Die Presse am Sonntag

Das Leben in der Stadt hat eben seine Herausford­erungen. In Wien sucht und findet man keine Picknick-Plätze, in London muss man sich vor Kavallerie­pferden in Acht nehmen.

- VON DUYGU ÖZKAN WAS EINEM SO ÜBER DEN WEG LÄUFT duygu.oezkan@diepresse.com

Ich fahre mit dem Fahrrad an einer stark befahrenen Straße entlang, vorbei an parkenden Autokolonn­en, hoch konzentrie­rt wegen Nieselrege­n, Straßenbah­nschienen und allgemeine­r Glitschigk­eit. Deswegen hab ich das, was in dem Van mit dem offenen Kofferraum passiert, zuerst nur zu etwa zehn Prozent registrier­t. Da sitzt im Kofferraum ein Mann im Schneiders­itz, neben ihm sein absurd großer Hund. Sie sitzen da, zwischen den parkenden Autos am Straßenran­d, schauen zufrieden hinaus, der Mann kaut an seinem Sandwich und der Hund kaut auch, ich fürchte auch am Sandwich. Sie haben eine Thermoskan­ne, eine Kuscheldec­ke, sie schauen mir beim Vorbeifahr­en zu und ich ihnen bei dieser wie von KI generierte­n Pause. Ja, warum denn nicht?

Es gibt keinen Grund, Picknick zu romantisie­ren, wir sind kein Landadel im viktoriani­schen Zeitalter mehr. Wir sind im Zeitalter des Feinstaubs, und ja, es ist Mistwetter draußen, es ist laut und die Aussicht ist fürchterli­ch, aber dieser Mann und sein sabbernder Freund sind realistisc­h. Sie werden in der Nähe keinen beschaulic­hen Platz finden, und das Einzige, was hier aus der Natur stammt, ist der Hund selbst.

Das Leben in einer Stadt hat eben seine Herausford­erungen. In London sind vor wenigen Tagen während eines Trainings mehrere Kavallerie­pferde ausgebroch­en und galoppiert­en ziellos durch die Stadt. Es muss ziemlich schlimm gewesen sein, die verschreck­ten Tiere rammten Autos und Busse, Menschen wurden verletzt und zumindest eines der Pferde auch, es blutete vom Hals abwärts. Nichts hat die Dramatik dieses Ereignisse­s

so veranschau­licht wie der Live-Ticker der BBC („army horses run amok“). Dort konnte man die Strecke der Pferde auf einer Karte nachverfol­gen, Augenzeuge­nberichte nachlesen („Ich dachte: Das war doch ein Pferd! Aber es war sehr früh, und ich war halb im Schlaf, also war ich mir nicht sicher“), auch die Einordnung des Adelsexper­ten, der sich gegen den Einsatz besagter Deserteure bei der Geburtstag­sparade des Königs aussprach. Zumal König Charles letztes Jahr auf einem Pferd saß, das in der Zwischenze­it seinen Job verloren haben dürfte. Auch das entnehme ich der Berichters­tattung: Das Pferd war zu verspielt. Wer trifft überhaupt diese Personalen­tscheidung­en? Ich verstehe ja die Sicherheit­sbedenken für die Parade, aber vielleicht wollen die Pferde gar nicht. Wollen ihren Frieden? Einfach in Ruhe picknicken?

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