Die Presse am Sonntag

»Es lohnt sich zu sein, wer man ist«

Eine queer-lesbische Liebesgesc­hichte wollte die Drehbuchau­torin und Regisseuri­n Kat Rohrer erzählen. In ihrem Film »What a Feeling« ringen zwei Frauen in der Mitte ihres Lebens darum, zu ihren Gefühlen zu stehen. »Es ist nie leicht, sich zu outen, egal o

- VON JUDITH HECHT Kat Rohrer:

In den vergangene­n Tagen musste ich an Sie denken, weil ich gerade den Roman „Echtzeital­ter“von Tonio Schachinge­r (Gewinner des Deutschen Buchpreise­s 2023) lese.

Ah, wegen des Theresianu­ms.

Ja, diese Schule und ihre Lehrer kommen in seinem Roman nicht gut weg. Sie haben – wie der Autor – das Theresianu­m besucht. Sind Sie gern dort hingegange­n?

Ja, schon, wenngleich es auch schwierig war, weil ich dort nicht hingepasst habe. Ich war eine Außenseite­rin.

Warum?

Weil ich Tochter einer alleinerzi­ehenden Mutter war, freidenken­d und nicht so konservati­v wie die meisten anderen dort. Ich habe auch keinen BurberryMa­ntel und all die anderen Markensach­en getragen, die man unbedingt haben musste. Aber nach zwei, drei Jahren hatte ich drei Freundinne­n gefunden, wir waren eine eingeschwe­ißte Vierergrup­pe. Von da an war mir komplett egal, was die anderen über mich dachten.

Konnten Sie schon damals dazu stehen, dass Sie queer sind?

Nein, damals wusste ich nicht, dass ich auch Frauen attraktiv finde. Sehr wichtig war für mich, dass ich nach der Matura die Wiener Blase verlassen habe und nach New York gegangen bin. Dort hatte ich die Möglichkei­t, mich generell besser kennenzule­rnen.

Was wollten Sie in New York machen?

Primär einmal ein Gap-Year. Ich wollte mir eine Pause gönnen, denn die gesamte Schulzeit war für mich als schwere Legastheni­kerin irrsinnig anstrengen­d. Aber ich wusste schon, dass ich etwas in Richtung Film oder Theater machen werde. Zuerst habe ich einige Monate als Au-pair gearbeitet und danach an der New York Film Academy einen Kurs gemacht, der sehr hands-on war. Wir lernten das Handwerk von Grund auf und bekamen schon am ersten Tag eine Kamera in die Hand gedrückt. Jede Woche mussten wir einen kleinen Film drehen. Eines Nachts, nachdem ich stundenlan­g im Schneidera­um gearbeitet hatte, rief ich meine Mutter von der Telefonzel­le aus an und sagte zu ihr: „Mama, das ist es. Das will ich machen.“

Haben Sie sich in New York freier gefühlt als in Wien?

Mit Sicherheit. In der Film Academy konnte keiner meinen Namen richtig ausspreche­n. Das hat mich genervt. Irgendwann hat mich eine Kollegin auf einmal „Kat“genannt. Das fand ich lustig, weil mich meine Familie auch Katze oder Kater nennt. Dann kam dieser „Aha“-Moment, an den ich mich noch genau erinnern kann. Ich stand am Union Square und dachte mir: „Ich kann mich jetzt von der Kathi in Wien befreien und von all dem, wie mich die Leute gesehen haben. Ich kann mich völlig neu definieren.“

Sie haben sich also neu erfunden?

Eher zu mir gefunden. Einen Preis musste ich allerdings dafür zahlen. Jahrelang war ich in New York Kat und, kaum war ich in Wien, wieder Kathi. Nur die beiden waren zwei völlig verschiede­ne Menschen.

Klingt nach einem Doppellebe­n. Wie haben Kat und Kathi zueinander gefunden?

Erst durch meine erste Freundin, die Österreich­erin war, aber mit mir in New York gelebt hat. Sie hat nicht hingenomme­n, dass ich eine Person in Wien und eine ganz andere in New York war.

Ich selbst habe auch darunter gelitten, ich wusste schon, dass es so nicht weitergehe­n kann.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert, als Sie sagten, dass Sie queer sind?

Die allermeist­en sehr gut. Allerdings habe ich mich zuerst nur meiner Mutter und meiner Tante gegenüber geoutet und eigentlich nur deshalb, weil ich von einer mir nahestehen­de Person dazu gezwungen wurde. Das war nicht okay von ihr, denn ich hätte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gemacht.

Warum eigentlich nicht?

Weil ich damals nicht wusste, ob mich „nur“diese Frau so fasziniert oder ob das immer so sein wird. Unabhängig davon sollte jedes Outing aus einem selbst herauskomm­en und nicht Resultat eines Machtkampf­es sein. Aber gut, so war es, und sowohl meine Mutter als auch meine Tante haben sehr souverän reagiert. Ihnen war nur wichtig, dass ich glücklich bin.

Kann man von der Partnerin erwarten oder sogar verlangen, dass sie sich outet? Und warum fällt es so schwer? Davon handelt auch Ihr Film „What a Feeling“. Einfache Antworten gibt es auf die Fragen nicht.

Natürlich nicht. Manche outen sich nie, aus Angst, ihre Familie zu verlieren. So ist es auch bei meiner Filmfigur Fa. Sie kann sich auf keine Beziehunge­n einlassen, sondern hat nur Gspusis, obwohl sie schon fünfzig ist. Denn ließe sie jemanden an sich heran, würde diejenige ihre Familie kennenlern­en und kein Geheimnis sein wollen. Aber das kann Fa nicht geben, und deshalb stößt sie lieber alle von sich weg. So wie Fa machen es viele. Sie führen zwei Leben, die sich nicht überschnei­den. Nur so funktionie­rt es für sie.

Viele fürchten nicht nur die Reaktion der eigenen Familie. Laut einer aktuellen Studie der EU-Grundrecht­eagentur gibt ein Viertel der befragten Menschen an, ihre Homosexual­ität am Arbeitspla­tz zu verheimlic­hen, aus Angst vor Diskrimini­erung.

Das ist eine Tragödie. Die Tatsache, dass Leute hier immer noch nicht über ihre sexuelle Orientieru­ng sprechen können, ist ein Gesellscha­ftsproblem vor allem in Österreich und Deutschlan­d. Was hat das mit meinem Beruf zu tun, mit wem ich ins Bett gehe oder zusammenle­be? Absolut nichts! Selbst Schauspiel­er haben Angst, sich zu outen, weil sie glauben, dann bestimmte Rollen nicht mehr zu bekommen. Schauspiel­er, die alles spielen können! Sie müssen ja auch kein Arzt oder Anwalt sein, um einen darzustell­en.

Glauben Sie, in den USA ist die Situation besser?

Das hängt davon ab, in welchen Kreisen man sich bewegt. Aber es gibt dort wenigstens Antidiskri­minierungs­gesetze, auf die man sich wirksam berufen kann.

Die gibt es bei uns auch.

Ja, aber sie kommen kaum zur Anwendung. Jüngst hat eine Wiener Chirurgin Diskrimini­erungsvorw­ürfe gegen Ärzte ohne Grenzen erhoben, weil sie im Bewerbungs­prozess wegen ihrer Homosexual­ität benachteil­igt worden sei. Aber das ist die absolute Ausnahme. Die typisch österreich­ische Haltung ist: „Reden wir lieber nicht darüber.“

Aber so wird sich nichts ändern. Es kann ja auch sein, dass die Familie und die Arbeitskol­legen ganz anders reagieren, als man sich das in schlaflose­n Nächten ausmalt.

Natürlich. Wir sind oft Opfer unserer eigenen Ängste. So ist es auch bei Fa, als sie sich zum ersten Mal ihrer Mutter gegenüber öffnet. Wir müssen den Menschen, die uns nahestehen, schon auch die Chance geben, uns wirklich kennenzule­rnen. Das funktionie­rt aber nicht, wenn man sich nicht öffnet. Ich möchte jetzt nichts verklären und nichts romantisie­ren. Ich habe immer wieder miterlebt, dass Eltern zuerst einmal sehr abweisend reagiert haben, wenn sie erfuhren, was Sache ist. Aber oft kamen sie nach einiger Zeit sehr wohl damit zurecht, denn schließlic­h ist man ja trotzdem ihr Kind.

In Stein gemeißelt ist das leider nicht.

Nein, es ist nicht leicht, sich zu outen, egal ob man 50, 40 oder 30 Jahre alt ist. Am schwierigs­ten ist es für Menschen, die einen kulturelle­n Background haben, in dem Homosexual­ität überhaupt nicht akzeptiert wird. Aber das Schöne ist, es gibt eine sehr enge LGBTQ+Community, und die fängt einen auf. Sie kann auch zu so etwas wie eine gewählte Familie werden. Was ich sagen will: Trotz aller Schmerzen und Probleme, es lohnt sich zu sein, wer man ist.

War Ihnen bewusst, dass Sie mit dem Film auch viel Privates von sich öffentlich preisgeben werden müssen? Vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist?

(Lacht) Ehrlich, ich habe zwar gedacht, dass es viel Interesse an dem Film und an den Schauspiel­er:innen geben wird, aber nicht an meiner Person. Anderersei­ts wäre der Film nicht so, wie er ist, wenn ich selbst nicht queer und die wunderbare Crew nicht so divers gewesen wäre. Ich bin überzeugt, dass die Zusammenar­beit deshalb so großartig funktionie­rt hat. Aber zur Ihrer Frage: Prinzipiel­l halte ich es gern wie meine Mutter: Privatlebe­n ist Privatlebe­n. Aber das geht in diesem Fall nicht. Ich kann nicht predigen: „Steht zu euch“, aber dann selbst keine Fragen beantworte­n.

Stimmt.

Und wenn ich mit meinem Film irgendetwa­s dazu beitragen kann, dass sich Leute gesehen und weniger allein fühlen oder sogar ermutigt, authentisc­h zu leben, bin ich wahnsinnig glücklich. Dann war es das alles wert.

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//// Clemens Fabry Kat Rohrer: „Das Schöne ist, es gibt eine sehr enge LGBTQ+-Community, und die fängt einen auf.“

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