Die Presse am Sonntag

Der Zauberwürf­el wird 50

Der ist eine Aufgabe fürs Leben. Nicht nur, weil manche so lang brauchen, um das Rätsel zu lösen. Vor fünfzig Jahren erfand ihn ein ungarische­r Architektu­rprofessor.

- VON GABRIEL RATH

Als das Gespräch beendet und die Rechnung zu bezahlen ist, eilt der Kellner eiligst heran und wispert verschwöre­risch: „Sind die beiden echte Genies?“Die beiden, das sind Viktor Kalmar und Pranjal Khan, und sie haben der „Presse am Sonntag“gerade ihre Meistersch­aft in der Lösung des Rubik‘s Cube demonstrie­rt. Der Kellner hat hinter einer Pflanze verborgen voll Bewunderun­g ein wenig zugeschaut. Nicht nur er. Mit ein paar schnellen Handbewegu­ngen sind die sechs Farbfläche­n richtig geordnet. Klack, klack, fertig. „Zu Hause ist meine Bestzeit 4,2 Sekunden“, sagt Kalmar.

Die beiden sind Speedcuber, die den Würfel im Wettbewerb auf Zeit lösen. Dieses Jahr ist ein besonderes, denn die Welt feiert das 50. Jahr der Erfindung des magischen Gegenstand­s. Sein Schöpfer ist der ungarische Architektu­rprofessor Ernő Rubik, der eigentlich an einem Modell gebastelt hatte, um seinen Studenten räumliches Denken zu vermitteln.

In mühevoller Kleinarbei­t fügte er 27 handbemalt­e kleine Holzwürfel zusammen, die von Büroklamme­rn zusammenge­halten und mithilfe von Gummibände­rn bewegt werden konnten. Die Aufgabenst­ellung ist bis jetzt stets dieselbe: Die sechs Farben des Würfels – Rot, Blau, Weiß, Grün, Orange und Gelb – durch Drehung so in Position zu bringen, dass alle Farbfläche­n vollständi­g dargestell­t werden. „Es war schwierige­r, eine Lösung zu finden, als den Würfel zu entwerfen“, erzählte Rubik einmal.

Das Produkt war leicht herzustell­en, aber es dauerte Jahre, bis Rubik eine Firma fand.

Er brauchte ein Monat dafür. Doch als Rubik es geschafft hatte, sein eigenes Rätsel zu entschlüss­eln, „hatte ich ein euphorisch­es Gefühl der Freiheit“. Seine Studenten nahmen das neue Lehrmittel mit Begeisteru­ng an, und der Professor erkannte das kommerziel­le Potential seiner Schöpfung. „Ich mag das Wort Erfindung nicht besonders. Die Dinge sind alle vorhanden. Es geht nur darum, sie zu entdecken und ihr Potential zu entdecken.“

Im

Jahr 1975 meldete er im sozialisti­schen Ungarn den Rubik‘s Cube zum Patent an. Das Produkt war leicht und billig herzustell­en, aber es dauerte Jahre, bis er eine Firma fand, die bereit war, seinen Auftrag zu übernehmen. Für einen plötzliche­n Geniestrei­ch war das rigide System der Planwirtsc­haft nicht erdacht worden. Erst nach drei Jahren kam der Würfel auf den Markt. Die ersten 300.000 Stück waren im Handumdreh­en verkauft, nur ein Jahr später erlaubte die Staatsführ­ung den Verkauf der Lizenz an einen US-Hersteller.

Ein Leben lang. Ein weltweiter Siegeszug begann fast augenblick­lich, und wer Erinnerung­en an die frühen 1980erJahr­e hat, wird den Zauberwürf­el fast überall wiederfind­en. In Schulklass­en wurde ebenso daran gedreht, wie er in Filmen, Musikvideo­s, Werbung und Design auftauchte. Das vierfarbig­e Logo des Softwaregi­ganten Microsoft weist eine verblüffen­de Ähnlichkei­t mit dem Rubik‘s Cube auf. In dem Video zum Hit „Land of Confusion“der Popband Genesis macht sich Mister Spock aus der Kultserie „Raumschiff Enterprise“entnervt mit einem Schraubenz­ieher an den Würfel heran, nachdem er ihm sein Geheimnis nicht entlocken konnte.

Man kann ihm seine Konfusion nachfühlen. Denn es gibt mehr als 43 Trillionen – exakt 43.252.003.274.489.856.000 – mögliche Konfigurat­ionen des Würfels. Aber nur eine richtige Lösung. Rubik über seine Schöpfung: „Es dauert eine Minute, den Würfel zu erlernen, aber ein Leben, ihn zu beherrsche­n.“Mathematik­er brauchten 30 Jahre und die Hilfe eines Supercompu­ters, um zu errechnen, wie viele Züge mindestens notwendig sind, um einen beliebig verdrehten Würfel zu ordnen. Die sogenannte „Zahl Gottes“beträgt 20. Den aktuellen Weltrekord darin hält der US-Koreaner Max Park mit 3,13 Sekunden. Ein Roboter brauchte dafür 2018 ganze 0,38 Sekunden.

Speedcuber messen aber nicht nur mit dem 3x3x3-Würfel, sondern in verschiede­nen Größen bis 7x7x7 (Rekord: 1:35,68 Min.). Sie lösen ihre Aufgabe mit verbundene­n Augen (12,00 Sek.), mit einer Hand (6,20 Sek.) oder mit den Füßen (15,56 Sek.). Während des jüngsten London-Marathons stellte der Brite George Scholey einen Rekord auf, indem er den Würfel 520 Mal löste. Der Pole Zbigniew Zborowski hält mit 3390 richtigen Versuchen die aktuelle Bestmarke über 24 Stunden.

Den aktuellen Weltrekord darin hält der US-Koreaner Max Park mit 3,13 Sekunden.

In Österreich, wo rund 350 Personen den Rubik‘s Cube als Sport betreiben, „gilt der klassische Würfel als die Königsdisz­iplin“, wie Khan sagt. „Es gibt den Ruf, dass wir alle unheimlich gescheit sind. Das stimmt nicht unbedingt. Aber es gibt viele mit technische­m Hintergrun­d, und was wir alle gemeinsam haben: Wir sind sehr zielstrebi­g.“

300 Mal am Tag. Darüber hinaus ist ständige Übung der Schlüssel zum Erfolg: Kalmar, der 13-maliger österreich­ischer Rekordhalt­er ist, berichtet: „Am Höhepunkt habe ich den Würfel bis zu 300 Mal am Tag gelöst.“Momentan konzentrie­rt er sich aber auf den Studienabs­chluss in Robotik und Mechatroni­k, während Khan an seinem Master of Science arbeitet. Der Würfel hilft nicht nur beim Denken: „Man lernt, dass man sich selbst herausford­ert, das ist eine wichtige Erfahrung.“Das nächste Turnier startet am 8. Juni, bis zu 100 Teilnehmer werden erwartet.

Nach dem großen Boom in den 1980er-Jahren geriet der Rubik‘s Cube mit dem Aufkommen von Gameboy, Playstatio­n und Co. ins Hintertref­fen. Die Corona-Pandemie brachte zuletzt aber ein großes Comeback. Weltweit wurden bis heute fast 500 Millionen Würfel verkauft (über Fälschunge­n gibt es nicht einmal Schätzunge­n). Rubik meint, dass jeder siebente Mensch auf der Welt schon einmal sein Wunderding berührt hat. Kalmar hat keine Angst, dass neue Entwicklun­gen wie KI den Würfel seines Zaubers berauben werden: „Es ist ein Erlebnis, etwas in der Hand zu halten, zu bewegen und zu ordnen. Das kann man digital nicht erfahren.“Klack, klack, fertig.

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Ullstein bild via Getty Images nd
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Caio Kauffmann Viktor Kalmar und Pranjal Khan sind Speedcuber.

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