Wie gefährlich sind soziale Medien?
Ein angeblicher „Vergewaltigungstag“, verstörende Inhalte und Mutproben sind die negativen Auswüchse von Social Media.
Sich selbst die Luft bis zur Ohnmacht abschnüren, Waschmittelpods essen oder in besonders scharfe Chilis beißen. Von mehr oder weniger gefährlichen Mutproben, die sich über Social Media verbreiten, hört man immer wieder. Nun ging der 24. April als „Vergewaltigungstag“viral. An diesem Tag seien Übergriffe auf Frauen und Mädchen straffrei, hieß es dazu in Videos, die auf TikTok verbreitet wurde. Fake News, die seit einigen Jahren bestehen, aber auch an Wiener Schulen zu Verunsicherungen geführt haben. Die Berliner Bildungssenatorin, Katharina Günther-Wünsch, informierte sogar 800 Schulen darüber und mahnte zu besonderer Wachsamkeit. Dabei stellt sich einmal mehr die Frage, welche negativen Folgen soziale Medien haben und wie gefährlich sie für Kinder und Jugendliche sind.
„Studienüberblicke zeigen uns zunehmend, dass die Effekte im Durchschnitt negativ zu sein scheinen und soziale Medien der mentalen Gesundheit abträglich sind“, erklärt Tobias Dienlin, Assistenzprofessor für Interaktive Kommunikation am Institut für Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. Jedoch: Die Datenauswertung einer groß angelegten Studie, bei der Jugendliche zwischen zehn und 16 Jahren in England begleitet wurden, zeigte, dass diese Effekte sehr klein waren. „Natürlich kann man argumentieren, dass sich auch kleine Effekte über einen längeren Zeitraum und eine längere Nutzung negativ auswirken können“, so Dienlin. „Was man aber schon aus den Daten herauslesen kann: Junge Menschen verbringen weniger Zeit mit ihren Freunden, was aber für das Großwerden und die Entwicklung von psychosozialen Fähigkeiten wichtig wäre.“
Suchtpotenzial. Einen linearen Zusammenhang zwischen der Nutzungsdauer von Social Media und der mentalen Gesundheit gebe es aber nicht, sagt Johanna Muckenhuber, Dozentin für Soziale Arbeit an der FH Joanneum. „Es gibt Kipppunkte, und natürlich kommt es auch auf die Inhalte an.“Indizien gebe es auch dafür, dass eine komplette Abstinenz schlechter sei als eine moderate Nutzung, erklärt Dienlin. Beide Experten wollen auch die positiven Seiten nicht außen vor lassen. „Social Media hat auch seinen Nutzen und Zweck. Unterhaltung, Information und natürlich der Aufbau von sozialen Netzwerken und Verbindungen, die bewusste personale Kommunikation. Diese zuträglichen Faktoren werden aber umso relevanter, je älter man wird“, so Dienlin. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Von den positiven Effekten haben Kinder meist nicht so viel.
Und sie sind besonders anfällig für verstörende Inhalte, Mobbing, aber auch völlig falsche Körperbilder. Wie kann man sie also schützen? Muckenhuber spricht dabei von drei Ebenen. Der technischen, indem Endgeräte mit altersgerechten Filtern ausgestattet werden, einer begleitenden Nutzung für die Medienkompetenz durch Eltern und Pädagogen und auch das Einhalten von digitalen Auszeiten. Denn ein Suchtpotenzial
Eine komplette Abstinenz sei schlechter als eine moderate Nutzung.
sei da, so die Expertin. „Social Media ist de facto keine Droge, hat aber suchtmachende Tendenzen“, bringt es Dienlin auf den Punkt. „Die neuronalen Strukturen werden erst mit etwa 20 Jahren fertig ausgebildet. Kein Wunder, dass es den Jugendlichen und Kindern schwerfällt, das Handy wegzulegen.“
Braucht es also ein Verbot für Social Media? „Es gibt bereits Altersgrenzen für Apps, aber diese werden nicht überprüft. Es wäre wichtig, diese ernst zu nehmen und Bewusstseinsarbeit zu leisten“, findet Muckenhuber. Ein Verbot oder zumindest eine genauere Kontrolle würde dafür sorgen, dass weniger sozialer Druck entsteht. „Wenn ein zehnjähriges Kind Instagram hat, dann wollen es die anderen auch.“Für Dienlin wäre es mitunter auch sinnvoll, die Altersgrenze für gewisse Apps anzuheben. Medienkompetenzen können schützen, aber sie müssen neu gedacht werden, ist er sich sicher. Fake News zu erkennen, Quellen richtig einzuordnen und die Privatsphäre zu schützen – all das sei zu wenig. „Medienkompetenz bedeutet auch zu wissen, wann man aufhören muss.“