Das Duell ums Rathaus in London
Bürgermeisterwahl in der britischen Hauptstadt: Amtsinhaber Sadiq Khan geht am 2. Mai als klarer Favorit ins Rennen. Die Schwarzmalerei seiner Tory-Rivalin Susan Hall kommt nicht gut an in der Metropole.
Wer Susan Hall eine Weile zuhört, dem vergeht jede Lust auf London. In öffentlichen Auftritten und in Videos auf X und Instagram beschreibt die 68-jährige Tory-Politikerin eine furchteinflößende Stadt, in der Verbrecherbanden ungestraft ihr Unwesen treiben. „Wir fühlen uns auf den Straßen Londons nicht sicher“, sagte sie. Gefahr lauert auch im Rathaus selbst: Die Metropole wird angeblich von einem autoritären Oberbürgermeister regiert, der die unbescholtenen Londoner durch exorbitante Umweltabgaben zur Kasse bittet.
Die Schwarzmalerei hat einen guten Grund: Hall will selbst ins Rathaus ziehen, sie ist die konservative Kandidatin für den Posten, den Sadiq Khan von der Labour-Partei seit acht Jahren besetzt. Am 2. Mai wird gewählt, und Hall zieht alle Register, um den LabourJahren ein Ende zu setzen.
Es scheint alles nichts zu helfen. Laut Umfragen wird Khan, der erste muslimische Bürgermeister einer westlichen Großstadt, erneut als Sieger aus der Wahl hervorgehen. In allen Erhebungen lag der Amtsinhaber deutlich vor seiner Rivalin. Würde Khan erneut triumphieren, wäre er der erste Londoner Oberbürgermeister, der drei Wahlen gewonnen hat.
Was ihm hilft: Das düstere London, von dem Susan Hall in so schrillen Tönen erzählt, gibt es nicht, zumindest nicht in den Augen der meisten Londoner. Zwar hat die Zahl der Diebstähle und Überfälle zuletzt tatsächlich stark zugenommen. Dennoch ist die Kriminalitätsrate in London im Vergleich zu anderen Städten relativ gering. Laut Statistik ist das Risiko, Opfer eines Verbrechens zu werden, in der Hauptstadt kleiner als im englischen Durchschnitt. Eine länderübergreifende Studie ist im Vorjahr sogar zum Schluss gekommen, dass London eine der sichersten Großstädte weltweit ist.
Auch die Ausweitung der City-Maut, über die Susan Hall so viel schimpft, löst weit weniger Empörung aus, als es ihre Kampagne suggeriert. Seit letztem Sommer müssen Dreckschleudern im Stadtgebiet von Greater London eine tägliche Abgabe von 12,50 Pfund entrichten – zuvor nur in den inneren Stadtbezirken. Hall hält dies für eine „Kriegsansage an Autofahrer“.
Aber eine Mehrheit der Londoner, so legen Umfragen nahe, ist recht zufrieden mit der zusätzlichen Abgabe. Immerhin soll sie einen entscheidenden Beitrag zu sauberer Stadtluft leisten.
Beim Kampf ums Rathaus geht es indessen nicht nur um handfeste politische Programmpunkte. Denn besonders viel Einfluss auf das Leben in der Hauptstadt hat der Amtsinhaber nicht, trotz seines beeindruckenden Titels. Beim Wohnungsbau, dem Polizeibudget oder dem Transport ist der Oberbürgermeister von Geld von der Zentralregierung abhängig. Seine konkrete Aufgabe beschränkt sich vor allem darauf, Strategien auszuarbeiten und Prioritäten zu setzen. Darüber hinaus ist die Rolle weitgehend dekorativ. Es geht darum, für London Werbung zu machen und
nd die Stadt zu repräsentieren.
60 Prozent gegen den Brexit.
Für die Metropole – EU-freundlich, klimabewusst, ausgesprochen international – scheint Khan ein besseres Aushängeschild zu sein als seine Tory-Rivalin. Susan Hall ist eine Brexit-Anhängerin, die sich mehrfach kritisch über Multikulturalismus und Einwanderung geäußert hat. Solche Haltungen stehen im Widerspruch zur Mehrheitsmeinung in London, insbesondere in den inneren Stadtbezirken. Laut einer Umfrage aus dem Vorjahr finden 57 Prozent der Londoner, die zunehmende ethnische Diversität
der Stadt sei zu begrüßen. Und bekanntlich stimmten hier 60 Prozent gegen den Brexit.
Das EU-Referendum von 2016 schockierte die Stadt zutiefst, manche sagten damals sogar den Niedergang Londons voraus. „Das moderne London ist die Metropole, die die Globalisierung geschaffen hat“, schrieb die „New York Times“2017. Doch der Brexit gefährde die Rolle der Stadt als internationaler Knotenpunkt. „Wird London fallen?“, lautete die Schlagzeile.
Die Antwort aus heutiger Sicht heißt: Nein. Vom Brexit und der Pandemie hat sich die Stadt überraschend schnell erholt. Der Schaden für den Finanzsektor hat sich in Grenzen gehalten, und der boomende Tech-Sektor brummt weiter, wie der „Economist“kürzlich feststellte. Die Bevölkerung wächst weiter, und sie ist kosmopolitischer als je zuvor: Der Wegzug von EUBürgern wurde durch die Ankunft von Zuzüglern aus Übersee mehr als wettgemacht. Nur ein Drittel der 8,8 Millionen Londoner sind weiße Briten, der Großteil der Bevölkerung stammt entweder aus ethnischen Minderheiten oder ist im Ausland geboren.
Die Kompetenzen sind beschränkt. Wichtig ist vor allem das Repräsentieren.
Die Wohnungskrise. Herausforderungen gibt es dennoch viele. Vor allem die Wohnungskrise verschärft sich laufend. Exorbitante Mieten und ein Mangel an erschwinglichem Wohnraum haben zu einem starken Anstieg der Wohnungslosigkeit geführt. Die Obdachlosigkeit hat im vergangenen Jahrzehnt um 50 Prozent zugenommen. Für viele Einwohner droht London schlichtweg zu teuer zu werden.
In den letzten acht Jahren sind zwar erstmals seit langer Zeit wieder Gemeindewohnungen im größeren Stil gebaut worden. Aber insgesamt wird viel weniger Wohnraum geschaffen, als angesichts der akuten Krise erforderlich wäre.
Im Kampf ums Rathaus ist dies auch das entscheidende Thema. Favorit Sadiq Khan und Rivalin Susan Hall versprechen, ein größeres Wohnungsprogramm aufzuziehen. „Die Zukunft Londons sieht düster aus“, wenn nicht etwas unternommen werden gegen die Wohnungskrise, schrieb Peter Apps vom Branchenmagazin „Inside Housing“. Ohne erschwinglichen Wohnraum wird der Londoner Boom irgendwann platzen.