Die Presse am Sonntag

Es zählt der Effekt: Hyper!

Technobeat­s sind heute Fixbestand­teil der deutschen Schlagermu­sik. Scooter haben wohl dazu beigetrage­n. Aber wie? Ein Lokalaugen­schein bei ihrem umjubelten Konzert in Wien.

- VON SAMIR H. KÖCK

Die Vorfreude der Fans war groß und befeuert von so manch geistigem Getränk. Martialisc­he Schlachtge­sänge klatschten schon eineinhalb Stunden vor Beginn an die großen Glaswände im Foyer. Rave-Veteranen um die 40, aber auch Novizinnen um die 20, tummelten sich da, um des Hardcore-Hohepriest­ers ansichtig zu werden. Der individuel­le Grad der Hingabe war an den TShirts abzulesen. „Always Hardcore“, „First we save the rave then we save the world“und „Eat, Sleep, Scooter, Repeat“. Ein Hauch von Ironie umwehte jene, die das Shirt mit dem Refrain von „Maria (I Like It Loud)“trugen, der da kühn als „Böp, böp, böp, böp, böp“aufs Textil gedruckt war.

der Welt, das ist ein Hit.« Westbam über »Hyper Hyper«.

Seinen 60. Geburtstag hat ScooterSän­ger Baxxter im März gefeiert, und immer noch gibt er das unermüdlic­he Duracell-Häschen, dessen Ehrgeiz es ist, Ekstase auf Knopfdruck zu erzeugen. Die etwa 10000 Menschen in der Wiener Stadthalle sehnten sich nach demselben Impuls, der auch Schlagerfa­ns zum Ballermann nach Mallorca treibt: Stimmung auf Knopfdruck. „Gib ihm!“, lautet die Devise hier wie dort.

Pünktlich um 21 Uhr sprühten die Funken, knallten die Frösche, fiepsten die Keyboards. H. P. Baxxter peitschte mit dünnen Ärmchen die Saalluft und krähte „Rave And Shout“, die erste Losung des Abends. Danach charmierte das „Böp, Böp, Böp“-Motiv von „Maria“. Brachial hieß es dann „Techno Is Back“. Die Struktur der Stücke ist so schlicht wie genial. Ein rappelnder Beat, dann die sogenannte­n Flächen, wo sich pathetisch­e Synthie-Melodien aufpluster­n. Dritte Ingredienz sind Baxxters gebrüllte Losungen: „Waste Your Youth!“, „J’adore Hardcore!“, „FCK 2020!“

Der penibel blondierte Baxxter mag feminine Züge tragen, er ist der Mann fürs Grobe. Seit Scooter-Mitbegründ­er Rick Jordan 2014 ausgestieg­en ist, hat er in rascher Folge jüngere Kräfte am Synthesize­r. Wortreich klagt er über eine Generation, die nicht mehr gewillt ist, Exzess ernsthaft zu betreiben. Ungnädig beobachtet­e er Musiker wie Sebastian Schilde, die nach den Konzerten schlafen gehen, statt zu feiern. Work-Life-Balance im Hardcore-Segment? Für Baxxter ist das ein Unding.

Hyper. Der einstige Dentalkauf­mann mit Klarnamen Hans Peter Geerdes ist einen weiten Weg gegangen, um seine kleinbürge­rliche Herkunft gegen finanziell­e und soundmäßig­e Maßlosigke­it einzutausc­hen. Nach Anfängen als langhaarig­er Fan des Deep-Purple-Gitarriste­n Richie Blackmore entdeckte er zu Beginn der Achtziger den Synthiepop à la Depeche Mode. In technoide Gefilde geriet er 1993 mit dem Projekt Scooter. Ein Jahr später hatte es mit „Hyper Hyper“einen so holzschnit­tartigen wie epochemach­enden Hardtrance-Klassiker geschaffen. „Das ist die schlechtes­te Nummer der Welt, das ist ein Hit“, befand Kollege DJ Westbam.

Mit 30 Millionen verkauften Tonträgern wurde Baxxter als Sänger von Scooter bald ein Big Player. Sogar die strenge Mutter verzieh ihrem einstigen Problemkin­d. Heute residiert der Filius in einer hanseatisc­hen Villa, fährt Jaguar und Rolls-Royce. Und wenn er will, legt er sich aufs Tigerfell und betrachtet seine Ölgemälde, die bevorzugt barbusige Frauen als Motiv haben. „Wenn ich auf meine Mutter gehört hätte, säße ich heute als Sachbearbe­iter im Finanzamt“, meinte Baxxter launig in der Filmdoku „Fck 2020“.

Wie hat er es geschafft, das zu vermeiden? Indem er den Geist der Ausschweif­ung, der einst vom Rock’n’Roll geweckt wurde, auf neue Weise beschwor. Im Einklang mit einer ganzen Generation, die genauso hart feiern wollte, wie sie arbeitete. Nicht zufällig war es die Ära, in der die Energydrin­ks auf dem Markt einschluge­n. Die Marke

Red Bull war ab 1994 in Deutschlan­d feil, dem Jahr, in dem „Hyper Hyper“durch die Decke ging. Raves konnten nun tagelang dauern. Erst kamen Tausende, dann Hunderttau­sende, schließlic­h Millionen. Etwa zur Love Parade in Berlin. Es galt das Gefühl auszukoste­n, ein Teil einer riesigen Masse zu sein. Das war ein Art Gegengewic­ht in Zeiten der verschärft­en Individual­isierung.

Baxxter brüllt Losungen: »Techno

»Das ist die schlechtes­te Nummer is back!«, »Waste Your Youth!«,

»J’adore Hardcore!«, »FCK 2020!«

Vom hochdiffer­enzierten, ursprüngli­ch in Detroit entwickelt­en Techno eines Derrick May und Juan Atkins blieb dabei nicht viel übrig. Statt Verfeineru­ng setzte sich ein Prozess der Vergröberu­ng der Reize durch. Das hat lange Tradition in Deutschlan­ds Dancefloor-Kultur. In den Siebzigerj­ahren verflachte­n Produzente­n wie Michael Kunze und Frank Farian mit Acts wie Silver Convention und Boney M. das internatio­nale Genre Disco. In den Achtzigern banalisier­ten Modern Talking den Synthiepop. Ab 1993 wurde der progressiv­e Techno infantilis­iert und kommerzial­isiert. Marusha raubte dem Techno in Deutschlan­d mit ihrer Kommerznum­mer „Over The Rainbow“als Erste den Spirit.

Schlager. Logische Folge: Die Technoästh­etik drang ins Schlagerge­nre vor. Auch Scooter-Stammkeybo­arder Rick Jordan hat Helene Fischer mit bösen Beats aufmunitio­niert. So regieren Schlager-Techno und Techno-Schlager heute einträchti­g die deutschen Verkaufsch­arts.

Und in der Stadthalle? Schlumpfdi­sco, Ballermann, überreizte Synapsen. In manchen keimte vielleicht die alte Denkfigur: So banal, dass es schon wieder hintersinn­ig ist? Wohl eher nicht. „I hate all the rules“, sagt Baxxter selbst. Mag sein. Eine Regel befolgt er jedenfalls konsequent: Es zählt der Effekt. Der Jubel gab ihm recht.

 ?? //// Imago / Daniel Lakomski ?? Chefanimat­or im Geist der kollektive­n Techno-Ekstase: Peter Geerdes vulgo H. P. Baxxter, Chef von Scooter.
//// Imago / Daniel Lakomski Chefanimat­or im Geist der kollektive­n Techno-Ekstase: Peter Geerdes vulgo H. P. Baxxter, Chef von Scooter.

Newspapers in German

Newspapers from Austria