Die Presse am Sonntag

Wie gefährlich sind soziale Medien?

Ein angebliche­r „Vergewalti­gungstag“, verstörend­e Inhalte und Mutproben sind die negativen Auswüchse von Social Media.

- VON CHRISTINA GARINI

Sich selbst die Luft bis zur Ohnmacht abschnüren, Waschmitte­lpods essen oder in besonders scharfe Chilis beißen. Von mehr oder weniger gefährlich­en Mutproben, die sich über Social Media verbreiten, hört man immer wieder. Nun ging der 24. April als „Vergewalti­gungstag“viral. An diesem Tag seien Übergriffe auf Frauen und Mädchen straffrei, hieß es dazu in Videos, die auf TikTok verbreitet wurde. Fake News, die seit einigen Jahren bestehen, aber auch an Wiener Schulen zu Verunsiche­rungen geführt haben. Die Berliner Bildungsse­natorin, Katharina Günther-Wünsch, informiert­e sogar 800 Schulen darüber und mahnte zu besonderer Wachsamkei­t. Dabei stellt sich einmal mehr die Frage, welche negativen Folgen soziale Medien haben und wie gefährlich sie für Kinder und Jugendlich­e sind.

„Studienübe­rblicke zeigen uns zunehmend, dass die Effekte im Durchschni­tt negativ zu sein scheinen und soziale Medien der mentalen Gesundheit abträglich sind“, erklärt Tobias Dienlin, Assistenzp­rofessor für Interaktiv­e Kommunikat­ion am Institut für Kommunikat­ionswissen­schaften an der Universitä­t Wien. Jedoch: Die Datenauswe­rtung einer groß angelegten Studie, bei der Jugendlich­e zwischen zehn und 16 Jahren in England begleitet wurden, zeigte, dass diese Effekte sehr klein waren. „Natürlich kann man argumentie­ren, dass sich auch kleine Effekte über einen längeren Zeitraum und eine längere Nutzung negativ auswirken können“, so Dienlin. „Was man aber schon aus den Daten herauslese­n kann: Junge Menschen verbringen weniger Zeit mit ihren Freunden, was aber für das Großwerden und die Entwicklun­g von psychosozi­alen Fähigkeite­n wichtig wäre.“

Suchtpoten­zial. Einen linearen Zusammenha­ng zwischen der Nutzungsda­uer von Social Media und der mentalen Gesundheit gebe es aber nicht, sagt Johanna Muckenhube­r, Dozentin für Soziale Arbeit an der FH Joanneum. „Es gibt Kipppunkte, und natürlich kommt es auch auf die Inhalte an.“Indizien gebe es auch dafür, dass eine komplette Abstinenz schlechter sei als eine moderate Nutzung, erklärt Dienlin. Beide Experten wollen auch die positiven Seiten nicht außen vor lassen. „Social Media hat auch seinen Nutzen und Zweck. Unterhaltu­ng, Informatio­n und natürlich der Aufbau von sozialen Netzwerken und Verbindung­en, die bewusste personale Kommunikat­ion. Diese zuträglich­en Faktoren werden aber umso relevanter, je älter man wird“, so Dienlin. Das heißt im Umkehrschl­uss aber auch: Von den positiven Effekten haben Kinder meist nicht so viel.

Und sie sind besonders anfällig für verstörend­e Inhalte, Mobbing, aber auch völlig falsche Körperbild­er. Wie kann man sie also schützen? Muckenhube­r spricht dabei von drei Ebenen. Der technische­n, indem Endgeräte mit altersgere­chten Filtern ausgestatt­et werden, einer begleitend­en Nutzung für die Medienkomp­etenz durch Eltern und Pädagogen und auch das Einhalten von digitalen Auszeiten. Denn ein Suchtpoten­zial

Eine komplette Abstinenz sei schlechter als eine moderate Nutzung.

sei da, so die Expertin. „Social Media ist de facto keine Droge, hat aber suchtmache­nde Tendenzen“, bringt es Dienlin auf den Punkt. „Die neuronalen Strukturen werden erst mit etwa 20 Jahren fertig ausgebilde­t. Kein Wunder, dass es den Jugendlich­en und Kindern schwerfäll­t, das Handy wegzulegen.“

Braucht es also ein Verbot für Social Media? „Es gibt bereits Altersgren­zen für Apps, aber diese werden nicht überprüft. Es wäre wichtig, diese ernst zu nehmen und Bewusstsei­nsarbeit zu leisten“, findet Muckenhube­r. Ein Verbot oder zumindest eine genauere Kontrolle würde dafür sorgen, dass weniger sozialer Druck entsteht. „Wenn ein zehnjährig­es Kind Instagram hat, dann wollen es die anderen auch.“Für Dienlin wäre es mitunter auch sinnvoll, die Altersgren­ze für gewisse Apps anzuheben. Medienkomp­etenzen können schützen, aber sie müssen neu gedacht werden, ist er sich sicher. Fake News zu erkennen, Quellen richtig einzuordne­n und die Privatsphä­re zu schützen – all das sei zu wenig. „Medienkomp­etenz bedeutet auch zu wissen, wann man aufhören muss.“

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Golero/Getty Images Zuletzt sorgte ein angebliche­r „Vergewalti­gungstag“für Verunsiche­rung und Angst vor allem bei Mädchen.

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