A bisserl Geschichte lernen
In Österreich steht auf der Hitliste der Podcasts ein historischer ganz oben. Richard Hemmer und Daniel Meßner können mittlerweile gut davon leben, über Abseitiges zu plaudern. Wieso?
Ein Sprechtraining? Das ist eine Frage, die die beiden Podcaster Richard Hemmer und Daniel Meßner zum Lächeln bringt. Sie haben nie eines gemacht und werden es nicht tun, denn sie wollen sich ihre Authentizität erhalten. Und ihre westösterreichische beziehungsweise süddeutsche Sprachfärbung, auch wenn deshalb hie und da kleine Spitzen von Hörern kommen.
Es kommt nicht oft vor, dass jemand von einem Podcast leben kann im deutschsprachigen Raum. Die beiden Historiker haben es geschafft, ihre „Geschichten aus der Geschichte“sind von einem „kleinen Werkl“, wie Hemmer es nennt, zu einem akustischen Begleiter für Millionen geworden. Die Österreichische Auflagenkontrolle, die seit Kurzem auch Podcasts reiht, bescheinigte im Vormonat 2,5 Millionen valide Downloads. Keine Ausnahme, erzählen die beiden Historiker, die auch ein Buch zum mittlerweile sehr professionellen Podcast herzeigen können, solche Zahlen erzielen sie seit Langem. Sogar eine Merche-Ecke haben die beiden auf ihrer Website. T-Shirts kann man da kaufen, Kapuzenpullis, Tassen oder Stoffsackerln. „Lernen S‘ a bisserl Geschichte“, steht drauf geschrieben, das bekannte Zitat von Bruno Kreisky. Dem legendären SPÖ-Kanzler gehört auch der Anfang und das Ende jeder Folge. 448 davon gibt es, das bedeutet 698-mal die mahnende Stimme des legendären SPÖ-Kanzlers, der anfügt: „Und dann werden S‘ sehen, Herr Reporter, wie das sich damals entwickelt hat.“
Vampirismus in Zeiten der Aufklärung, Schinderhannes und der Reißverschluss.
Warum gelingt so ein Erfolg gerade mit Geschichte? „Die Leute wollen herausfinden, warum die Welt so wurde, wie sie ist“, glaubt Hemmer. Der Podcast ist dabei breit gefächert, von Vampirismus in Zeiten der Aufklärung über den räuberischen Schinderhannes bis zur holprigen Karriere des Reißverschlusses. „Wir haben eine Hörerschaft, die eigentlich alles interessiert“, sagen die Podcaster. Freilich vertraut die auch darauf, dass die beiden etwas Spannendes zu erzählen haben. Eine wenig bekannte historische Episode – und der Kontext dazu, der sich in das Geschichtsbild einfügt: Das ist es, was die beiden Woche für Woche machen. Seit beinahe neun Jahren jeden Mittwoch in einer neue Folge. Und bisher fiel noch nie eine aus. „Wir sind wenig krank, gottseidank. Beziehungsweise wenig schwer krank“, sagt Meßner.
Das Thema überrascht. Diese lange Dauer, die starke Bindung zu den Hörern und die vielen Folgen, auf die man zurückgreifen kann (sie machen bei den Downloads deutlich mehr als die Hälfte aus), sind wohl ein guter Teil des Erfolgs. Und natürlich ist da das charmante Konzept: Jeweils einer erzählt, sehr gut vorbereitet, über ein Vorkommnis. Und der andere hat keine Ahnung, was kommt. „Sagt dir der Name Muhammad Ali Pascha was?“, wird dann gefragt. Und „Ähm, ja, ich glaube“, geantwortet. Und dann wird daraus eine detailreiche Geschichte über eine Giraffe, die 1827 als Geschenk dem französischen König geschickt wird. Inklusive der Frage danach, was sie zu fressen bekam. Das ist kein Vortrag, sondern ein Gespräch mit Unterbrechungen, Zwischenfragen und kleinen Witzen. Die beiden Hosts sind unterschiedlich, der eine ein bisschen sarkastisch, der andere stets verbindlich. Das Ganze hat die Unbefangenheit einer Unterhaltung zwischen
Freunden, ist aber gut strukturiert und bietet viel Wissen.
Physisch treffen sich die beiden fast nie – was sie nicht zu stören scheint. Hemmer, der in Vorarlberg aufgewachsen ist, wohnt in Wien. Meßner studierte hier Geschichte, zog dann zurück nach Deutschland. Mittlerweile lebt er in Regensburg. Übrigens kommt auch der Großteil der „Geschichten aus der Geschichte“-Hörer aus Deutschland. In Österreich hat der Podcast in etwa 300.000 Downloads pro Monat. Vor ungefähr drei Jahren kündigten die beiden ihre Brotjobs. Macht der Podcast sie reich? „Wir können gut leben davon, aber wir können uns nicht frühzeitig zur Ruhe setzen“, sagen sie. Geld kommt vor allem über Werbung herein, die Hemmer und Meßner selbst einsprechen. Eine zweischneidige Sache: Für die Zuhörer insofern nett, als der Podcast nicht akustisch unterbrochen wird. Aber auch schwierig, weil man damit auch zu einem gewissen Grad für die Produkte bürgt. Sie würden eben nur das bewerben, was sie auch gut fänden, meinen die beiden dazu.
Leben, erfüllt mit Arbeit. Sie wirken mehr als zufrieden mit ihrer Arbeit. Auch wenn Hemmer davon spricht, dass er eine 80-Stunden-Woche hat: „Mein gesamtes Leben dreht sich um diesen Podcast.“Was ihn nicht stört, verglichen mit den 40-Stunden-Bürojobs etwa im Marketing, die er vorher gemacht hat. „Das ist eine andere Form von Arbeit, weil es etwas ist, was ich mit Leidenschaft mache, und im Grunde genau das, was ich machen will.“Sein Leben sei erfüllt mit dieser Arbeit. Ein Hörer schrieb ihnen kürzlich, er sei mit ihnen aufgewachsen und höre den Podcast, seit er 14 ist. Wirklich verändert hat sich der Podcast in dieser Zeit nicht. Über neun Jahre hinweg jede Woche ein
Es soll so bleiben, wie es ist. Das Ziel ist das Rentenalter,
sagt Meßner.
Thema finden, jede Woche die Literatur durchforsten – wird das auch einmal langweilig? Nein, da sind sich die beiden einig. Auch wenn sich das Drumherum ändern kann, es etwa bald ein weiteres staffelartiges Podcastformat geben wird; „Geschichten aus der Geschichte“soll so bleiben, wie es ist. „Wir bewegen uns, was Veränderungen angeht, relativ glazial“, sagt Hemmer. „Das Ziel ist das Rentenalter“, sagt Meßner, Jahrgang 1979, vielleicht nur halb im Scherz. Angebote von Verlagshäusern, Radio oder Fernsehen bekamen sie übrigens nie. Es würde für sie auch keinen Sinn haben, sich an jemanden zu binden. „Wir sind redaktionell absolut frei und nur unserer Neugierde verpflichtet. Und dem Publikum.“