Der Wurf aus dem Hamsterrad
Warum Westwien bereits ein Janhrdnach der Einstellung des Profibetriebs wieder im Konzert der großen österreichischen Handballklubs mitspielt und welche sportlichen Gefahren lauern.
Das Wort Wunder will Roland Marouschek nicht in den Mund nehmen, als es im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“um den jüngsten Coup seiner Schützlinge geht. Vor rund einer Woche jubelten der Trainer und Westwien über den Sieg im österreichischen Handballcup – unter anderem nach Siegen über Graz und Schwaz. Eine „riesige Überraschung“sei dieses erstmals von einer Zweitligamannschaft geschaffte Kunststück aber allemal gewesen.
Die Ungewissheit vor dem Neustart war groß, die Selbstzweifel allgegenwärtig.
Die Vorgeschichte ist kaum weniger erstaunlich. Am Ende der vergangenen Saison hatte der Traditionsverein als amtierender Meister seinen Profibetrieb aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt und die höchste Spielklasse verlassen. „In der zweiten Liga konnten wir dann auch nur weitermachen, weil unsere Hobbytruppe die Qualifikation für ebendiese geschafft hat“, erinnert sich Marouschek, der zudem die Rolle als Sportdirektor innehat. Er sei sich nicht sicher gewesen, ob das im Anschluss völlig neu formierte Team um einen Top-sechs-Rang in der zweiten Liga, also um einen Platz in der Aufstiegsrunde, mitspielen könne. Aktuell liegt Westwien dort in Führung. „Wir haben elf von 15 Spielern verkauft, wir wollten uns zwei bis drei Jahre geben, um wieder nach oben zu kommen. Ein Jahr später sind wir wieder da, das ist irre“, verdeutlicht der Coach.
Ein Schlüsselerlebnis. Sportlich sei man „wahrscheinlich schon jetzt wieder erstligareif “, das Ende der Fahnenstange sieht Marouschek aber bei Weitem noch nicht erreicht. „Wir haben talentierte, arbeitsbereite Sportler, die auch menschlich super sind. Da wächst eine außergewöhnliche, super Generation heran.“
Wobei der 29:28-Finalerfolg über Schwaz ein Schlüsselmoment für die jungen Spieler (neun von ihnen dürften auch für eine U18-Mannschaft auflaufen) sein kann. „Was der Sieg für ihre Karriere bedeutet, haben sie in der kompletten Tragweite noch nicht verstanden“, ist ihr 61-jähriger Trainer überzeugt. „Was bleiben wird und was wirklich zählt, ist dieses Gefühl: ‚Wir sind nicht weit weg, und an guten Tagen schlagen wir auch gute Teams.‘ Es gibt ein paar Punkte im Leben eines Sportlers, an denen einzelne Resultate dieses Selbstverständnis für alles Weitere festlegen. Meine Spieler wissen nun, was möglich ist. Das macht etwas mit dir.“
Flaute, Momentum, Chance. Bei aller Euphorie ist bei Westwien jedoch auch Vorsicht geboten. „Warum es nicht gelingt, die sportlich überragende Arbeit der letzten Jahre auch in ein wirtschaftlich halbwegs funktionierendes Konstrukt zu gießen, ist die entscheidende Frage“, bringt es Marouschek auf den Punkt. Trotz eines „wahnwitzigen Beitrags“für das Nationalteam durch starke Arbeit im Kinder- und Juniorenbereich fehle es an Interesse aus der Wirtschaft. „Warum bekommen wir da keine, oder nur wenig Unterstützung? Wir brauchen jemanden, dem das auffällt, ein Unternehmen das sagt: ‚Das taugt uns, da investieren wir.‘“Sich selbst und den Klub will er dabei gar nicht aus der Pflicht nehmen. Die Flaute in Bezug auf Sponsoren habe viele Gründe. „Auch Eigenfehler in der Struktur unseres Vereins.“
Mit dem insgesamt dritten Cuptitel sowie der wahrscheinlichen Rückkehr in die erste Liga, tat sich für die Wiener jedenfalls eine Chance auf. „Im Sinne der öffentlichen Aufmerksamkeit schaut die Spitze unseres Eisbergs wieder aus dem Wasser. Wir müssen das Momentum nützen, wir müssen etwas tun“, mahnt Westwiens Mastermind zu einem Handballwurf aus dem Hamsterrad. „Sonst stehen wir in zwei Jahren wieder mit demselben Problem da.“
Die nächste Saison, in der nicht zuletzt aufgrund der Qualifikation für den Europacup längere Reisen und mehr finanzieller Aufwand warten, sei aufgrund diverser Absprachen immerhin gesichert. „Das Geld können wir zusammenkratzen und uns auch punktuell verstärken“, erzählt Marouschek. Auch wenn das Interesse anderer Klubs an seinen aktuellen Spielern riesig sei, geht der Coach von einem Verbleib dieser aus. „Keiner kommt für Geld zu Westwien, aber alle wissen: Bei uns kannst du ein guter Spieler werden und dich für ganz große Klubs und Ligen empfehlen.“
{{ Wir wollten uns zwei bis drei Jahre geben, um wieder nach oben zu kommen. Ein Jahr später sind wir wieder da, das ist irre. ROLAND MAROUSCHEK Westwien-Trainer
Mit Cupsieg zum Europacup: Westwiens Ausgaben steigen, die Spieler sind heiß begehrt.
Was die Infrastruktur betrifft, so hofft man beim sechsfachen Meister auf die im Bau befindliche Multifunktionsarena auf dem Grund des ehemaligen Dusika-Stadions. „Das ist eine wahrscheinliche Option, dort könnten wir in zwei Jahren unterkommen“, meint Marouschek. Wie in der laufenden Spielzeit wird sein Team nächste Saison in Liesing trainieren und die Spiele in der Stadthalle B austragen. Diese deutlich günstigere Lösung als der davor praktizierte Wechsel der Trainingsstandorte sowie die Austragung der Heimspiele in der Südstadt ermöglichte die Stadt Wien. „Mit der Stadt Wien wurde definitiv ein Schritt in die richtige Richtung gemacht, wir werden deutlich mehr unterstützt als im Vorjahr“, freut sich der Trainer und Sportdirektor. So oder so: Spätestens beim Umzug in die neue Halle müsse Spitzenhandball und den Athleten von Westwien „ein finanzieller Anreiz“geboten werden.