Schlauch aller Schläuche
Das Häckseln steinhart gewordener, ewig knickender Gartenschläuche ist ein vergnüglicher Racheakt, die Frage, was sie ersetzen soll, eine materialtechnische Wissenschaft.
Einer der unschätzbaren Vorteile des Landlebens besteht darin, dass man immer jemanden kennt, der irgendetwas besonders gut kann. Die Rede ist von handwerklichem Wissen, Reparaturen aller Art und einem weitgespannten Netz hilfreicher Nachbarseelen. Der eine kann verstopfte Rasenmähervergaser wieder in Gang bringen, der andere versteht sich auf die Kunst des Schweißens, der dritte fällt zwanzig Meter hohe Fichten, ohne die Umgebung zu verwüsten. Will man ein großes Loch graben, gibt es jemanden mit einem Minibagger, und ist das Abfallrohr der Dachrinne verstopft, weiß man, wer den besten Industrie-Hochdruckreiniger samt Rohrreinigungsschlauch besitzt.
Der untere Nachbar beispielsweise ist Werkstofftechniker. Er kennt sich mit Materialien aller Art bestens aus, mit Polymeren, Kunststoffen und feuerfesten Ofenauskleidungen, und er kann schauerliche chemische Formeln auswendig vor sich herbeten wie seinerzeit die Uroma den Rosenkranz. Er hat nebstbei die beste Methode entwickelt, alte Gartenschläuche zu entsorgen, also jene Hassobjekte jedes Gärtners, die im Laufe weniger Jahre unter der Sonne versteinern oder bei jedem Ruck irgendwo einen Knick bilden. Solche minderwertigen Werkstoffe verachtet er. Er häckselt sie. Knack, knack, knack macht es, und ein 40-Meter-Schlauch füllt binnen weniger Minuten nicht mehr das gesamte Wageninnere, sondern kann in einem Müllsäckchen zur Entsorgung transportiert werden.
Mehrere solcher Antiquitäten liegen derzeit bei mir in wüsten Knäueln bereit, weil sie sich kaum mehr aufrollen lassen. Sie müssen in den Materialkreislauf zurückgeführt und dringend ersetzt werden. Man will zwar das Gießen möglichst reduzieren, aber ohne Gartenschlauch geht es auch nicht, und da der Garten groß ist, sind diese Schläuche zahlreich und sehr lang. Der gelbe war von Anfang an eine Katastrophe, der rote und der grüne waren auch nicht viel besser, lediglich ein schwarzer Gummischlauch bewährt sich seit Jahren, aber ich weiß nicht mehr, wo ich ihn gekauft habe.
Unsterblich, aber teuer. Welchen Schlauch, frage ich also den unteren Nachbarn, soll ich erwerben? Wie soll er beschaffen sein, materialmäßig? Denn ich bin schlauchmüde. Ich will nicht mehr mit Schläuchen ringen, Knicke schienen und Blumen köpfen. Ich will mit geschmeidigen, verlässlichen Schläuchen hantieren, und ich misstraue mittlerweile selbst jeder einschlägigen Markenware. Vergiss diese Gewebeschläuche, sagt er verächtlich. Gummi sei das einzig Wahre. Aber wo krieg ich einen Gummischlauch her?
Einen gebe es, sagt er, und klingt verträumt, der wäre das Nonplusultra: Die Seele aus Kautschuk, also hochwertigem EPDM, umsponnen von synthetischen Garnen, sodann von ChloroprenKautschuk umhüllt und abschließend dem segensreichen Prozess der Vulkanisation unterzogen. Knickfest, stoßfest, UV-resistent, nachgerade unsterblich. Ein Traum von Schlauch. Wie heißt er, hauche ich. Goldschlange, flüstert er, und das ist der Rolls-Royce unter den Gartenschläuchen. Kostet? Dreiviertelzoll rund 22 Euro, allerdings pro Meter. Ein Schlauch für Millionäre.
Auf dem Internetfoto sieht man die Goldschlange zusammengerollt in Ruhestellung, sie schaut aus wie eine exotische Kreuzotter, schlank, mit schwarzem Leib und goldenem Zickzackmuster. Diese hier hat noch dazu ein Maul aus hochwertigem Messing, bereit, perfekt dosierte Gießschauer auszuspeien. Wunderschön. „Ein Produkt, das alle Herausforderungen meistert“, steht zu lesen, „unempfindlich gegen Ozon und UV-Strahlung.“Und: „Gummischläuche sind teuer, die Goldschlange ist noch teurer. Das aber ganz zu Recht, denn sie wird der letzte Schlauch sein, den Sie sich anschaffen.“
Letzteres wird aus nachvollziehbaren Gründen nicht passieren bei weit über Hundert Meter Bedarf. Ich bestelle Industrie-Gummischläuche, ohne Zickzackmuster und ohne Messing, dafür auf gut Glück. Sie sind auch nicht gerade geschenkt, aber einen Versuch wert. Die echten Goldschlangen würde ich selbstverständlich liebend gern in meinem Garten heimisch machen, aber wahrscheinlich wären sie hier zwischen Brennnesseljauche, Hühnerstall und Ringelnattern ohnehin artfremd und würden verloren wirken, wie eine Philippe-Starck-Design-Zitruspresse in einer alten Bauernküche.
Knack, knack. Das passende Ambiente für die Goldschlange stelle ich mir anders vor, überschaubarer und gepflegter. Mit Terrakottatöpfen aus einer in der Renaissance gegründeten süditalienischen Manufaktur beispielsweise. Lavendel, Rosen und Jasmin wachsen darin, und alle blühen gleichzeitig. Die Goldschlange darf dort über glänzendes Marmorpflaster gleiten, und in den sanft schwellenden Wellen der Terrassenvorhänge spielt das UV-Licht, richtet aber keinen Schaden an.
Der untere Nachbar sieht das ähnlich, er hätte ebenfalls gern eine Schlange, aber auch bei ihm summieren sich die Schlauchmeter ins Unendliche und somit Unerschwingliche. Außerdem hat er erst kürzlich seine Schläuche ersetzt. Wann, fragt er vorsichtig, wirst du denn die Neuen kaufen? Sie werden bald geliefert, berichte ich. Er überlegt. Dann meint er bedauernd, er selbst habe im Moment keine zu entsorgenden Schläuche, vermisse aber das Geräusch, dieses knack, knack, knack. Ich hab genug, beruhige ich ihn. Wann häckselst du denn?, fragt er, ich will dabei sein.