Zum Lichte empor!
Wie Pflanzen zur Sonne hin wachsen und manche ihr auch täglich folgen, blieb lang rätselhaft. Ganz geklärt ist es bis heute nicht.
Zum Golde? Ach was, zur Sonne drängt doch alles, zum Lichte empor. Selbst die tun es, die keine Augen haben: die Pflanzen. Ein von Ovid überlieferter Mythos überhöhte es zu verschmähter und doch gehaltener Liebe, der der Nymphe Klytia zu Apoll, der jeden Tag auf seinem Sonnenwagen durch den Himmel zieht. Er betrügt sie, sie tötet die neue Geliebte und setzt sich dann auf den Boden, neun Tage isst und trinkt sie nichts, dann ist sie eine Blume geworden „und wendet, obgleich von der Wurzel gehalten, immer dem Sol sich zu und bewahrt verwandelt die Liebe“(Metamorphosen 4. Buch, 270).
Wahrgenomen wird das Licht statt
Man sieht die Sonnenblume förmlich vor sich, aber die gab es nicht in Europa (sie kam später aus Amerika), und die ganze Geschichte stand quer zu der Lehrmeinung, die noch Aristoteles folgte: Er hatte das Reich des Lebens in drei „Seelen“gegliedert, ganz unten rangierten die „vegetativen“der Pflanzen, die sich auf Ernährung und Reproduktion beschränkten, dann kamen die „sensitiven“der Tiere mit Wahrnehmung und Bewegung, schließlich die dem Menschen vorbehaltenen „rationalen“: Pflanzen hatten nur eine „Nährseele“ohne Empfindungen und Verlangen.
Das hielt sich bis in die Renaissance, als der Alchemist Thomas Browne in einem Experiment, das heute an jedem Küchenfenster unternommen wird, bemerkte, dass Pflanzen sich immer zum Fenster hin strecken, egal, wie man ihren Topf dreht. Er sah die Abwendung von der „schlechten Luft“des Innenraums dahinter, andere setzten bald auf die Temperatur, Charles Bonnet etwa auf „die Wärme der Sonne“.
Erst im 19. Jahrhundert dachte man an das Licht, und am meisten in dieses brachte Charles Darwin, der 1880 mit seinem Sohn Francis beim Aufzeichnen der Bewegung von sprießendem Gras vor allem eines bemerkte: Wahrgenommen wird das Licht an den Sprossspitzen der Pflanzen, die Änderung der Wachstumsrichtung kommt aber von unten in den Stängeln: Irgendetwas musste die Information transportieren („The Power of Movements in Plants“).
Zu klären blieb beides an dem nun feststehenden Fototropismus (beim Wachsen) bzw. Heliotropismus (beim täglichen Folgen der Sonne): das Sensorium und das Meldesystem. Letzteres gelang zwei Forschern unabhängig voneinander 1937, es wurde zur Cholodny-Went-Hypothese zusammengezogen. Der Botenstoff ist Auxin – ein von Pflanzen zu vielfältigen Zwecken eingesetztes Hormon –, es wird von den Sprossspitzen herab von einer Zelle zur anderen durchgereicht und sorgt unten dafür, dass die Zellen an der sonnenabgewandten Seite größer werden. Beim Sensorium dauert es länger: Zwar hatte W. L. Butler (US-Agrarministerium) 1959 schon auf rotes Licht ansprechende Proteine – Phytochrome – entdeckt (Pnas 45, S. 1703), aber diese Wellenlänge kommt von Lichtstreuungen benachbarter Pflanzen und informiert über deren Schatten, der tunlichst zu meiden ist.
Sensoren für Blau. Für die große Richtung hingegen sorgt blaues Licht, auch das steht seit den Darwins fest. Die dafür zuständigen Proteine, zwei Fototropine, fand erst 1997 Winslow Briggs (UC Riverside), der sein Forscherleben danach gesucht hatte, als Emeritus (Science 278, S. 2120). Nun waren die Grundlagen da, aber die Details hielten Teufel genug bereit: Aus eigener Kraft kommen die Auxine nicht von einer Zelle zur anderen, sie brauchen Transportproteine, PINS. Aber: „Alle bisher verfügbaren Pflanzen mit einem bekannten Defizit im Auxintransport zeigten einen normalen Fototropismus“, lernte Christian Fankhauser (Lausanne) und schloss daraus, dass entweder Auxine doch nicht zentral sind oder dass es zusätzlich zu den PINs noch einen Regulator geben muss. Den fand er gemeinsam mit Claus Schwechheimer (München), er ist ein Enzym, das die PINs aktiviert. Erst wenn das auch ausfällt, verlieren Pflanzen die Orientierung (Plant Cell 25, S. 1674).
Blieb das nächste Problem: Das Sensorium muss nicht einfach Licht wahrnehmen, sondern die Richtung, aus der es kommt. Wir tun das mit den Augen und dem Gehirn, das ihre Informationen interpretiert. Aber Pflanzen haben beides nicht. Zur Lösung half Frankhauser eine Mutante der Laborpflanze Arabidopsis, die nicht zum
Licht wuchs. Zudem war ihr Stängel nicht milchig trüb wie sonst, sondern transparent. Das lag an den Leitbahnen, die zwischen den Zallen laufen und etwa für den Gasaustausch sorgen, sie waren nicht mit Luft gefüllt wie sonst, sondern mit Wasser.
Das verändert den Lichteinfall in die dortigen Fototropine, weil Wasser Licht anders streut als Luft, aus dieser Streuung bzw. ihrem Gradienten nach unten lesen Pflanzen aber die Richtung des Lichts ab, statt mit Augen mit dem Stängel. Der war nun blind, weil ein Gen mutiert war, das das Eindringen von Wasser in die Leitbahnen verhinderte
(Science 382, S. 935).
Das war letzten November der lang gesuchte Schlussstein. Aber fast gleichzeitig hatte eine Pflanze für neue Verwirrung gesorgt, ausgerechnet die Sonnenblume. Die verhält sich anders als die Laborpflanzen, an denen fast alle Befunde gewonnen wurden: Sie lässt sich zwar beim Wachstum auch vom Fototropismus leiten, aber beim täglichen Folgen der Sonne tut sie es nicht: Zum einen praktizieren das nur junge Pflanzen, ausgewachsene sind immer nach Osten ausgerichtet. Stacey Harmer (UC Davis) bemerkte es 2016 und erklärte es damit, dass Pflanzen nur während des Wachstums der Sonne folgen, indem sie am Tag die östliche Seite des Stängels verlängern und in der Nacht die westliche. Dass die dann auf Dauer bleibt, liege daran, dass die Erwärmung durch das frühe Licht mehr Bestäuber bringe, also einen Vorteil für die Reproduktion (Science 353, S. 587).
mit Augen mit dem Stängel bzw. Sensoren darin.
Wahrgenommen wird das Licht an der Sprossspitze, geändert wird das Wachstum weiter unten.
Das war nicht nachvollziehbar, weil auch junge Pflanzen ihre Blüten im frühen Licht haben und dann auch das des ganzen Tages nutzen. Inzwischen ist Harmer aber auf noch etwas gestoßen, wofür auch sie keine Erklärung hat: Sonnenblumen lassen sich zwar beim Wachstum vom Fototropismus leiten, aber beim Heliotropismus tun sie es nicht, die entsprechenden Gene sind dann nicht aktiv (PLoS Biology 31. 10.). Irgendwelche bislang unbekannte müssen es sein, die molekularbiologisch hinter der so fest verwurzelten Liebe der Klytia zu Apoll stehen.