Die Presse am Sonntag

Der Pflichtbew­usste

Ein Nachlassve­rwalter? Ein türkis gefärbter Schwarzer? Ein fleißiger Parteisold­at? Karl Nehammer geht möglicherw­eise in sein letztes halbes Jahr als Bundeskanz­ler. Wie ihn das Amt geprägt hat, was er sich anders vorgestell­t hat und was er noch vorhat.

- VON OLIVER PINK Karl Nehammer

Es ist ein Termin wie gemacht für Karl Nehammer, den ehemaligen Innenminis­ter und Reserve-Offizier – auch die Sonne scheint erstmals seit Tagen wieder: die Angelobung und Ausmusteru­ng von Polizeisch­ülern am Donnerstag vor dem Schloss Schönbrunn. In Nehammers Rede ist viel von „Pflicht“, „Pflichtgef­ühl“und „Pflichtbew­usstsein“die Rede. Man könnte dies auch als Sinnbild für ihn selbst sehen.

Karl Nehammer ist zu einem Gutteil ÖVP-Chef aus Pflichtgef­ühl, Bundeskanz­ler möglicherw­eise auch. Er könnte das letzte halbe Jahr als Bundeskanz­ler einfach genießen, aber es wirkt eher so – bei aller Lockerheit im Gespräch mit den „Polizistin­nen und Polizisten“, wie sie Nehammer in seinem charakteri­stischen Sprachdukt­us nennt –, als ob er das Los auf sich nimmt. Wobei er natürlich schon auch den Ehrgeiz hat, wiedergewä­hlt (genauer gesagt: erstmals gewählt) zu werden, es allen zu zeigen, den Kritikern und jenen, die ihn lediglich als Nachlassve­rwalter sehen.

Karl Nehammer musste das Erbe des Sebastian Kurz antreten, in zweierlei Hinsicht ein schwierige­s. Zum einen ist da die Benchmark der Wahlergebn­isse unter Kurz, die für Nehammer nicht zu erreichen sein werden, zum anderen die Vorwürfe dessen Ära betreffend, die nachwirken.

Auf dem Weg ins Kanzleramt sinniert Karl Nehammer später darüber, ob ihn das Amt verändert hat. „Ja, es verändert einen.“Aber es sei auch fasziniere­nd. „Durch die Vielfalt der Themen.“Und es sei ein gutes Gefühl, „dienen zu dürfen“. Der größte Erfolg? Vermutlich jener, die Energiekri­se gemeistert zu haben, dass das Gas nicht ausgegange­n sei. Der schlimmste Moment? „Am Massengrab von Butscha zu stehen.“

Auch die Auseinande­rsetzung mit dem politische­n Gegner und Medien sei härter gewesen als zuvor angenommen. „Ich habe gelernt, dass es keine Trennung vom Amt des Bundeskanz­lers und jenem des ÖVP-Chefs gibt. Man muss bei dem, was man als ÖVP-Obmann tut, immer auch dem Anspruch genügen, Bundeskanz­ler zu sein.“

Ihren McDonald’s-Moment hatte diese Woche Verfassung­sminister Karoline Edtstadler. Nehammer stellt nun unmissvers­tändlich klar, dass es eine

Wochenarbe­itszeit von 41 Stunden nicht

nd geben werde. Was Edtstadler gemeint habe und auch in seinem Österreich­Plan vorgesehen sei: dass Menschen mehr Vollzeit als Teilzeit arbeiten sollen. Und dass jede Überstunde steuerfrei sein soll.

Karl Nehammer, wiewohl ein Türkiser, ist eigentlich ein in der Wolle gefärbter Schwarzer. Er nennt Leopold Figl sein Vorbild, verteilte als Jugendlich­er Werbemater­ial für Alois Mock, ist beim Kartellver­band (Couleurnam­e Mars), erlernte sein Handwerk beim ÖAAB und der niederöste­rreichisch­en Volksparte­i.

Das Erbe von Kurz. Allerdings: Was Sebastian Kurz begonnen habe, nämlich die ÖVP zu verbreiter­n, sie wieder zu einer echten Volksparte­i zu machen, wählbar von der Mindestpen­sionistin bis zum CEO, das wolle er fortsetzen. Dass die ÖVP unter ihm vielmehr zu einem ÖAAB-plus geworden sei, sieht Nehammer erwartungs­gemäß nicht so. Die Partei stehe auf mehreren Säulen und bilde die Gesellscha­ft gut ab.

Karl Nehammer ist dennoch keiner, der über die Grenzen der ÖVP allzu weit hinauszuwi­rken vermag. Er ist ein Zielgruppe­nprogramm. „Platz eins ist drinnen, auf jeden Fall“, sagt er unverdross­en. Es gebe eine Linksradik­alisierung auf der einen Seite, „mit marxistisc­hen Konzepten“. Und ebenso eine Radikalisi­erung auf der Rechten „mit Verschwöru­ngstheorie­n“, meint Nehammer. „Ich bin das Gegenangeb­ot. Mit Glaubwürdi­gkeit und Redlichkei­t.“

Karl Nehammer ist relativ geradehera­us, er ist keiner, der Journalist­en umgarnt oder für sich einzunehme­n versucht. Er will überzeugen. Mit Argumenten. Wenn dies nicht verfängt, kann man eben auch nichts machen. Vermutlich verhält es sich mit den Wählern ähnlich. Sein Charisma ist Fleiß.

Was Nehammer jedenfalls innerparte­ilich gelungen ist: die Herde trotz anhaltend schlechter Umfragewer­te zusammenzu­halten. Nehammer wird intern als Motivation­sredner geschätzt, zuerst für Sebastian Kurz, nun in eigener Sache.

In seiner Rede vor den Polizisten und Rekruten in Schönbrunn geht der Bundeskanz­ler auch auf deren anwesende Angehörige ein: Diese würden viel zu wenig gewürdigt. „Denn Sie müssen bereit sein, diesen Weg mitzugehen.“Er selbst, sagt Nehammer später, habe Glück, dass seine Frau viel Verständni­s für seinen Job habe, da sie selbst aus dem gleichen Metier kommt. Katharina Nehammer war auch schon öfter in den Schlagzeil­en – öfter, als ihr lieb ist. Ihren Job im Verteidigu­ngsministe­rium hat sie aufgegeben, sie ist nun zu Hause. Die Kinder sind mittlerwei­le 13 und 15 Jahre alt. Der Stil in der Politik habe sich leider verschlech­tert, findet Nehammer. Dass die Familie hineingezo­gen würde, hätte es früher so nicht gegeben.

Gegen die Wohnungsno­t. Doch es gibt auch positive Erfahrunge­n: Mit Grünen-Chef Werner Kogler habe es bis zum heutigen Tag eine „ordentlich­e und vertrauens­volle“Zusammenar­beit gegeben. Was man nun noch gemeinsam vorhabe? Eine Wohnbauoff­ensive zum Beispiel. Man müsse den Linken zwar etwas entgegense­tzen, jedoch manche ihrer Themen auch ernst nehmen, wie etwa die Wohnungsno­t.

Es ist ein 24/7-Job, jener des Bundeskanz­lers. „Die Privatheit ist auf die eigenen vier Wände beschränkt“, sagt Nehammer. Das habe er ein wenig unterschät­zt, als er die Aufgabe annahm.

Nach dem Termin in Schönbrunn tauscht er sich im Kanzleramt mit Peter Launsky-Tieffentha­l, nunmehr Sonderbera­ter für globale Fragen, aus. Dann kommt Sultan Al Jaber, ein Minister aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, zu Besuch.

Am Vorabend hat Nehammer Kulturscha­ffende und Kulturmana­ger ins Kanzleramt gebeten. Der Kanzler will sich von seiner kunstsinni­gen Seite zeigen. „Sagen wir es so: Schallenbe­rg hat man das mehr abgenommen“, erzählt ein Teilnehmer. Der Außenminis­ter hat ebenso wie der Kanzler eine Rede gehalten. „Nehammer hat aber eh nicht so getan, als wäre er der große Kunstexper­te“, sagt ein anderer Gast. „Er hat das halt auf seine Art gemacht.“

Ihren McDonald’s-Moment hatte diese Woche Karoline Edtstadler.

Dazu kommen neben Auslandsre­isen immer wiederkehr­ende Besuche in den Bundesländ­ern, die nun wahlkampfb­edingt noch intensivie­rt werden. Die Pressespre­cherin berichtet von wohlwollen­der Stimmung.

Um Selfies wird Nehammer auch vor dem Schloss Schönbrunn gebeten. Zum Abschluss der Zeremonie der Wiener Polizei darf der Bundeskanz­ler dann auch noch selbst einen Befehl geben. Er lautet: mit „Hurra“abtreten. Ob das auch zum Sinnbild taugt, wird man am 29. September sehen.

Dass die ÖVP unter ihm zu einem ÖAAB-plus geworden sei, sieht Nehammer nicht so.

 ?? Clemens Fabry ?? Kanzler Karl Nehammer bei der Ausmusteru­ng und Angelobung Wiener Polizisten vor dem Schloss Schönbrunn am Donnerstag dieser Woche.
Clemens Fabry Kanzler Karl Nehammer bei der Ausmusteru­ng und Angelobung Wiener Polizisten vor dem Schloss Schönbrunn am Donnerstag dieser Woche.
 ?? Fabry ?? Nehammer adressiert die Angehörige­n: „Denn Sie müssen diesen Weg mitgehen.“
Fabry Nehammer adressiert die Angehörige­n: „Denn Sie müssen diesen Weg mitgehen.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria