Das denkmalgeschützte Rennbahnidyll in der Wiener Krieau
Seit nunmehr 150 Jahren ruft der Wiener Trabrennverein zu Pferderennen in den Wiener Prater. Obwohl rundum Häuser wachsen und Platz, Zuschauer und Wetteinsätze schwinden, bleibt die Aufgabe ein Fremdwort. Ein Geburtstagsbesuch.
Wer durch den Wiener Prater spaziert, sieht Veränderung. Das Messeareal ist neu herausgeputzt, rund um die Wirtschaftsuniversität sind Wohnhäuser in einem Tempo und einer Anzahl emporgeschossen, die man für gemeinhin Pilzen im Wald andichtet. Es gibt Büros, Hotels, ganz neue Hochhäuser. Vis-à-vis dem Happel-Stadion kann man zuschauen, wie täglich ein ums andere Stockwerk wächst. Und weitere Projekte sonder Zahl liegen planfertig in Schubladen bereit.
Viele finden im Viertel Zwei jetzt ein modernes Zuhause, und entlang der Trabrennstraße oder der Südportalstraße ist eine Imagekorrektur verwirklicht worden. Dafür aber mussten andere Platz machen und in ihrem eigenen Gedeih erstaunlichen Stillstand dulden. Seit Jahren schwindet nunmehr das Areal des Wiener Trabrennvereins und seiner traditionell-ehrwürdigen Rennbahn in der Krieau. Es wird noch kleiner werden, die Lage vermutlich trister. Obschon das viele denken, will man diese Vision in Ställen und auf der Sandbahn keinesfalls hören oder glauben.
Wir haben einen unkündbaren Pachtvertrag, der behält seine Kraft, solang es den Rennbetrieb an zumindest einem Tag pro Jahr gibt.
ANDREAS BINDER Wiener Trabrennverein
Rennen, Rallye, Robbie. Dass der Trabrennverein am 1. Mai sein 150-jähriges Bestehen feiert, mag für Liebhaber und Begleiter der Zunft freilich ein großer Festtag sein. Doch in jedem
nd
Sulky drehen seit gefühlten Ewigkeiten auch Nostalgie, Wehmut und Zukunftsangst ihre Runden.
Der Besuch der Rennbahn weckt augenblicklich viele Erinnerungen an große Trabrennen vor prall gefüllten Rängen. Ob Derby, Hunyady-Memorial, Auftritte der Grand-Circuit-Serie, der Formel-1 der Traberpferde, oder die Suche nach den schönsten Hüten: Dieser von Wetten, Zucht und/oder wahrer Pferdeliebe getragene Sport mobilisierte vor einem Vierteljahrhundert noch die Massen. Wer im Trabrennverein dabei war, zählte zur Hautevolee.
Am 4. Mai feiert der Wiener Trabrennverein sein 150-jähriges Bestehen.
Die Krieau witterte Aufbruchstimmung – einmal mehr. Politiker, Wirtschaftsbosse, Stars und Sternchen waren zugegen, um Rössern mit exaltierten Namen auf die Hufe zu schauen. Mit der Renovierung der Haupttribüne sollten mehr Möglichkeiten für Firmenfeiern reifen. Gastrounternehmer sollten neue Besucher anlocken. Davon träumt man weiterhin. Aber es gibt keine Konzerte mehr – unter anderem beschallten schon Robbie Williams, die Toten Hosen u. a. das Areal. Sogar die lang eingemieteten Golfer schlagen woanders von ihrer Driving Range ab. An eine Rallye-Superstage mit PS-Ikonen wie Juha Kankkunen und Manfred Stohl ist gar nicht mehr zu denken, diese Sponsoren sind selbst dem Motorsport abhandengekommen. Die Möglichkeiten schwinden, parallel zu den Pferden traben die altbekannten Probleme munter mit im Kreis. Und Erinnerungen? Die sind bekanntlich nur Reifenspuren im Sand.
Innovation unter Denkmalschutz.
Die Gegenwart der Rennbahn und ihres Vereins ist weitaus unspektakulärer. Viele Stallungen, in denen einst bis zu 500 Pferde untergestellt, trainiert und täglich versorgt waren, sind bereits verschwunden. Die Sandbahn hat im Lauf der Jahre aus Platzgründen zum Bau der vielen Neubauten über 100 Meter eingebüßt, sie läuft nur noch über einen Kilometer rund. Inmitten des weiterhin weitläufigen, brach-kahlen Areals thront unermüdlich bis unberührt der Zielrichterturm. Dass er denkmalgeschützt ist wie das stolze, gelb strahlende, mit Fachwerken geschmückte Verwaltungsgebäude, manche Stallung oder die um die Jahrtausendwende renovierte Ehrentribüne (mit Majolika-Reliefs im Stil der Wiener Werkstätte), sieht man – als kritischer Geist in der Gesamtbetrachtung von Wiener Sportanlagen – auf den ersten Blick. Ob diese Wahrnehmung 1874 bei der Gründung des Trabrennvereins anders war?
Als Kontrast baut sich mit Blick Richtung City die Skyline der Wohnhäuser auf. Dazwischen ragt der Praterturm empor. Bei gutem Wind hört man das Geschrei der Kinder, die dort ihren Spaß haben. In der Krieau hört man selten, aber doch Wettfans am Seitenrand der Bahn schreien, ihrer Tipps wegen. Die Anlage zählt wie das Hippodrom Moskau zu den ältesten europäischen Pferderennbahnen.
Die Wette des kleinen Mannes.
Beim Eingang seitlich der Tribüne – Insidern seit jeher als „Buchmachertor“ein Begriff, weil hier der Legende nach die besten Wetten und Quoten lauerten – versieht Brigitte ihren Dienst. Die „gute Seele des Seiteneinganges“schupft eloquent den Kartenverkauf. Der Andrang ist an diesem Sonntag allerdings mehr als verhalten, dabei kosten Tickets nur sechs Euro, ermäßigt wandern sie für drei Euro über den Tresen. Die Saisonkarte gibt es für 100 Euro. Woche für Woche sei sie da, zählt sie stolz auf. Der Sohn sei Amateurfahrer, man liebe Pferde, die Geschichte des Sports, die Tradition. Dass man sich dafür nichts kaufen könne, sei logisch. 300 bis 400 Zuschauer würden an Renntagen, sonntags, den Weg hierher finden. An großen Tagen, wenn „blaues Band“, Championate oder Memorial anstehen, seien es „freilich mehr“.
Wie viele mehr? Sie schüttelt den
Kopf und zuckt mit den Achseln.
Große Konzerte wie von Robbie Williams sind bei uns unmöglich geworden, weil der Neubauten wegen viele Fluchtwegrouten nicht mehr existieren.
ANDREAS BINDER Wiener Trabrennverein
Die Worte eines ehemaligen KrieauFunktionärs klingen heute noch irritierend in den Ohren des Besuchers. Man habe „Angst vor dem Internet“, dem Wandel der Wettbranche, dem Verlust der Zuschauer. Weil es durch Moderne und Technik plötzlich andere Möglichkeiten gab, um Wetten abzuschließen, oder man gar verstärkt und lukrativer auf andere Sparten (Fußball) setzen konnte, waren Pferdewetten überholt. Womöglich habe man da, sagt Andreas Binder, der dem Traberverein seit 2017 im Vorstand zur Seite steht, „eine große Chance vertan“.
Mit Pferdewetten allein ist der Rennbahnbetrieb längst nicht mehr finanzierbar.
Eine frühe Nutzung des Internets hätte durchaus hilfreich sein können, anstatt sich vor ihr zu fürchten. Fakt war dann aber schnell, dass man sich allein mit Wettumsätzen und Renntagen nicht mehr werde finanzieren können, sagt
Binder. Es brauchte frische Ideen, Events und Zugänge. Dass damals parallel dazu in Ebreichsdorf Frank Stronachs Racino allem um fast jeden Preis wahnwitzig die Gunst abzugraben versuchte, verschärfte Tempo wie Talfahrt in dieser Negativspirale. Für alle Seiten.
In der Krieau – es läuft traditionell eine Ganzjahressaison mit 20 Renntagen, außer im Juli und August –, in Baden oder Wels gebe es erstaunlicherweise weiterhin Betrieb, wenngleich um Welten überschaubarer, sogar noch in Ebreichsdorf nach Stronachs Verkauf. Pferdewetten sind allerdings endgültig nur noch ein Nischenprodukt. „Es ist die Wette des kleinen Mannes“, sagt Binder, der sich für den Trabrennverein um Marketing und Public Relations kümmert. Konkurrenz, Preisexplosionen, Inflation, Zeit, Lust: Gründe, warum man in der breiten Gunst der Besucher hinterherläuft, gibt es viele. Dass Förderungen durch Stadt oder Bund eine heillose Illusion sind und auch bleiben, weil ja keine Eigentumsverhältnisse mehr vorliegen, sei Faktum. Im
Schnitt lukriere man 4500 Euro Wettumsatz pro Rennen, ein gewisser Prozentsatz (bis zu 35 %) bleibe dem Veranstalter. Und um Skeptikern, Grundstücksbesitzern, Immobilienhaien oder Anrainern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Man halte ungeachtet aller Entwicklungen an 20 bis 25 Renntagen pro Jahr fest und suche „neue Vermarktungswege“. Es gebe ja Social Media, neuerdings eine Krieau-App. „Das Publikum wird jünger, das Interesse ist da.“
Zwilling, Dreier, Mayr? Tatsächlich. Am Tisch vor der Ehrentribüne nehmen drei Männer Platz. Ausgerüstet mit dem „Krieau-Magazin“, allen Rennen, Quoten, Wetten, Insider-News. Sie zücken Kugelschreiber und Wettscheine, debattieren über Tipps, Kilometerzeit der Pferde, ihre Fahrer. „Gerhard Mayr gewinnt, auf den setze ich“, sagt einer, und dann beginnt das Abwägen der Einsätze. Sieg (Mindesteinsatz 1 Euro), Platz (Top-drei-Finish, 1 Euro), Zwilling (Erster und Zweiter, 1 Euro), Dreieroder Viererwette oder doch Super-76 (sieben ausgewählte Sieger, ab 18 Cent), weil bei diesem Alleinstellungsmerkmal gerade knapp 20.000 Euro im Jackpot liegen? Diese Romantik rundeten günstige Getränke (Spritzer 2,5 Euro, sehr guter Kaffee, drei Euro) ab. Dazwischen trabten gemütlich Hunde vorbei, lachten Kinder auf ihren Rollern und pilgerten zusehends Pensionisten, die sich alle kannten und winkend begrüßten, die Längsseite der Bahn entlang.
Dass das größere Geschäft für den Trabrennverein – ihm steht seit 2017 Peter Truzla (Personalchef Henkel Österreich) vor – mit Livestreams nach Frankreich (Wettanbieter Pari Mutuel Urbain) läuft, gibt Binder unumwunden zu. Auch partizipiere man prozentuell von weiteren Anbietern quer durch Europa. Von einem Monopol auf Pferdewetten spricht in Österreich ja keiner mehr. Dass man trotzdem nicht wie in Schweden oder Finnland an jedem Kiosk auf Traber und Galopper, hierzulande jedoch auf fast jedes Fußballspiel wetten kann, ist eine der schmerzhaftesten Erkenntnisse im Pferdestall.
Crowdfunding für Pferde. Womit hält man sich in der Krieau also über Wasser, wenn Rennen, Dotation (50.000 Euro für den Derbysieger), Zucht, Catch Driver etc. fortlaufend überschaubarer werden? Größere Konzerte, sagt Binder, wurden durch viele Neubauten „unmöglich, weil Fluchtwegrouten nicht mehr existieren“. Man vermiete allerdings den Parkplatz, paradoxerweise sei das just mit der Baufirma (Immobilienentwickler Value One), deren Häuser rund um die Rennbahn näher und näher rücken „ein gutes Geschäft“.
2007 wurde das Gelände rund um die Rennbahn von der Stadt Wien verkauft, 2018 der Rennbahngrund, und
Unkenrufe über das endgültige Ende der Krieau wurden lauter. Binder muss lächeln. Man habe doch weiterhin einen „unkündbaren Pachtvertrag“, und der behalte seine Kraft, solang es den Rennbetrieb an zumindest einem Tag pro Jahr gebe. Das „Umzugsgespenst“mag auch seine Runden drehen, bloß Angebote lägen keine vor, und der Wunsch nach einem Ortswechsel sei extrem gering. Aber stellt sich irgendwann nicht doch zwingend die Frage nach Sinn, Kosten, Nutzen und Vorteil? Einen neuen Standort gibt es nicht, beteuert er vehement. Vorschläge von Freudenau bis Rothneusiedl waren „absurd“. Nein, es gehe hier weiter. Mit 200 Rennen pro Jahr, mit 50 bis 60 Pferden (Kosten pro Tier pro Monat ca. 1000 Euro), ein paar Rennställen, Züchtern, Firmenevents, Geburtstagsfeiern und Crowdfunding (bis zu 30 Personen) für Pferde. Und man habe neue Unterstützer: Weil mancher Anrainer gar gesondertes Interesse an seiner teuer erworbenen Aussicht zeigt, sprich auf ein Gegenüber vor dem Balkon wenig Wert legt, stieg zuletzt auch die Mitgliederzahl des Vereins. Mit neuen Protagonisten kommen neue Ideen ins Spiel.
Ein Platzwechsel der Traber ist weiterhin ausgeschlossen. Der Pachtvertrag läuft.
Präsident, Stadt und Bauträger würden aber irgendwann sicher wieder über einen Platzwechsel sprechen. Irgendwann, man habe keine Eile. Das Zeitfenster sei groß. So lang treffen sich in der Krieau weiterhin Historie und Gegenwart, Tradition und Moderne. Pferdefans werden zwar weniger, doch sie halten einem der ältesten Wiener Vereine die Treue. Man freut sich auf Derby (23. Juni.), Kálmán-Hunyady-Gedenkrennen (13. Oktober) und die Feierlichkeiten anlässlich des Jubiläums am 4. Mai (bei freiem Eintritt). Es gab Weltkriege, Währungsreformen, Wirtschaftskrise und Pandemie: In der Krieau gibt es keinen Stillstand. Es bleibt allerdings ein Rennen der Nostalgie. Die Uhr tickt.