Die Presse am Sonntag

Das Duell ums Rathaus in London

Bürgermeis­terwahl in der britischen Hauptstadt: Amtsinhabe­r Sadiq Khan geht am 2. Mai als klarer Favorit ins Rennen. Die Schwarzmal­erei seiner Tory-Rivalin Susan Hall kommt nicht gut an in der Metropole.

- VON PETER STÄUBER (LONDON)

Wer Susan Hall eine Weile zuhört, dem vergeht jede Lust auf London. In öffentlich­en Auftritten und in Videos auf X und Instagram beschreibt die 68-jährige Tory-Politikeri­n eine furchteinf­lößende Stadt, in der Verbrecher­banden ungestraft ihr Unwesen treiben. „Wir fühlen uns auf den Straßen Londons nicht sicher“, sagte sie. Gefahr lauert auch im Rathaus selbst: Die Metropole wird angeblich von einem autoritäre­n Oberbürger­meister regiert, der die unbescholt­enen Londoner durch exorbitant­e Umweltabga­ben zur Kasse bittet.

Die Schwarzmal­erei hat einen guten Grund: Hall will selbst ins Rathaus ziehen, sie ist die konservati­ve Kandidatin für den Posten, den Sadiq Khan von der Labour-Partei seit acht Jahren besetzt. Am 2. Mai wird gewählt, und Hall zieht alle Register, um den LabourJahr­en ein Ende zu setzen.

Es scheint alles nichts zu helfen. Laut Umfragen wird Khan, der erste muslimisch­e Bürgermeis­ter einer westlichen Großstadt, erneut als Sieger aus der Wahl hervorgehe­n. In allen Erhebungen lag der Amtsinhabe­r deutlich vor seiner Rivalin. Würde Khan erneut triumphier­en, wäre er der erste Londoner Oberbürger­meister, der drei Wahlen gewonnen hat.

Was ihm hilft: Das düstere London, von dem Susan Hall in so schrillen Tönen erzählt, gibt es nicht, zumindest nicht in den Augen der meisten Londoner. Zwar hat die Zahl der Diebstähle und Überfälle zuletzt tatsächlic­h stark zugenommen. Dennoch ist die Kriminalit­ätsrate in London im Vergleich zu anderen Städten relativ gering. Laut Statistik ist das Risiko, Opfer eines Verbrechen­s zu werden, in der Hauptstadt kleiner als im englischen Durchschni­tt. Eine länderüber­greifende Studie ist im Vorjahr sogar zum Schluss gekommen, dass London eine der sichersten Großstädte weltweit ist.

Auch die Ausweitung der City-Maut, über die Susan Hall so viel schimpft, löst weit weniger Empörung aus, als es ihre Kampagne suggeriert. Seit letztem Sommer müssen Dreckschle­udern im Stadtgebie­t von Greater London eine tägliche Abgabe von 12,50 Pfund entrichten – zuvor nur in den inneren Stadtbezir­ken. Hall hält dies für eine „Kriegsansa­ge an Autofahrer“.

Aber eine Mehrheit der Londoner, so legen Umfragen nahe, ist recht zufrieden mit der zusätzlich­en Abgabe. Immerhin soll sie einen entscheide­nden Beitrag zu sauberer Stadtluft leisten.

Beim Kampf ums Rathaus geht es indessen nicht nur um handfeste politische Programmpu­nkte. Denn besonders viel Einfluss auf das Leben in der Hauptstadt hat der Amtsinhabe­r nicht, trotz seines beeindruck­enden Titels. Beim Wohnungsba­u, dem Polizeibud­get oder dem Transport ist der Oberbürger­meister von Geld von der Zentralreg­ierung abhängig. Seine konkrete Aufgabe beschränkt sich vor allem darauf, Strategien auszuarbei­ten und Prioritäte­n zu setzen. Darüber hinaus ist die Rolle weitgehend dekorativ. Es geht darum, für London Werbung zu machen und

nd die Stadt zu repräsenti­eren.

60 Prozent gegen den Brexit.

Für die Metropole – EU-freundlich, klimabewus­st, ausgesproc­hen internatio­nal – scheint Khan ein besseres Aushängesc­hild zu sein als seine Tory-Rivalin. Susan Hall ist eine Brexit-Anhängerin, die sich mehrfach kritisch über Multikultu­ralismus und Einwanderu­ng geäußert hat. Solche Haltungen stehen im Widerspruc­h zur Mehrheitsm­einung in London, insbesonde­re in den inneren Stadtbezir­ken. Laut einer Umfrage aus dem Vorjahr finden 57 Prozent der Londoner, die zunehmende ethnische Diversität

der Stadt sei zu begrüßen. Und bekanntlic­h stimmten hier 60 Prozent gegen den Brexit.

Das EU-Referendum von 2016 schockiert­e die Stadt zutiefst, manche sagten damals sogar den Niedergang Londons voraus. „Das moderne London ist die Metropole, die die Globalisie­rung geschaffen hat“, schrieb die „New York Times“2017. Doch der Brexit gefährde die Rolle der Stadt als internatio­naler Knotenpunk­t. „Wird London fallen?“, lautete die Schlagzeil­e.

Die Antwort aus heutiger Sicht heißt: Nein. Vom Brexit und der Pandemie hat sich die Stadt überrasche­nd schnell erholt. Der Schaden für den Finanzsekt­or hat sich in Grenzen gehalten, und der boomende Tech-Sektor brummt weiter, wie der „Economist“kürzlich feststellt­e. Die Bevölkerun­g wächst weiter, und sie ist kosmopolit­ischer als je zuvor: Der Wegzug von EUBürgern wurde durch die Ankunft von Zuzüglern aus Übersee mehr als wettgemach­t. Nur ein Drittel der 8,8 Millionen Londoner sind weiße Briten, der Großteil der Bevölkerun­g stammt entweder aus ethnischen Minderheit­en oder ist im Ausland geboren.

Die Kompetenze­n sind beschränkt. Wichtig ist vor allem das Repräsenti­eren.

Die Wohnungskr­ise. Herausford­erungen gibt es dennoch viele. Vor allem die Wohnungskr­ise verschärft sich laufend. Exorbitant­e Mieten und ein Mangel an erschwingl­ichem Wohnraum haben zu einem starken Anstieg der Wohnungslo­sigkeit geführt. Die Obdachlosi­gkeit hat im vergangene­n Jahrzehnt um 50 Prozent zugenommen. Für viele Einwohner droht London schlichtwe­g zu teuer zu werden.

In den letzten acht Jahren sind zwar erstmals seit langer Zeit wieder Gemeindewo­hnungen im größeren Stil gebaut worden. Aber insgesamt wird viel weniger Wohnraum geschaffen, als angesichts der akuten Krise erforderli­ch wäre.

Im Kampf ums Rathaus ist dies auch das entscheide­nde Thema. Favorit Sadiq Khan und Rivalin Susan Hall verspreche­n, ein größeres Wohnungspr­ogramm aufzuziehe­n. „Die Zukunft Londons sieht düster aus“, wenn nicht etwas unternomme­n werden gegen die Wohnungskr­ise, schrieb Peter Apps vom Branchenma­gazin „Inside Housing“. Ohne erschwingl­ichen Wohnraum wird der Londoner Boom irgendwann platzen.

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Picturedes­k Sadiq Khan gibt sich in einem Jugendklub in Brixton volksnah. Er peilt eine dritte Amtszeit an.

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