Wer ein starkes Europa will, muss etwas dafür tun
Wenn die EU in der rauen geopolitischen Wirklichkeit nicht untergehen will, sollte sie sich schleunigst enger zusammenschließen. Frankreichs Präsident, Macron, hat das richtig erfasst. Die Union braucht eine Vision und Taten.
Eines muss man Emmanuel Macron lassen. Er hat den Ernst der Lage erkannt: Die Europäische Union muss sich dringend weiterentwickeln, wenn sie im Ringen um die neue Weltordnung nicht unter die Räder kommen will. Um aufzurütteln, wählte der französische Staatspräsident neulich in seiner Grundsatzrede an der Pariser Sorbonne-Universität drastische Worte. „Es besteht die Gefahr, dass unser Europa sterben könnte“, warnte er.
Das mag übertrieben und pathetisch erscheinen. Doch in turbulenten Zeiten wie diesen ist nichts für die Ewigkeit gebaut. Wer ein starkes Europa will, muss etwas dafür tun, und zwar jetzt. Denn es gibt nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Union genügend Kräfte, die gern eine Schwächung des europäischen Projekts sähen.
Vergangene Woche ging auch
Viktor Orbán ins Grundsätzliche. In seiner Rede vor der CPAC-Konferenz in Budapest beschwor er eine neue „Ära der Souveränität“und ein Ende der „liberalen Ordnung“. Gegen Brüssel teilte Ungarns Premier wieder einmal heftig aus. Von dort nimmt er nur das Geld gern – Milliarden aus dem EUKohäsionsfonds.
Orbán setzt auf den Nationalstaat und eine Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus. Er träumt von einem ungarischen Sonderweg zwischen
USA, China und Russland. Die eitle Rolle als Renegat garantiert ihm Aufmerksamkeit und Audienzen bei Großmächten, die gern das alte Spiel des „Teilens und Herrschens“treiben. Doch Orbán schadet damit Europa und auch seinem eigenen Land. Für sich allein sind die europäischen Staaten Zwerge unter den Riesen der neuen rauen Weltordnung. Sie können nur gemeinsam etwas ausrichten. Wer das noch nicht verstanden hat, dem ist kaum noch zu helfen.
Macron hat in seiner Ansprache viele richtige Punkte angeschnitten. Europa muss sich um seine eigene Verteidigung kümmern. Es kann sich nicht länger auf die USA verlassen, deren Blick schon seit Jahren immer stärker auf China gerichtet ist. Die Europäer sollten schleunigst ihre eigene Rüstungsindustrie hochziehen, ihre eigenen Fähigkeiten zur Luftverteidigung,
ihre eigene Cyberabwehr. Macron sieht all das richtig.
Falsch liegt er, wenn er dafür gemeinsam Schulden aufnehmen und dabei vielleicht auch noch die Europäische Zentralbank einspannen will. Doch ihm ist beizupflichten, wenn er auf eine Stärkung der Innovationskraft und des europäischen Kapitalmarkts drängt. In der Vollendung des europäischen Binnenmarkts schlummert noch viel Potenzial. Die Liste ließe sich fortsetzen. Gelingen kann eine vertiefte Integration, auch bei den Nachrichtendiensten übrigens, jedoch nur, wenn die Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte aufgeben.
Gemeinsam bringt Europa mehr Gewicht auf die Waage, vor allem handelspolitisch. In diesem Bereich ist die EU wirklich stark. Umso erstaunlicher, dass das Mercosur-Abkommen noch immer nicht unter Dach und
Fach ist. Es liegt unter anderem daran, dass Super-Europäer Macron vor seinen Bauern in die Knie gegangen ist. Auch hinter seinen „europäischen“Forderungen verbergen sich oft nationale Interessen. Doch er treibt wenigstens die europäische Debatte voran.
Olaf Scholz hat im Jänner 2023 an der Prager Karls-Universität auch eine Grundsatzrede gehalten. Der deutsche Kanzler plädierte damals ebenfalls für eine souveränere, erweiterte und geopolitische EU, für ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips, für einen Ausbau der Verteidigung und einen „Europäischen Sicherheitsrat“sogar. Nur kann sich niemand mehr daran erinnern. Das hat womöglich mit Scholz zu tun.
Auch Österreich wäre es nicht verboten, sich mit Ideen einzubringen statt mit SchengenBlockaden und billigen Nörgeleien.
Europa braucht eine Vision, wie es 2030 aussehen und funktionieren soll. Denn sonst bleibt die Entwicklung ein zielloser Wildwuchs. Auch Österreich wäre es übrigens nicht verboten, sich mit Ideen einzubringen statt mit Schengen-Blockaden und billigen, innenpolitisch motivierten Nörgeleien. Doch hierzulande ist bisher sogar das Kunststück gelungen, dass der EU-Wahlkampf nahezu unbemerkt begonnen hat.