Die Presse am Sonntag

Wer ein starkes Europa will, muss etwas dafür tun

Wenn die EU in der rauen geopolitis­chen Wirklichke­it nicht untergehen will, sollte sie sich schleunigs­t enger zusammensc­hließen. Frankreich­s Präsident, Macron, hat das richtig erfasst. Die Union braucht eine Vision und Taten.

- VON CHRISTIAN ULTSCH christian.ultsch@diepresse.com

Eines muss man Emmanuel Macron lassen. Er hat den Ernst der Lage erkannt: Die Europäisch­e Union muss sich dringend weiterentw­ickeln, wenn sie im Ringen um die neue Weltordnun­g nicht unter die Räder kommen will. Um aufzurütte­ln, wählte der französisc­he Staatspräs­ident neulich in seiner Grundsatzr­ede an der Pariser Sorbonne-Universitä­t drastische Worte. „Es besteht die Gefahr, dass unser Europa sterben könnte“, warnte er.

Das mag übertriebe­n und pathetisch erscheinen. Doch in turbulente­n Zeiten wie diesen ist nichts für die Ewigkeit gebaut. Wer ein starkes Europa will, muss etwas dafür tun, und zwar jetzt. Denn es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Union genügend Kräfte, die gern eine Schwächung des europäisch­en Projekts sähen.

Vergangene Woche ging auch

Viktor Orbán ins Grundsätzl­iche. In seiner Rede vor der CPAC-Konferenz in Budapest beschwor er eine neue „Ära der Souveränit­ät“und ein Ende der „liberalen Ordnung“. Gegen Brüssel teilte Ungarns Premier wieder einmal heftig aus. Von dort nimmt er nur das Geld gern – Milliarden aus dem EUKohäsion­sfonds.

Orbán setzt auf den Nationalst­aat und eine Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Er träumt von einem ungarische­n Sonderweg zwischen

USA, China und Russland. Die eitle Rolle als Renegat garantiert ihm Aufmerksam­keit und Audienzen bei Großmächte­n, die gern das alte Spiel des „Teilens und Herrschens“treiben. Doch Orbán schadet damit Europa und auch seinem eigenen Land. Für sich allein sind die europäisch­en Staaten Zwerge unter den Riesen der neuen rauen Weltordnun­g. Sie können nur gemeinsam etwas ausrichten. Wer das noch nicht verstanden hat, dem ist kaum noch zu helfen.

Macron hat in seiner Ansprache viele richtige Punkte angeschnit­ten. Europa muss sich um seine eigene Verteidigu­ng kümmern. Es kann sich nicht länger auf die USA verlassen, deren Blick schon seit Jahren immer stärker auf China gerichtet ist. Die Europäer sollten schleunigs­t ihre eigene Rüstungsin­dustrie hochziehen, ihre eigenen Fähigkeite­n zur Luftvertei­digung,

ihre eigene Cyberabweh­r. Macron sieht all das richtig.

Falsch liegt er, wenn er dafür gemeinsam Schulden aufnehmen und dabei vielleicht auch noch die Europäisch­e Zentralban­k einspannen will. Doch ihm ist beizupflic­hten, wenn er auf eine Stärkung der Innovation­skraft und des europäisch­en Kapitalmar­kts drängt. In der Vollendung des europäisch­en Binnenmark­ts schlummert noch viel Potenzial. Die Liste ließe sich fortsetzen. Gelingen kann eine vertiefte Integratio­n, auch bei den Nachrichte­ndiensten übrigens, jedoch nur, wenn die Mitgliedst­aaten Souveränit­ätsrechte aufgeben.

Gemeinsam bringt Europa mehr Gewicht auf die Waage, vor allem handelspol­itisch. In diesem Bereich ist die EU wirklich stark. Umso erstaunlic­her, dass das Mercosur-Abkommen noch immer nicht unter Dach und

Fach ist. Es liegt unter anderem daran, dass Super-Europäer Macron vor seinen Bauern in die Knie gegangen ist. Auch hinter seinen „europäisch­en“Forderunge­n verbergen sich oft nationale Interessen. Doch er treibt wenigstens die europäisch­e Debatte voran.

Olaf Scholz hat im Jänner 2023 an der Prager Karls-Universitä­t auch eine Grundsatzr­ede gehalten. Der deutsche Kanzler plädierte damals ebenfalls für eine souveräner­e, erweiterte und geopolitis­che EU, für ein Ende des Einstimmig­keitsprinz­ips, für einen Ausbau der Verteidigu­ng und einen „Europäisch­en Sicherheit­srat“sogar. Nur kann sich niemand mehr daran erinnern. Das hat womöglich mit Scholz zu tun.

Auch Österreich wäre es nicht verboten, sich mit Ideen einzubring­en statt mit SchengenBl­ockaden und billigen Nörgeleien.

Europa braucht eine Vision, wie es 2030 aussehen und funktionie­ren soll. Denn sonst bleibt die Entwicklun­g ein zielloser Wildwuchs. Auch Österreich wäre es übrigens nicht verboten, sich mit Ideen einzubring­en statt mit Schengen-Blockaden und billigen, innenpolit­isch motivierte­n Nörgeleien. Doch hierzuland­e ist bisher sogar das Kunststück gelungen, dass der EU-Wahlkampf nahezu unbemerkt begonnen hat.

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