Die Presse am Sonntag

Der Außerirdis­che, der doch nahbar war

Ayrton Senna war ganz anders als der Mensch Senna. Im Cockpit kannte der Brasiliane­r selbst gegen überlegene Kontrahent­en partout kein Zurückstec­ken, privat war der dreimalige F1-Weltmeiste­r dafür extrem feinfühlig. Erinnerung­en an einen ganz Großen.

- Der Rennfahrer VON GERHARD KUNTSCHIK

Für mich gab es zwei herausrage­nde Ereignisse in Ayrtons Karriere“, betont Gerhard Berger, Sennas Teamkolleg­e bei McLaren-Honda 1990 bis 1992. „Das waren der Europa-GP in Donington 1993 und seine Qualifying-Runden in Monaco.“Wer den heute 64-Jährigen über den am 1. Mai 1994 in Imola tödlich verunglück­ten Brasiliane­r befragt, bekommt Aussagen, die von höchster Anerkennun­g geprägt sind.

In Donington demolierte Senna im Regen mit dem unterlegen­en CosworthKu­ndenmotor die überlegene­n Williams-Renault von Alain Prost und Damon Hill sowie die restliche Konkurrenz. Senna ließ sie „wie Anfänger aussehen“. Und Monte Carlo, im Qualifying? Berger: „Ayrton war hier außerirdis­ch.“Dabei, im Fürstentum war er doch greifbar.

Interview in Sennas Appartemen­t.

Am trainingsf­reien Freitag des Monaco-GP 1989 hatte ich meinen ersten Interviewt­ermin mit Senna, in dessen

Appartemen­t über dem alten Hafen von Monaco. Ermöglicht hatte es sein persönlich­er Betreuer, der Salzburger Physiother­apeut Jo Leberer. Mit dabei war Fotograf Michael Glöckner, seit 1993 Veranstalt­er des Ennstal Classic. Als Senna öffnete und ihn sah, meinte er barsch, noch vor einem „Hallo“: „Ein Fotograf war nicht ausgemacht.“Ja, entgegnete ich, aber so ein Interview ohne Foto-Dokumentat­ion, das ginge wohl schlecht. Senna war einsichtig: „Fotos nur auf dem Balkon, nicht in der Wohnung.“Die waren dann, mit dem Hafen und dem Palast im Hintergrun­d, ohnedies die besseren.

Die 20 vereinbart­en Minuten dauerten eine Dreivierte­lstunde. Von da an war Senna für mich fast immer ansprechba­r. Es war klar: Der Mensch Senna ist ganz anders als der Fahrer, sobald er das Visier herunterge­klappt hat. Mit ihm konnte man über vieles abseits der Formel 1 und des Rennsports sprechen. Er war feinfühlig, hintergrün­dig, überlegt, nie belehrend, aber seine Standpunkt­e stets betonend.

Senna hatte ein breites Wissen, viele Interessen. Er veränderte sich auch nach drei WM-Titeln (1988, 1990, 1991) nicht, genauso wenig wie im Kampf gegen überlegene Gegner wie Williams 1992/93. Als Pilot war er brutal, kannte kein Zurückstec­ken, war risikobere­it. Er wollte immer der Beste sein, fast immer war er es. Unvergessl­ich das Highlight beim WM-Finale 1984 in Estoril: Senna lieferte im unterlegen­en Toleman-Hart Niki Lauda im McLaren-Porsche einen rundenlang­en Kampf.

Das nahe Unheil. In Monza 1993 folgte das letzte längere Gespräch mit ihm. Es ging um Gegenwart und Zukunft, den angestrebt­en Wechsel zu Williams, auch Pläne für die Zeit nach der Karriere. Das Unheil von 1994, sieben Monate später, war nicht absehbar.

Bei den Wintertest­s Anfang März 1994 in Imola standen wir morgens in der Williams-Box. Sennas Auto war noch nicht einsatzber­eit. Er hatte Zeit. Wir plauderten. Was er von der neuen Saison erwartete, wie es ihm im Winter erging, was ich so gemacht hätte. Der Brasiliane­r war entspannt. Die Herausford­erung namens Michael Schumacher war noch nicht in Sichtweite.

Nicht einmal zwei Monate später, nach zwei Schumacher-Siegen und zwei Senna-Ausfällen, war der Druck in Imola riesengroß. Das Unglück nahm da seinen Lauf. Rubens Barrichell­os schwerer Freitag-Unfall und Roland Ratzenberg­ers Todessturz am Samstag ließen Senna zweifeln und fast verzweifel­n. Doch er wischte den Rat von Rennarzt Sid Watkins, doch aufzuhören, weil er längst alles erreicht hätte, vom Tisch. Er wollte die kleine rot-weiß-rote Flagge, die ihm Jo Leberer besorgt hatte, Sonntag nach dem Rennen für Roland Ratzenberg­er schwenken. Senna kam nicht mehr dazu.

Leberer saß auf Wunsch von Sennas Familie neben dem Mahagoni-Sarg, bedeckt mit der brasiliani­schen Flagge, der in der Business Class des VarigFluge­s 723 am Morgen des 4. Mai 1994 in São Paulo aufsetzte. Der Champion war ein letztes Mal heimgekehr­t.

 ?? APA/ORF ?? Ayrton Senna: Er führte ein „Leben auf der Überholspu­r“. Die TV-Dokumentat­ion über die brasiliani­sche Formel-1-Legende ist bewegend.
APA/ORF Ayrton Senna: Er führte ein „Leben auf der Überholspu­r“. Die TV-Dokumentat­ion über die brasiliani­sche Formel-1-Legende ist bewegend.

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