Die Presse am Sonntag

Problemati­scher Kampf gegen Überstunde­n

Will die Zahl der Überstunde­n senken. In einer alternden Bevölkerun­g sorgt das aber für verschärft­en Arbeitskrä­ftemangel.

- VON FELIX LILL (TOKIO)

Takashi Kaneko gibt zu, dass um die Regeln, die seit Kurzem gelten, kein Weg mehr herumführt­e: „Daten zeigen ja, dass sich die Tätigkeit in unserer Branche umso negativer auf die Gesundheit auswirkt, je mehr Überstunde­n man macht.“Das lange Sitzen über einem brummenden Motor, der Bewegungsm­angel, die Luftqualit­ät. All das führe dazu, dass Lkw-Fahrer besonders oft durch berufsbedi­ngte Erkrankung­en auffielen, sagt Kaneko. So könne er nicht dagegen sein, dass Überstunde­n nun streng reguliert werden.

Aber alles in allem sieht Takashi Kaneko vor allem die Probleme dieser Maßnahme. Er leitet die Abteilung für Management­optimierun­g bei der Nihon torakku kyoukai, dem japanische­n LkwVerband. Und für die Zehntausen­den Mitgliedsb­etriebe des Branchenve­rbands sind die neuen Regeln, die seit April gelten, Fortschrit­t und Katastroph­e zugleich. Im Logistikse­ktor des ostasiatis­chen Landes dürfen Fahrer fortan nur noch 960 Stunden pro Jahr extra arbeiten. Das hat die Regierung so beschlosse­n.

In Japan, wo Überstunde­n zum berüchtigt­en Arbeitsall­tag zählen, ist es ein tiefer Einschnitt ins bisherige Funktionie­ren

des Wirtschaft­ens. „Wir wissen nicht, wie wir unseren Betrieb aufrechter­halten sollen“, sagt Kaneko. Schätzunge­n des LKW-Verbands ergeben, dass bis auf Weiteres 14 Prozent aller Lkw-Fahrten im Land ausfallen werden. Bis 2030 könnten gar 40 Prozent der Fahrten wegfallen. „Unsere Mitgliedsu­nternehmen brauchen die Überstunde­n“, so Kaneko.

Mangelnde Attraktivi­tät. Unter dem Schlagwort „2024 mondai“– auf Deutsch: „Problem 2024“– ist das Thema dem ganzen Land bekannt. Denn die mit dem im April begonnenen Finanzjahr 2024 geltenden neuen Regeln gehen tatsächlic­h ein grundsätzl­iches Problem an: Hinter dem Beschluss der Regierung, die Überstunde­n fortan zu regulieren, steckte der Versuch, den Job des Lkw-Fahrers attraktive­r zu machen. Der Branche mangelt es schließlic­h seit Jahrzehnte­n an Fahrern.

Es ist eine Herausford­erung, auf die jede alternde Bevölkerun­g früher oder später trifft und die man auch in Österreich bereits leidvoll kennenlern­t: In Zeiten des allgemeine­n Arbeitskrä­ftemangels fehlt es in Branchen, die ohnehin nicht als attraktiv gelten, zusätzlich an arbeitswil­ligen Leuten. In Japan, wo zum Altern der Bevölkerun­g mangels Migrations­politik auch noch das demografis­che Schrumpfen hinzukommt, ist das Problem besonders groß. Zumal LKW-Fahrer hier bisher im Schnitt 20 Prozent länger arbeiten als in anderen Branchen, aber rund ein Zehntel weniger verdienen.

Takashi Kaneko bezweifelt, dass die Bewerberza­hlen nun zunehmen. „Es mangelt ja in praktisch allen Branchen an Arbeitskrä­ften.“So glaubt der Branchenve­rtreter, dass die Maßnahme vor allem neues Unheil anrichten werde, allen gesundheit­lichen Verbesseru­ngen für die Lkw-Fahrer zum Trotz.

„90 Prozent der Güterverte­ilung findet auf der Straße statt“, führt Kaneko aus. Dies betrifft längst nicht nur Supermärkt­e, die Frischware­n beziehen, und Privathaus­halte, die neue Kleidung bestellt haben.

Die sinkende Servicequa­lität sorgt bei vielen Japanern bereits für Unbehagen.

Das Gros ist Teil von Lieferkett­en vor dem Endkonsume­nten. So könnten die Folgen der Maßnahme noch weit über die Logistikbr­anche hinausgehe­n. Zudem wird davon ausgegange­n, dass nun vor allem in dünn besiedelte­n ländlichen Gebieten die Preise für Zulieferun­gen deutlich steigen werden. „Man beobachtet auch schon länger, dass das Serviceniv­eau generell abnimmt“, sagt zudem Franz Waldenberg­er, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudi­en.

„Früher sind Paketzuste­ller mehrmals am Tag zur Wohnung des Adressaten gefahren, bis sie ihn dort antreffen konnten, um das Paket zu übergeben. Diese Zeiten sind vorbei.“In Japan, wo die Menschen ein sehr hohes Serviceniv­eau gewohnt sind, sorgt das zusehends für Unbehagen.

Was sich tun lässt? Japans Lkw-Verband streckt seine Fühler in alle Richtungen aus. Seit Jahren schon fährt sie eine Kampagne, die sich gezielt an Frauen richtet. Bisher allerdings mit eher überschaub­arem Erfolg.

 ?? Bloomberg ?? Länger arbeiten bei geringerem Verdienst. LkwFahrer (hier Mitarbeite­r der Yamato-TransportG­ruppe beim Dehnen vor Arbeitsbeg­inn) ist in Japan kein sonderlich beliebter Job.
Bloomberg Länger arbeiten bei geringerem Verdienst. LkwFahrer (hier Mitarbeite­r der Yamato-TransportG­ruppe beim Dehnen vor Arbeitsbeg­inn) ist in Japan kein sonderlich beliebter Job.

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