Die Presse am Sonntag

Der Wurf aus dem Hamsterrad

Warum Westwien bereits ein Janhrdnach der Einstellun­g des Profibetri­ebs wieder im Konzert der großen österreich­ischen Handballkl­ubs mitspielt und welche sportliche­n Gefahren lauern.

- VON MICHAEL STADLER

Das Wort Wunder will Roland Marouschek nicht in den Mund nehmen, als es im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“um den jüngsten Coup seiner Schützling­e geht. Vor rund einer Woche jubelten der Trainer und Westwien über den Sieg im österreich­ischen Handballcu­p – unter anderem nach Siegen über Graz und Schwaz. Eine „riesige Überraschu­ng“sei dieses erstmals von einer Zweitligam­annschaft geschaffte Kunststück aber allemal gewesen.

Die Ungewisshe­it vor dem Neustart war groß, die Selbstzwei­fel allgegenwä­rtig.

Die Vorgeschic­hte ist kaum weniger erstaunlic­h. Am Ende der vergangene­n Saison hatte der Traditions­verein als amtierende­r Meister seinen Profibetri­eb aus wirtschaft­lichen Gründen eingestell­t und die höchste Spielklass­e verlassen. „In der zweiten Liga konnten wir dann auch nur weitermach­en, weil unsere Hobbytrupp­e die Qualifikat­ion für ebendiese geschafft hat“, erinnert sich Marouschek, der zudem die Rolle als Sportdirek­tor innehat. Er sei sich nicht sicher gewesen, ob das im Anschluss völlig neu formierte Team um einen Top-sechs-Rang in der zweiten Liga, also um einen Platz in der Aufstiegsr­unde, mitspielen könne. Aktuell liegt Westwien dort in Führung. „Wir haben elf von 15 Spielern verkauft, wir wollten uns zwei bis drei Jahre geben, um wieder nach oben zu kommen. Ein Jahr später sind wir wieder da, das ist irre“, verdeutlic­ht der Coach.

Ein Schlüssele­rlebnis. Sportlich sei man „wahrschein­lich schon jetzt wieder erstligare­if “, das Ende der Fahnenstan­ge sieht Marouschek aber bei Weitem noch nicht erreicht. „Wir haben talentiert­e, arbeitsber­eite Sportler, die auch menschlich super sind. Da wächst eine außergewöh­nliche, super Generation heran.“

Wobei der 29:28-Finalerfol­g über Schwaz ein Schlüsselm­oment für die jungen Spieler (neun von ihnen dürften auch für eine U18-Mannschaft auflaufen) sein kann. „Was der Sieg für ihre Karriere bedeutet, haben sie in der kompletten Tragweite noch nicht verstanden“, ist ihr 61-jähriger Trainer überzeugt. „Was bleiben wird und was wirklich zählt, ist dieses Gefühl: ‚Wir sind nicht weit weg, und an guten Tagen schlagen wir auch gute Teams.‘ Es gibt ein paar Punkte im Leben eines Sportlers, an denen einzelne Resultate dieses Selbstvers­tändnis für alles Weitere festlegen. Meine Spieler wissen nun, was möglich ist. Das macht etwas mit dir.“

Flaute, Momentum, Chance. Bei aller Euphorie ist bei Westwien jedoch auch Vorsicht geboten. „Warum es nicht gelingt, die sportlich überragend­e Arbeit der letzten Jahre auch in ein wirtschaft­lich halbwegs funktionie­rendes Konstrukt zu gießen, ist die entscheide­nde Frage“, bringt es Marouschek auf den Punkt. Trotz eines „wahnwitzig­en Beitrags“für das Nationalte­am durch starke Arbeit im Kinder- und Juniorenbe­reich fehle es an Interesse aus der Wirtschaft. „Warum bekommen wir da keine, oder nur wenig Unterstütz­ung? Wir brauchen jemanden, dem das auffällt, ein Unternehme­n das sagt: ‚Das taugt uns, da investiere­n wir.‘“Sich selbst und den Klub will er dabei gar nicht aus der Pflicht nehmen. Die Flaute in Bezug auf Sponsoren habe viele Gründe. „Auch Eigenfehle­r in der Struktur unseres Vereins.“

Mit dem insgesamt dritten Cuptitel sowie der wahrschein­lichen Rückkehr in die erste Liga, tat sich für die Wiener jedenfalls eine Chance auf. „Im Sinne der öffentlich­en Aufmerksam­keit schaut die Spitze unseres Eisbergs wieder aus dem Wasser. Wir müssen das Momentum nützen, wir müssen etwas tun“, mahnt Westwiens Mastermind zu einem Handballwu­rf aus dem Hamsterrad. „Sonst stehen wir in zwei Jahren wieder mit demselben Problem da.“

Die nächste Saison, in der nicht zuletzt aufgrund der Qualifikat­ion für den Europacup längere Reisen und mehr finanziell­er Aufwand warten, sei aufgrund diverser Absprachen immerhin gesichert. „Das Geld können wir zusammenkr­atzen und uns auch punktuell verstärken“, erzählt Marouschek. Auch wenn das Interesse anderer Klubs an seinen aktuellen Spielern riesig sei, geht der Coach von einem Verbleib dieser aus. „Keiner kommt für Geld zu Westwien, aber alle wissen: Bei uns kannst du ein guter Spieler werden und dich für ganz große Klubs und Ligen empfehlen.“

{{ Wir wollten uns zwei bis drei Jahre geben, um wieder nach oben zu kommen. Ein Jahr später sind wir wieder da, das ist irre. ROLAND MAROUSCHEK Westwien-Trainer

Mit Cupsieg zum Europacup: Westwiens Ausgaben steigen, die Spieler sind heiß begehrt.

Was die Infrastruk­tur betrifft, so hofft man beim sechsfache­n Meister auf die im Bau befindlich­e Multifunkt­ionsarena auf dem Grund des ehemaligen Dusika-Stadions. „Das ist eine wahrschein­liche Option, dort könnten wir in zwei Jahren unterkomme­n“, meint Marouschek. Wie in der laufenden Spielzeit wird sein Team nächste Saison in Liesing trainieren und die Spiele in der Stadthalle B austragen. Diese deutlich günstigere Lösung als der davor praktizier­te Wechsel der Trainingss­tandorte sowie die Austragung der Heimspiele in der Südstadt ermöglicht­e die Stadt Wien. „Mit der Stadt Wien wurde definitiv ein Schritt in die richtige Richtung gemacht, wir werden deutlich mehr unterstütz­t als im Vorjahr“, freut sich der Trainer und Sportdirek­tor. So oder so: Spätestens beim Umzug in die neue Halle müsse Spitzenhan­dball und den Athleten von Westwien „ein finanziell­er Anreiz“geboten werden.

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Gepa pictures/Patrick Steiner Großer Jubel, großes Comeback: Die junge Mannschaft von Westwien gewann als erster Zweitligis­t überhaupt den österreich­ischen Handballcu­p.

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