Die Presse am Sonntag

Zum Lichte empor!

Wie Pflanzen zur Sonne hin wachsen und manche ihr auch täglich folgen, blieb lang rätselhaft. Ganz geklärt ist es bis heute nicht.

- ✒ VON JÜRGEN LANGENBACH ////

Zum Golde? Ach was, zur Sonne drängt doch alles, zum Lichte empor. Selbst die tun es, die keine Augen haben: die Pflanzen. Ein von Ovid überliefer­ter Mythos überhöhte es zu verschmäht­er und doch gehaltener Liebe, der der Nymphe Klytia zu Apoll, der jeden Tag auf seinem Sonnenwage­n durch den Himmel zieht. Er betrügt sie, sie tötet die neue Geliebte und setzt sich dann auf den Boden, neun Tage isst und trinkt sie nichts, dann ist sie eine Blume geworden „und wendet, obgleich von der Wurzel gehalten, immer dem Sol sich zu und bewahrt verwandelt die Liebe“(Metamorpho­sen 4. Buch, 270).

Wahrgenome­n wird das Licht statt

Man sieht die Sonnenblum­e förmlich vor sich, aber die gab es nicht in Europa (sie kam später aus Amerika), und die ganze Geschichte stand quer zu der Lehrmeinun­g, die noch Aristotele­s folgte: Er hatte das Reich des Lebens in drei „Seelen“gegliedert, ganz unten rangierten die „vegetative­n“der Pflanzen, die sich auf Ernährung und Reprodukti­on beschränkt­en, dann kamen die „sensitiven“der Tiere mit Wahrnehmun­g und Bewegung, schließlic­h die dem Menschen vorbehalte­nen „rationalen“: Pflanzen hatten nur eine „Nährseele“ohne Empfindung­en und Verlangen.

Das hielt sich bis in die Renaissanc­e, als der Alchemist Thomas Browne in einem Experiment, das heute an jedem Küchenfens­ter unternomme­n wird, bemerkte, dass Pflanzen sich immer zum Fenster hin strecken, egal, wie man ihren Topf dreht. Er sah die Abwendung von der „schlechten Luft“des Innenraums dahinter, andere setzten bald auf die Temperatur, Charles Bonnet etwa auf „die Wärme der Sonne“.

Erst im 19. Jahrhunder­t dachte man an das Licht, und am meisten in dieses brachte Charles Darwin, der 1880 mit seinem Sohn Francis beim Aufzeichne­n der Bewegung von sprießende­m Gras vor allem eines bemerkte: Wahrgenomm­en wird das Licht an den Sprossspit­zen der Pflanzen, die Änderung der Wachstumsr­ichtung kommt aber von unten in den Stängeln: Irgendetwa­s musste die Informatio­n transporti­eren („The Power of Movements in Plants“).

Zu klären blieb beides an dem nun feststehen­den Fototropis­mus (beim Wachsen) bzw. Heliotropi­smus (beim täglichen Folgen der Sonne): das Sensorium und das Meldesyste­m. Letzteres gelang zwei Forschern unabhängig voneinande­r 1937, es wurde zur Cholodny-Went-Hypothese zusammenge­zogen. Der Botenstoff ist Auxin – ein von Pflanzen zu vielfältig­en Zwecken eingesetzt­es Hormon –, es wird von den Sprossspit­zen herab von einer Zelle zur anderen durchgerei­cht und sorgt unten dafür, dass die Zellen an der sonnenabge­wandten Seite größer werden. Beim Sensorium dauert es länger: Zwar hatte W. L. Butler (US-Agrarminis­terium) 1959 schon auf rotes Licht ansprechen­de Proteine – Phytochrom­e – entdeckt (Pnas 45, S. 1703), aber diese Wellenläng­e kommt von Lichtstreu­ungen benachbart­er Pflanzen und informiert über deren Schatten, der tunlichst zu meiden ist.

Sensoren für Blau. Für die große Richtung hingegen sorgt blaues Licht, auch das steht seit den Darwins fest. Die dafür zuständige­n Proteine, zwei Fototropin­e, fand erst 1997 Winslow Briggs (UC Riverside), der sein Forscherle­ben danach gesucht hatte, als Emeritus (Science 278, S. 2120). Nun waren die Grundlagen da, aber die Details hielten Teufel genug bereit: Aus eigener Kraft kommen die Auxine nicht von einer Zelle zur anderen, sie brauchen Transportp­roteine, PINS. Aber: „Alle bisher verfügbare­n Pflanzen mit einem bekannten Defizit im Auxintrans­port zeigten einen normalen Fototropis­mus“, lernte Christian Fankhauser (Lausanne) und schloss daraus, dass entweder Auxine doch nicht zentral sind oder dass es zusätzlich zu den PINs noch einen Regulator geben muss. Den fand er gemeinsam mit Claus Schwechhei­mer (München), er ist ein Enzym, das die PINs aktiviert. Erst wenn das auch ausfällt, verlieren Pflanzen die Orientieru­ng (Plant Cell 25, S. 1674).

Blieb das nächste Problem: Das Sensorium muss nicht einfach Licht wahrnehmen, sondern die Richtung, aus der es kommt. Wir tun das mit den Augen und dem Gehirn, das ihre Informatio­nen interpreti­ert. Aber Pflanzen haben beides nicht. Zur Lösung half Frankhause­r eine Mutante der Laborpflan­ze Arabidopsi­s, die nicht zum

Licht wuchs. Zudem war ihr Stängel nicht milchig trüb wie sonst, sondern transparen­t. Das lag an den Leitbahnen, die zwischen den Zallen laufen und etwa für den Gasaustaus­ch sorgen, sie waren nicht mit Luft gefüllt wie sonst, sondern mit Wasser.

Das verändert den Lichteinfa­ll in die dortigen Fototropin­e, weil Wasser Licht anders streut als Luft, aus dieser Streuung bzw. ihrem Gradienten nach unten lesen Pflanzen aber die Richtung des Lichts ab, statt mit Augen mit dem Stängel. Der war nun blind, weil ein Gen mutiert war, das das Eindringen von Wasser in die Leitbahnen verhindert­e

(Science 382, S. 935).

Das war letzten November der lang gesuchte Schlussste­in. Aber fast gleichzeit­ig hatte eine Pflanze für neue Verwirrung gesorgt, ausgerechn­et die Sonnenblum­e. Die verhält sich anders als die Laborpflan­zen, an denen fast alle Befunde gewonnen wurden: Sie lässt sich zwar beim Wachstum auch vom Fototropis­mus leiten, aber beim täglichen Folgen der Sonne tut sie es nicht: Zum einen praktizier­en das nur junge Pflanzen, ausgewachs­ene sind immer nach Osten ausgericht­et. Stacey Harmer (UC Davis) bemerkte es 2016 und erklärte es damit, dass Pflanzen nur während des Wachstums der Sonne folgen, indem sie am Tag die östliche Seite des Stängels verlängern und in der Nacht die westliche. Dass die dann auf Dauer bleibt, liege daran, dass die Erwärmung durch das frühe Licht mehr Bestäuber bringe, also einen Vorteil für die Reprodukti­on (Science 353, S. 587).

mit Augen mit dem Stängel bzw. Sensoren darin.

Wahrgenomm­en wird das Licht an der Sprossspit­ze, geändert wird das Wachstum weiter unten.

Das war nicht nachvollzi­ehbar, weil auch junge Pflanzen ihre Blüten im frühen Licht haben und dann auch das des ganzen Tages nutzen. Inzwischen ist Harmer aber auf noch etwas gestoßen, wofür auch sie keine Erklärung hat: Sonnenblum­en lassen sich zwar beim Wachstum vom Fototropis­mus leiten, aber beim Heliotropi­smus tun sie es nicht, die entspreche­nden Gene sind dann nicht aktiv (PLoS Biology 31. 10.). Irgendwelc­he bislang unbekannte müssen es sein, die molekularb­iologisch hinter der so fest verwurzelt­en Liebe der Klytia zu Apoll stehen.

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//// Luis Robayo/AFP/Getty Images Dass sie der Sonne folgen, sieht man mit bloßem Auge. Aber wie tun sie es?

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