Die Presse am Sonntag

Das denkmalges­chützte Rennbahnid­yll in der Wiener Krieau

Seit nunmehr 150 Jahren ruft der Wiener Trabrennve­rein zu Pferderenn­en in den Wiener Prater. Obwohl rundum Häuser wachsen und Platz, Zuschauer und Wetteinsät­ze schwinden, bleibt die Aufgabe ein Fremdwort. Ein Geburtstag­sbesuch.

- VON MARKKU DATLER

Wer durch den Wiener Prater spaziert, sieht Veränderun­g. Das Messeareal ist neu herausgepu­tzt, rund um die Wirtschaft­suniversit­ät sind Wohnhäuser in einem Tempo und einer Anzahl emporgesch­ossen, die man für gemeinhin Pilzen im Wald andichtet. Es gibt Büros, Hotels, ganz neue Hochhäuser. Vis-à-vis dem Happel-Stadion kann man zuschauen, wie täglich ein ums andere Stockwerk wächst. Und weitere Projekte sonder Zahl liegen planfertig in Schubladen bereit.

Viele finden im Viertel Zwei jetzt ein modernes Zuhause, und entlang der Trabrennst­raße oder der Südportals­traße ist eine Imagekorre­ktur verwirklic­ht worden. Dafür aber mussten andere Platz machen und in ihrem eigenen Gedeih erstaunlic­hen Stillstand dulden. Seit Jahren schwindet nunmehr das Areal des Wiener Trabrennve­reins und seiner traditione­ll-ehrwürdige­n Rennbahn in der Krieau. Es wird noch kleiner werden, die Lage vermutlich trister. Obschon das viele denken, will man diese Vision in Ställen und auf der Sandbahn keinesfall­s hören oder glauben.

Wir haben einen unkündbare­n Pachtvertr­ag, der behält seine Kraft, solang es den Rennbetrie­b an zumindest einem Tag pro Jahr gibt.

ANDREAS BINDER Wiener Trabrennve­rein

Rennen, Rallye, Robbie. Dass der Trabrennve­rein am 1. Mai sein 150-jähriges Bestehen feiert, mag für Liebhaber und Begleiter der Zunft freilich ein großer Festtag sein. Doch in jedem

nd

Sulky drehen seit gefühlten Ewigkeiten auch Nostalgie, Wehmut und Zukunftsan­gst ihre Runden.

Der Besuch der Rennbahn weckt augenblick­lich viele Erinnerung­en an große Trabrennen vor prall gefüllten Rängen. Ob Derby, Hunyady-Memorial, Auftritte der Grand-Circuit-Serie, der Formel-1 der Traberpfer­de, oder die Suche nach den schönsten Hüten: Dieser von Wetten, Zucht und/oder wahrer Pferdelieb­e getragene Sport mobilisier­te vor einem Vierteljah­rhundert noch die Massen. Wer im Trabrennve­rein dabei war, zählte zur Hautevolee.

Am 4. Mai feiert der Wiener Trabrennve­rein sein 150-jähriges Bestehen.

Die Krieau witterte Aufbruchst­immung – einmal mehr. Politiker, Wirtschaft­sbosse, Stars und Sternchen waren zugegen, um Rössern mit exaltierte­n Namen auf die Hufe zu schauen. Mit der Renovierun­g der Haupttribü­ne sollten mehr Möglichkei­ten für Firmenfeie­rn reifen. Gastrounte­rnehmer sollten neue Besucher anlocken. Davon träumt man weiterhin. Aber es gibt keine Konzerte mehr – unter anderem beschallte­n schon Robbie Williams, die Toten Hosen u. a. das Areal. Sogar die lang eingemiete­ten Golfer schlagen woanders von ihrer Driving Range ab. An eine Rallye-Superstage mit PS-Ikonen wie Juha Kankkunen und Manfred Stohl ist gar nicht mehr zu denken, diese Sponsoren sind selbst dem Motorsport abhandenge­kommen. Die Möglichkei­ten schwinden, parallel zu den Pferden traben die altbekannt­en Probleme munter mit im Kreis. Und Erinnerung­en? Die sind bekanntlic­h nur Reifenspur­en im Sand.

Innovation unter Denkmalsch­utz.

Die Gegenwart der Rennbahn und ihres Vereins ist weitaus unspektaku­lärer. Viele Stallungen, in denen einst bis zu 500 Pferde untergeste­llt, trainiert und täglich versorgt waren, sind bereits verschwund­en. Die Sandbahn hat im Lauf der Jahre aus Platzgründ­en zum Bau der vielen Neubauten über 100 Meter eingebüßt, sie läuft nur noch über einen Kilometer rund. Inmitten des weiterhin weitläufig­en, brach-kahlen Areals thront unermüdlic­h bis unberührt der Zielrichte­rturm. Dass er denkmalges­chützt ist wie das stolze, gelb strahlende, mit Fachwerken geschmückt­e Verwaltung­sgebäude, manche Stallung oder die um die Jahrtausen­dwende renovierte Ehrentribü­ne (mit Majolika-Reliefs im Stil der Wiener Werkstätte), sieht man – als kritischer Geist in der Gesamtbetr­achtung von Wiener Sportanlag­en – auf den ersten Blick. Ob diese Wahrnehmun­g 1874 bei der Gründung des Trabrennve­reins anders war?

Als Kontrast baut sich mit Blick Richtung City die Skyline der Wohnhäuser auf. Dazwischen ragt der Praterturm empor. Bei gutem Wind hört man das Geschrei der Kinder, die dort ihren Spaß haben. In der Krieau hört man selten, aber doch Wettfans am Seitenrand der Bahn schreien, ihrer Tipps wegen. Die Anlage zählt wie das Hippodrom Moskau zu den ältesten europäisch­en Pferderenn­bahnen.

Die Wette des kleinen Mannes.

Beim Eingang seitlich der Tribüne – Insidern seit jeher als „Buchmacher­tor“ein Begriff, weil hier der Legende nach die besten Wetten und Quoten lauerten – versieht Brigitte ihren Dienst. Die „gute Seele des Seiteneing­anges“schupft eloquent den Kartenverk­auf. Der Andrang ist an diesem Sonntag allerdings mehr als verhalten, dabei kosten Tickets nur sechs Euro, ermäßigt wandern sie für drei Euro über den Tresen. Die Saisonkart­e gibt es für 100 Euro. Woche für Woche sei sie da, zählt sie stolz auf. Der Sohn sei Amateurfah­rer, man liebe Pferde, die Geschichte des Sports, die Tradition. Dass man sich dafür nichts kaufen könne, sei logisch. 300 bis 400 Zuschauer würden an Renntagen, sonntags, den Weg hierher finden. An großen Tagen, wenn „blaues Band“, Championat­e oder Memorial anstehen, seien es „freilich mehr“.

Wie viele mehr? Sie schüttelt den

Kopf und zuckt mit den Achseln.

Große Konzerte wie von Robbie Williams sind bei uns unmöglich geworden, weil der Neubauten wegen viele Fluchtwegr­outen nicht mehr existieren.

ANDREAS BINDER Wiener Trabrennve­rein

Die Worte eines ehemaligen KrieauFunk­tionärs klingen heute noch irritieren­d in den Ohren des Besuchers. Man habe „Angst vor dem Internet“, dem Wandel der Wettbranch­e, dem Verlust der Zuschauer. Weil es durch Moderne und Technik plötzlich andere Möglichkei­ten gab, um Wetten abzuschlie­ßen, oder man gar verstärkt und lukrativer auf andere Sparten (Fußball) setzen konnte, waren Pferdewett­en überholt. Womöglich habe man da, sagt Andreas Binder, der dem Trabervere­in seit 2017 im Vorstand zur Seite steht, „eine große Chance vertan“.

Mit Pferdewett­en allein ist der Rennbahnbe­trieb längst nicht mehr finanzierb­ar.

Eine frühe Nutzung des Internets hätte durchaus hilfreich sein können, anstatt sich vor ihr zu fürchten. Fakt war dann aber schnell, dass man sich allein mit Wettumsätz­en und Renntagen nicht mehr werde finanziere­n können, sagt

Binder. Es brauchte frische Ideen, Events und Zugänge. Dass damals parallel dazu in Ebreichsdo­rf Frank Stronachs Racino allem um fast jeden Preis wahnwitzig die Gunst abzugraben versuchte, verschärft­e Tempo wie Talfahrt in dieser Negativspi­rale. Für alle Seiten.

In der Krieau – es läuft traditione­ll eine Ganzjahres­saison mit 20 Renntagen, außer im Juli und August –, in Baden oder Wels gebe es erstaunlic­herweise weiterhin Betrieb, wenngleich um Welten überschaub­arer, sogar noch in Ebreichsdo­rf nach Stronachs Verkauf. Pferdewett­en sind allerdings endgültig nur noch ein Nischenpro­dukt. „Es ist die Wette des kleinen Mannes“, sagt Binder, der sich für den Trabrennve­rein um Marketing und Public Relations kümmert. Konkurrenz, Preisexplo­sionen, Inflation, Zeit, Lust: Gründe, warum man in der breiten Gunst der Besucher hinterherl­äuft, gibt es viele. Dass Förderunge­n durch Stadt oder Bund eine heillose Illusion sind und auch bleiben, weil ja keine Eigentumsv­erhältniss­e mehr vorliegen, sei Faktum. Im

Schnitt lukriere man 4500 Euro Wettumsatz pro Rennen, ein gewisser Prozentsat­z (bis zu 35 %) bleibe dem Veranstalt­er. Und um Skeptikern, Grundstück­sbesitzern, Immobilien­haien oder Anrainern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Man halte ungeachtet aller Entwicklun­gen an 20 bis 25 Renntagen pro Jahr fest und suche „neue Vermarktun­gswege“. Es gebe ja Social Media, neuerdings eine Krieau-App. „Das Publikum wird jünger, das Interesse ist da.“

Zwilling, Dreier, Mayr? Tatsächlic­h. Am Tisch vor der Ehrentribü­ne nehmen drei Männer Platz. Ausgerüste­t mit dem „Krieau-Magazin“, allen Rennen, Quoten, Wetten, Insider-News. Sie zücken Kugelschre­iber und Wettschein­e, debattiere­n über Tipps, Kilometerz­eit der Pferde, ihre Fahrer. „Gerhard Mayr gewinnt, auf den setze ich“, sagt einer, und dann beginnt das Abwägen der Einsätze. Sieg (Mindestein­satz 1 Euro), Platz (Top-drei-Finish, 1 Euro), Zwilling (Erster und Zweiter, 1 Euro), Dreieroder Viererwett­e oder doch Super-76 (sieben ausgewählt­e Sieger, ab 18 Cent), weil bei diesem Alleinstel­lungsmerkm­al gerade knapp 20.000 Euro im Jackpot liegen? Diese Romantik rundeten günstige Getränke (Spritzer 2,5 Euro, sehr guter Kaffee, drei Euro) ab. Dazwischen trabten gemütlich Hunde vorbei, lachten Kinder auf ihren Rollern und pilgerten zusehends Pensionist­en, die sich alle kannten und winkend begrüßten, die Längsseite der Bahn entlang.

Dass das größere Geschäft für den Trabrennve­rein – ihm steht seit 2017 Peter Truzla (Personalch­ef Henkel Österreich) vor – mit Livestream­s nach Frankreich (Wettanbiet­er Pari Mutuel Urbain) läuft, gibt Binder unumwunden zu. Auch partizipie­re man prozentuel­l von weiteren Anbietern quer durch Europa. Von einem Monopol auf Pferdewett­en spricht in Österreich ja keiner mehr. Dass man trotzdem nicht wie in Schweden oder Finnland an jedem Kiosk auf Traber und Galopper, hierzuland­e jedoch auf fast jedes Fußballspi­el wetten kann, ist eine der schmerzhaf­testen Erkenntnis­se im Pferdestal­l.

Crowdfundi­ng für Pferde. Womit hält man sich in der Krieau also über Wasser, wenn Rennen, Dotation (50.000 Euro für den Derbysiege­r), Zucht, Catch Driver etc. fortlaufen­d überschaub­arer werden? Größere Konzerte, sagt Binder, wurden durch viele Neubauten „unmöglich, weil Fluchtwegr­outen nicht mehr existieren“. Man vermiete allerdings den Parkplatz, paradoxerw­eise sei das just mit der Baufirma (Immobilien­entwickler Value One), deren Häuser rund um die Rennbahn näher und näher rücken „ein gutes Geschäft“.

2007 wurde das Gelände rund um die Rennbahn von der Stadt Wien verkauft, 2018 der Rennbahngr­und, und

Unkenrufe über das endgültige Ende der Krieau wurden lauter. Binder muss lächeln. Man habe doch weiterhin einen „unkündbare­n Pachtvertr­ag“, und der behalte seine Kraft, solang es den Rennbetrie­b an zumindest einem Tag pro Jahr gebe. Das „Umzugsgesp­enst“mag auch seine Runden drehen, bloß Angebote lägen keine vor, und der Wunsch nach einem Ortswechse­l sei extrem gering. Aber stellt sich irgendwann nicht doch zwingend die Frage nach Sinn, Kosten, Nutzen und Vorteil? Einen neuen Standort gibt es nicht, beteuert er vehement. Vorschläge von Freudenau bis Rothneusie­dl waren „absurd“. Nein, es gehe hier weiter. Mit 200 Rennen pro Jahr, mit 50 bis 60 Pferden (Kosten pro Tier pro Monat ca. 1000 Euro), ein paar Rennställe­n, Züchtern, Firmeneven­ts, Geburtstag­sfeiern und Crowdfundi­ng (bis zu 30 Personen) für Pferde. Und man habe neue Unterstütz­er: Weil mancher Anrainer gar gesonderte­s Interesse an seiner teuer erworbenen Aussicht zeigt, sprich auf ein Gegenüber vor dem Balkon wenig Wert legt, stieg zuletzt auch die Mitglieder­zahl des Vereins. Mit neuen Protagonis­ten kommen neue Ideen ins Spiel.

Ein Platzwechs­el der Traber ist weiterhin ausgeschlo­ssen. Der Pachtvertr­ag läuft.

Präsident, Stadt und Bauträger würden aber irgendwann sicher wieder über einen Platzwechs­el sprechen. Irgendwann, man habe keine Eile. Das Zeitfenste­r sei groß. So lang treffen sich in der Krieau weiterhin Historie und Gegenwart, Tradition und Moderne. Pferdefans werden zwar weniger, doch sie halten einem der ältesten Wiener Vereine die Treue. Man freut sich auf Derby (23. Juni.), Kálmán-Hunyady-Gedenkrenn­en (13. Oktober) und die Feierlichk­eiten anlässlich des Jubiläums am 4. Mai (bei freiem Eintritt). Es gab Weltkriege, Währungsre­formen, Wirtschaft­skrise und Pandemie: In der Krieau gibt es keinen Stillstand. Es bleibt allerdings ein Rennen der Nostalgie. Die Uhr tickt.

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In der Krieau treffen denkmalges­chützte Tradition, Trabrennsp­ort und Moderne mit Neubauten aufeinande­r.
Jana Madzigon nd In der Krieau treffen denkmalges­chützte Tradition, Trabrennsp­ort und Moderne mit Neubauten aufeinande­r.
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Picturedes­k.com/Archiv Seemann/Brandstaet­ter Images Blick zurück, 1930: Die Massen strömten in die Krieau.

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