30 Jahre nach dem Drama von Imola: »Roland ist unvergessen«
Am 30. April 1994 verunglückte Roland Ratzenberger in Imola, der Salzburger Formel-1-Pilot starb einen Tag vor Ayrton Senna. »Dieser Tag hat unser Leben verändert«, erzählen seine Eltern, Margit und Rudolf Ratzenberger. Über Maxglan, Kinder, Trauer und Tr
Papa, Papa, schau. Da hinten ist ein Grab mit einem Formel-1Helm.“Aufgeregt kamen beide Buben gelaufen, nachdem sie beim Besuch des Großvaters auf dem Friedhof Maxglan ihre Runden gedreht und etwas entdeckt hatten. Ein paar Reihen hinter dem Familiengrab hat tatsächlich ein Rennfahrer seine letzte Ruhestätte gefunden: der Formel-1-Pilot Roland Ratzenberger, der am 30. April 1994 in Imola an den Folgen eines schweren Rennunfalls verstorben war.
Er zählte Autos in der Radauerkurve und schmiss die HTL, um Rennfahrer zu werden.
Wie beim Blick auf jedes andere Grab ist auch hier Einhalt geboten. Eigene Erinnerungen an dieses „schwarze Wochenende“werden wach, daran, wie schwer die Situation zu begreifen war. Am Tag danach war ja auch der Brasilianer Ayrton Senna auf dieser Rennstrecke in den Tod gerast. Die TV-Bilder zeigten so beklemmende Szenen. Erzählungen von Kollegen und Zeitzeugen wie Gerhard Kuntschik (siehe Artikel rechts) rollen durch den Kopf. Der Blick auf die Inschrift des Grabsteins stimmt nachdenklich: „Verunglückt am 30. April 1994 beim Training zum Formel-1Lauf in Imola. Er lebte für seinen Traum.“
Besuch bei der Familie. Weil Salzburg mehr ist als bloß eine Festspielstadt, ist der Kontakt zur Familie Ratzenberger schnell hergestellt. Rudolf, im Mai 91 Jahre alt, und seine Frau, Margit, sind nahbar, laden zu sich nach Hause ein. Es gibt Kaffee und Kuchen, die Erzählung der eigenen Geschichte mit den umherlaufenden Kindern sorgt für Stille und weckt doch ein Lächeln. Wie oft sie schon über den Tod des eigenen Kindes erzählten, wissen beide, „wir sind seit
nd
65 Jahren beisammen“, nicht mehr ganz genau. Aber jeder Satz ist getragen von Emotion, und das gemeinsame Verarbeiten all dessen sei zugleich die beste Therapie, immer noch, um damit umgehen zu können, daran nicht zu zerbrechen, weil es ja auch noch zwei Töchter und Enkelkinder gibt. „Mit anderen über Roland zu sprechen ist unsere Art der Trauerbewältigung.“
Ihr Sohn ist in dieser Wohnung allgegenwärtig. Das sieht man, das spürt man. Rudolf Ratzenberger, einst bei der PVA in Salzburg, sagt: „Roland ist nicht vergessen. 30 Jahre sind eine lange Zeit. Und alles, was wir in diesen Jahrzehnten erlebt haben, war durchwegs positiv. Wir haben viele Menschen kennengelernt, haben noch immer zu so vielen Rennfahrern Kontakt, wie Gerhard Berger oder Mika Salo, mit dem Roland in Japan für Toyota gefahren ist.“
Der Blick in den Rückspiegel zeigt immer und immer wieder das gleiche Bild. Mit Erinnerungsrennen, Gedenktafeln, Fotos des Rennfahrers, der seinen 911er-Porsche über alles liebte und im Motorsport Erfüllung fand. Ihn davon abzubringen, aus Angst und vorauseilender Vorsicht, hätte nichts gebracht, da sind sich Ratzenbergers Eltern sicher. Ob stur oder zielsicher, was solle man denn tun, wenn es sich das Kind so sehr gewünscht hatte, darin seinen Traum sah? Es zu verbieten wäre sinnlos gewesen.
Als der in Obergnigl aufgewachsene Sohn ihm schon als Dreijähriger sagte, dass er Rennfahrer werden wolle, war seine Freude freilich verhalten. Aber weil man bei der berüchtigten Radauerkurve wohnte und der „Bub immer rausschaute, um Automarken zu eruieren“, sei sein Weg quasi früh vorgegeben gewesen. Dass dazu seine Oma begeisterte Motorradfahrerin war und den Enkel zu allen Gaisbergrennen mitnahm, hinterließ ebenso Spuren und weckte das Verlangen.
Es begann bei Walter Lechner. Die Welt sei klein, sagt Ratzenberger und erzählt, dass ausgangs dieser Kurve Walter Lechners Garage war. Dort tummelte sich einst alles, was hierzulande im Rennfahren Rang, Namen und PS hatte oder die Rennfahrerschule bestreiten wollte. Und sein Sohn, der damals die HTL (Maschinenbau) nach der vierten Klasse abgebrochen hatte, schaute immer öfter vorbei. Nach dem Bundesheer ist er schließlich dorthin „schrauben“gegangen. Und damit war klar: Er wird Rennfahrer statt Ingenieur. „Walter Lechner machte es möglich. Roland war Mechaniker, wurde Konstrukteur auf dem Salzburgring und in Monza.“Hatte er genug verdient, gab es ein neues Auto. Fehlten die nötigen Schillinge, gab er Kurse für die Leibwächter großer Berühmtheiten, die schließlich Autofahren können müssen.
Und damit wurde aus dem PS-Traum traumhafte Wirklichkeit. 1980 gewann er als 20-Jähriger die Jim Russell Trophy. 1983 folgte der erste Sieg in der Formel Ford, 1986 brillierte er in Brands Hatch. Weil Auftreten, Performance, Eloquenz und Vision imponierten, engagierte ihn Japans Autohersteller Toyota 1989 als Werksfahrer. Er machte sich einen Namen, „verdiente sehr gutes Geld“, doch der Traum, es in die Formel 1 zu schaffen, schien ausgebremst zu sein. 1991 scheiterte es daran, dass sich ein Sponsor zurückzog, der Vertrag mit Eddie Jordan platzte. Dann bekam er aber doch noch Hilfe, die er annahm: Barbara Behlau, Inhaberin einer Kulturund Sportagentur in Monaco, half finanziell mit, und 1994 hatte es Ratzenberger geschafft. Das selbst erst in die Königsklasse eingestiegene Simtek-Team (Eigentümer Nick Wirth) nahm den Salzburger für fünf Rennen unter Vertrag.
Zum besseren Verständnis: Damals gab es noch 14 Teams, mit Berger, Karl Wendlinger und Ratzenberger waren sogar drei Österreicher im Renngeschehen der „Königsklasse“unterwegs. „Ich weiß es noch ganz genau“, wirft da Margit Ratzenberger ein. „Er war so glücklich und wollte mir jede Angst nehmen. Er sagte mir am Telefon: ,Mama, jetzt habe ich es geschafft, du brauchst dir keine Sorgen mehr machen. Jetzt bin ich sicher – ich fahre in der Formel 1. Das ist das Sicherste …‘“
Es war ein Trugschluss. Seit 1986, seit dem Testunfall von Elio de Angelis (Brabham BMW) in Le Castellet, hatte es keinen Formel-1-Toten mehr gegeben. Der letzte tödliche Unfall in einem Grand Prix lag gar zwölf Jahre zurück, mit Riccardo Paletti (Osella-Ford) in Montreal. Dass bereits 38 Fahrer in einem oder rund um ein F1-Rennen ihr Leben verloren hatten, spielte da keine Rolle. Angst ist ein schlechter Wegbegleiter in einem Rennfahrer-Cockpit.
Der Simtek-Ford war nicht mehr zu steuern, schlug mit 300 km/h in der Mauer ein.
Das schwarze Wochenende. Im unterlegenen Simtek-Renner war die Kälte der Königsklasse schnell spürbar. In Interlagos verpasste Ratzenberger, Nummer zwei im Team hinter David Brabham, die Qualifikation. In Japan wurde er Elfter – und dann kam Imola, „nahm das Schicksal seinen Lauf“, sagt der Vater und erzählt, dass man damals am Freitag von einer Mexiko-Reise nach Hause gekommen war und er am Samstag den Fernseher eingeschalten hatte, um „Roland zuzuschauen“. Dass er zuvor über schlechte Bremsen gesprochen hatte, sei Faktum. Aber das änderte nichts, weder damals noch jetzt, 30 Jahre später.
Der Simtek-Ford krachte am Samstag im zweiten Qualifikationstraining, nachdem er bei der Acque-Minerali-Schikane über die Curbs geschlittert war und sich da vermutlich den Frontflügel gebrochen hatte, mit 300 km/h in die Mauer. Der Wagen war nicht mehr zu steuern, der Rechtsknick der Villeneuve-Kurve nicht zu meistern.
Das Monocoque blieb zwar intakt, aber Wucht und Aufprall verur
sachten einen Schädelbasisbruch, Brüche der Halswirbel und verletzten innere Organe. Der am Vortag noch glücklich nach dem haarsträubenden Unfall von Rubens Barrichello – sein Jordan-Rennwagen flog in den Zaun und landete mit den Reifen nach oben auf dem Asphalt, der 21-Jährige blieb unverletzt – wirkende Rennarzt Sid Watkins war machtlos. Am Sonntag sollte er in der Tamburello-Kurve Sennas letzten Atemzug erleben.
In Salzburg starrte Vater Ratzenberger „im Bett liegend fassungslos in den Fernseher“. Seine Frau war gerade in der Waschküche. Als er den Einschlag sah, das sich drehende Wrack, den mitgehenden Kopf, da wusste er: „Aus ist es. Aus.“Gestorben sei Roland aber nicht erst in Bologna, in der Klinik, „sondern gleich an der Rennstrecke. Dieser Tag hat unser Leben verändert. Ich habe mich immer damit getröstet, dass er bei dem gestorben ist, was er am liebsten gemacht hat.“
Zeit vergeht, Zeit kommt. Während die Familie versuchte, diesen Schicksalsschlag („Das Leben muss weitergehen“) zu verarbeiten, veränderte sich das Wesen der Formel 1. „Unter massivem Druck von FIA-Präsident Max Mosley“, sagt Ratzenberger, wurden Sicherheitsprobleme aufgearbeitet. Von Auslaufzonen bis Erstversorgung, alles wurde professioneller, sogar ein Crashtest-Programm instrumentalisiert. Dass es die Folge dessen war, „dass unser Sohn dort gestorben ist“, erfüllt die beiden Salzburger mit Stolz. Bis zum Japan-GP 2014 und der Todesfahrt von Jules Bianchi (Marussia-Team) gab es ja keine Todesfälle mehr. Aber: Schon im nächsten GP nach Imola bangte man erneut um einen Österreicher. Karl Wendlingers Unfall nach der Tunnelausfahrt in Monaco ging jedoch glimpflich aus.
Die Zeit laufe immer schneller, die Ratzenbergers lachen. Sie erzählen von ihren Töchtern, der Familie, erkundigen sich nach den Interessen der Buben des Besuchers. „Zu zweit verkraftet man das besser, als wenn man allein wäre“, erklärt Margit Ratzenberger. Ihr Sohn habe die Familie überhaupt nie belastet, weder mit Ängsten noch finanziellen Fragen, er sei ein „Sonnenschein“, für jeden da gewesen. Ein „Netzwerker“, der Sponsoren, Teams und Partner fand. „Er war ein großartiger Rennfahrer.“Seine Eltern, die seit damals in seiner Wohnung leben, haben daran keinen Zweifel.
Wimpel in Sennas Cockpit. Dass auch noch 30 Jahre später zu seinem Todestag so viel über ihren Sohn gesprochen wird – in Imola gibt es sogar eigens eine Gedenkfeier –, habe allerdings auch deshalb so viel Gewicht, glaubt Ratzenberger senior, „weil am nächsten Tag der Senna verunglückt ist“. So geriet der Österreicher nicht in Vergessenheit, bleibt Imola 1994 immer im Bewusstsein, er mit dem Brasilianer verknüpft. Wäre es umgekehrt gewesen, sprich Senna am Samstag gestorben, diese Meinung teilen beide unisono, wäre ihr Sohn noch am Leben. Dann hätte die Formel 1 eingelenkt und den Grand Prix vermutlich abgesagt. „Was aus ihm wohl geworden wäre?“, fragt seine Mutter. „Sicher ein Manager …“
So aber nahm die Geschichte eine ganz andere Ausfahrt. Zurück bleiben Erinnerungen und, auch 30 Jahre später, tiefe Trauer. Dass Senna damals einen rot-weiß-roten Wimpel im Cockpit mitführte und nach der Zieleinfahrt als Widmung für seinen Rennfahrer-Kollegen schwenken wollte, blieb ein Vorhaben der Nächstenliebe. Josef Leberer, sein Masseur und Physiotherapeut, hatte ihn wenige Tage vor Imola mit dem Salzburger bekannt gemacht. Man wollte miteinander weiterreden, nach dem Grand Prix von Imola.
Eine direkte Folge des ImolaDramas: Es gibt seitdem Crashtests in der Formel 1.