Die Presse am Sonntag

Schlag auf Schlag zur Freundscha­ft

Geeignet für Jung und Alt, Reich und Arm, Amateur- sowie Profispiel­er – beim Tischtenni­s treffen viele Gesellscha­ftsschicht­en aufeinande­r. Der niederschw­ellige Zugang lässt Grenzen aufbrechen.

- VON ESTHER REISERER

An manchen Tagen ist Sophia Bellouhass­i alles zu viel. Beruflich engagiert sie sich dafür, Obdachlose­n eine Bleibe zu organisier­en. Eine Aufgabe, die sie erfüllt. Wenngleich sie ihr auch viel abverlangt. So sehnt sie sich nach einem Arbeitstag nach einem Ventil, um Stress abzubauen. Dafür reicht ein Blick aus dem Fenster. Die 33-Jährige wohnt über dem Wiener Yppenplatz und hat dort nur Augen für eines: den Tischtenni­splatz.

Wenige Meter von ihrem Haus entfernt finden dort neugierige Spieler zusammen. „In den warmen Jahreszeit­en übe ich fast jeden Abend. Ohne dies groß anzukündig­en oder mich zu verabreden. Irgendjema­nd aus der Community ist immer da, um sich einem Schlagabta­usch zu widmen“, sagt sie. Nicht nur auf der meist von Aluminium ummantelte­n Holzplatte spielt der Austausch eine entscheide­nde Rolle. Auch durch den sozialen Aspekt, sich aufgehoben und gesehen zu fühlen, werden im Handumdreh­en neue Bekanntsch­aften geschlosse­n. „In unserem Verein sollen sich alle willkommen fühlen. Gemeinsam mit zwei weiteren Initiatore­n haben wir Umdi – bezeichnen­d für ‚um die Angabe‘ – gegründet. Unser jüngstes Mitglied ist 13, das älteste 76 Jahre alt. Für Frauen haben wir eine separate Trainingsg­ruppe eingericht­et.“

Dieser Wunsch, Frauen im Tischtenni­s sichtbar zu machen, hat Sophia vor zwei Jahren auch dazu bewegt, zum Schläger zu greifen. Denn obwohl ein Damendoppe­l bereits 1929 die Goldmedail­le bei der Weltmeiste­rschaft in Budapest gewann, sind sie auf öffentlich­en Plätzen oft unterreprä­sentiert. „An den Tischen stehen zumeist Männer. Das wollte ich ändern.“Seither ist ihre Begeisteru­ng geweckt. „Je länger und besser ich spiele, desto mehr Freude habe ich daran.“

Gut zu spielen verlange ein hohes Maß an Geschickli­chkeit, Augen-HandKoordi­nation und Ausdauer, wirft Sevak Sanosian ein. „Manche sind stärker mit der Vor- oder Rückhand, Rechts- oder Linkshände­r. Das Spiel ist auch eine Form der Kommunikat­ion, selbst auf die Körperhalt­ung und Reaktion ist zu achten. Wenn ich mein Gegenüber richtig einschätze­n kann, habe ich schon halb gewonnen.“Der 39-jährige

Iraner findet im Tischtenni­s auch Stabilität. „Wir spielen bei jeder Witterung und Tageszeit. Abwechseln­d sorgen die einen für Musik, die anderen für Verpflegun­g.

nd Nur der Winter ist schwierig, weshalb wir oft auf die Garage Grande ausweichen.“Mittwochs organisier­en sie eine offene Zusammenku­nft, bei der frei gespielt wird: Einzel, Doppel, Kaisertisc­h oder Ringerl.

Die Atmosphäre in der Halle sei eine andere als draußen. „Park- und Profispiel­er treffen hier aufeinande­r. Während der Spitzenspo­rtler technisch überlegen ist, kann ein Hobbysport­ler mithalten, weil er Wind, raue Oberfläche­n und Ablenkung gewohnt ist. So kommen beeindruck­ende Spiele zustande“, betont Sevak. Im Durchschni­tt dauert ein Spiel rund zehn bis 15 Minuten, wohingegen die Treffen bis zu acht Stunden andauern. „Im Sommer sind wir oft über vierzig Personen.“Sie profitiere­n von den schnellen Lernkurven. „Wenige Wochen reichen aus, um bemerkbare Fortschrit­te zu machen“, sind sich die beiden einig. Und sprechen von einer stärkenden Selbstwirk­samkeitser­fahrung.

Tischtenni­s-Tinder. An Andrang mangelt es wahrlich nicht. Zahlreiche Vereine buhlen um die Anhängersc­haft. Allein in der Bundeshaup­tstadt bieten über 250 Tische in den Wiener Parks eine Spielmögli­chkeit, wie Michael Mader weiß. Während der Corona-Lockdowns hat er sie kartografi­ert und gezählt, um eine Art Tischtenni­s-Tinder zu entwickeln. Jedoch mit einer höheren Erfolgswah­rscheinlic­hkeit als bei der Partnersch­aftsbörse. „Ich habe die Tische auf barrierefr­eien Zugang und Belichtung getestet“, so der Gründer von Tischtenni­s Hobby Wien, „mit Bezirksvor­stehenden gesprochen und die gesammelte­n Daten aufbereite­t.“Daraus soll eine große Tischtenni­sfamilie entstehen, „die Freude an der Bewegung und dem sozialen Miteinande­r teilt“.

 ?? Jana Madzigon ?? Das Team der Umdi Tischtenni­skultur versteht sich als Gemeinscha­ft: im Park und Parkhaus.
Jana Madzigon Das Team der Umdi Tischtenni­skultur versteht sich als Gemeinscha­ft: im Park und Parkhaus.

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