, dass es noch da ist, dieses Tiefseeungeheuer namens Einstürzende Neubauten. Wir haben ja über Ostern ein kleines Festival für unsere Unterstützer aus dem sogenannten Supporterprojekt veranstaltet. Mit ihm haben wir praktisch das Crowdfunding erfunden. Nur hat es anders geheißen. Das war vor 22 Jahren.
Damals gab es noch kein Social Media. War das schöner?
Ja. Da hingen Kabel übern Hof und wir liefen mit Plastikkameras herum. Da waren wir Avantgarde. Die Möglichkeiten digitaler Intimität, die wir nützten, haben wir uns noch bei der Internetpornografie abgeschaut. Heute wird von Künstlern erwartet, dass sie vom Frühstück bis zur Studioarbeit alles gleich bei Instagram auffächern. Wir banalisieren uns selbst, wenn wir das weitermachen.
Entstehen Ihre Texte erst während der Aufnahmen?
Ja. Auf der vorigen Tour habe ich improvisiert. Neubauten-Lingo heißen diese Improvisationen. Ich habe dafür den Begriff „gestützte Rampen“geprägt, weil wir Minimalverabredungen hatten. Wer beginnt, ob das Stück schnell oder langsam ist. Ich hatte mir in den Teleprompter Fragmente reingeladen aus meinen Notizen, die ich irgendwann geschrieben habe, um sie möglicherweise weiterzuentwickeln. Damit habe ich auf der Bühne gearbeitet, statt mich darauf zu verlassen, dass die Inspiration zuschlägt. Manchmal hat es funktioniert, manchmal nicht.
Im Stück „Pestalozzi“kommt der Erzieher Alexander S. Neill vor. Kann über Erziehung tatsächlich eingegriffen werden, oder ist das Wesentliche im Menschen schon angelegt?
Ich weiß es nicht. Das Fragment bestand nur aus diesen zwei Zeilen mit Pestalozzi und A. S. Neill. Zu Beginn hatte ich die Idee, dass Neill auf einer großen Bühne sitzt und sich um ihn herum Chaos entfaltet. Dann ist mir nichts mehr eingefallen. Und ich begann eine Aufzählung von dem, was ich so über die letzten 25 Jahre auf Amazon bestellt habe.
Was macht eigentlich Ihre Gitarre?
Sie verstaubt. Ich dachte erst vorgestern, dass ich sie in die Reparatur geben sollte, um sie auf Vordermann zu bringen. Ich habe mehrere sehr schöne Gitarren, die ich bei den Bad Seeds gespielt habe. Aber es war nie mein Lieblingsinstrument. Es war auch immer ein Hassinstrument. Ich mochte die Konnotationen, die mit Gitarren zusammenhängen, nicht. Insbesondere die Testosteronlastigkeit und die damit einhergehenden Posen. Es gibt so einen Bad-Seeds-Comic-Strip. Da komme ich natürlich auch vor, und zwar so breitbeinig gezeichnet, wie ich nie auf der Bühne gestanden bin. Es war eher so, wie die „New York Times“einmal schrieb: Ich spiele Gitarre wie jemand, der auf den Bus wartet.
Hat Ihr Einstieg in Nick Caves Band The Bad Seeds die Entwicklung der Einstürzenden Neubauten behindert?
Auf jeden Fall. Jedes Jahr ein Album und ein oder zwei Konzerttourneen, das war problematisch. Ich habe öfters nicht mitgemacht, weil ich andere Verpflichtungen hatte.
Gab es Feindseligkeiten?
Nein. Ich bin aus zwei Gründen gegangen. Ich habe geheiratet und wusste, ich kann nicht zwei Bands durchziehen, weil Ehefrauen dann meist das fünfte Rad am Tourbus sind. Außerdem wollte ich mich nicht mehr von dem
Management bescheißen lassen. Nachdem ich ausgeschieden bin, haben sie dem genauer auf die Finger geguckt und in der Decke versteckte Plastiktüten voller Geld gefunden. Es war klassische Abzocke.
Bobby Gillespie, der Sänger von Primal Scream, hat kürzlich die Bad-Seeds-Version von „By the Time I Get to Phoenix“von Jimmy Webb auf eine Mix-CD genommen. Erinnern Sie sich an die Aufnahme?
Nein. Aber den Gillespie kenne ich auch schon seit 100 Jahren. Der war auch Junkie. Ich habe ja damit nichts zu tun. Nie gehabt. Es ist schwierig, mit diesen Leuten zu arbeiten, der Junk lähmt alles. Die beste Version des Songs ist die von Isaac Hayes. Die Arbeit mit den Bad Seeds hat meine Arbeit mit den Neubauten gelähmt, aber was ich gelernt habe in den 20 Jahren dort, war Englisch.
Man muss sich auch fragen, was die Bad Seeds ohne Sie geworden wären. Ihre Dekonstruktionsarbeit hat den Kitsch abgefedert. Wie sehen Sie das?
Tatsächlich komme ich aus einer ganz anderen Tradition, nämlich aus dem Deutsch- und Krautrock. Zur deutschen Attitüde zählte, dass sie sich meist nicht auf die klassische Liedstruktur bezog. Die Idee des Songs habe ich erst mit den Bad Seeds begriffen.
Bei den Neubauten können Sie Ihre Krautrockfantasien ausleben?
Ja. In unserer Musik steckt auch eine Menge Krautrock drin. Ich habe Can drei Mal live gesehen. Ihre Improvisationen waren Wahnsinn. Sie hatten eine Art telepathisches Verständnis untereinander. Wir auch. Das Schöne und gleichzeitig Schreckliche bei den Neubauten ist, dass man nie weiß, was die anderen tun werden.
Die Neubauten-Songs der letzten Jahre sind wunderbar erratisch. Haben sie für Sie einen übergeordneten Sinn?
Nein. Menschen versuchen ständig einen Sinn zu finden. Ich liebe es, mit Gegensätzlichkeit zu arbeiten. Zwei disparate Dinge in einem Song miteinander zu verbinden öffnet immer neue Fenster. Deswegen habe ich alles drin gelassen. Auch die Sackgassen.
Sie murmeln in „Gesundbrunnen“etwas von Ausklinken aus der Evolution. Wie wäre so etwas zu denken?
Das Stück beginnt mit der Beschreibung der Unterseite eines sehr hässlichen Teppichs. Das führte zu einem lyrischen Problem, das sich dann nach und nach in der Idee vom Ausklinken aus der Evolution löst. Mein Kind ist trans. Ich habe mich radikal damit auseinandergesetzt. Das steckt da drin. Wir sind in einem Zeitalter des Menschseins, in dem wir durchaus in der Lage sind, aus dem biologischen Determinismus auszusteigen.
Was wird die nächste Zukunft bringen?
Eine Tournee mit den Neubauten. Außerdem entwickelt meine Frau, Erin, für uns etwas Revolutionäres, das das Supporterprojekt ablöst. Dann habe ja noch eine Schweizer Band namens KiKu. Jetzt habe ich ihr vier Stücke abgeliefert, von denen eines bombastisch ist. Mit dem versuche ich nächstes Jahr zum European Songcontest zu kommen. Das wäre mal was: Blixa Bargeld tritt beim ESC an. Und das für die Schweiz!