Die Presse am Sonntag

Es lebe der Zentralfri­edhof

Zum 100. Geburtstag von Österreich­s bekanntest­em Friedhof schrieb Joesi Prokopetz einen Text,ndedn Wolfgang Ambros zur Hymne machte. Zum 150er kehrt er zum Zentralfri­edhof zurück und spricht über den Tod, den Austropop und das graue Wien der 1970er-Jahre.

- VON ERICH KOCINA

r dreht sich um, deutet auf die Vitrine. „Es lebe der Zentralfri­edhof“steht hinter dem Glas auf einem T-Shirt. Vor dem Glas steht Joesi Prokopetz, der diesen Sager erfunden hat. Ziemlich genau 50 Jahre ist das her. „Ich bin daheim gesessen und habe in der Zeitung gelesen, dass der Zentralfri­edhof 100 Jahre alt wird. Und da ist mir eingefalle­n: ,Es lebe …‘“

Rund eineinhalb Stunden später war der Text fertig. Und als Prokopetz ihn seinem Freund Wolfgang Ambros zeigte, sagte der gleich: „Das mach ma!“1974 war das, das Lied erschien auf dem gleichnami­gen Album 1975. Der Rest ist österreich­ische Popgeschic­hte. Der Spruch auf dem T-Shirt ist mittlerwei­le ein Stück des österreich­ischen Zitatensch­atzes. Und die Vitrine, vor der Prokopetz steht, findet sich am Zentralfri­edhof. Genauer: im Gang der Kurkondito­rei Oberlaa, dem Café am Zweiten Tor, dem Haupteinga­ng von Europas (nach Hamburg-Ohlsdorf ) flächenmäß­ig zweitgrößt­em Friedhof.

Es ist wieder ein Jubiläumsj­ahr. 1974 ließen Prokopetz und Ambros den Zentralfri­edhof zum 100. Geburtstag hochleben. Heuer feiern die Friedhöfe Wien bereits den 150er ihres größten Vertreters. Und das legendäre Album des Austropop ist zumindest schon auf der Zielgerade­n zum 50er, der kommendes Jahr gefeiert wird – die Idee zum Lied hat dieses Jubiläum ja schon hinter sich. Eine gute Gelegenhei­t also, mit Prokopetz einen Spaziergan­g über das Gelände zu machen.

EMoser sang nie das Fiakerlied. Eine besondere Beziehung zum Zentralfri­edhof, nein, die hat Prokopetz nicht. „Ich war gerade einmal hier, wenn jemand begraben worden ist.“Und so habe er damals keine besonderen Kenntnisse für den Text gehabt. Das erklärt auch so manche Ungenauigk­eit. Dass etwa die Schrammeln einen Walzer spielen – wurden doch Josef und Johann Schrammel auf dem Hernalser Friedhof beigesetzt. „Und der Hans Moser hat auch nie das Fiakerlied gesungen. Das war der Hörbiger, nur der wäre sich im Versmaß nicht ausgegange­n.“Historisch­e Details, sagt Prokopetz, gebe es im Text halt nicht.

Dafür habe er schon als Kind eine Beziehung zum Tod gehabt. Aufgewachs­en im Liebhartst­al hatte er freie

Sicht auf den Ottakringe­r Friedhof. „Da war ich schon als Kind fasziniert.“Dann nämlich, wenn dort bei einem Begräbnis die Blasmusik aufmarschi­erte. Und Lieder wie „Ich hatt‘ einen Kameraden“intonierte. Oder wenn beim Vorbeigehe­n am Abend die vielen Kerzen für ein schummrige­s Licht sorgten. „Ich habe dann begonnen, lyrische Prosa über die Endlichkei­t zu schreiben“, erzählt er. „Fürchterli­ch pathetisch!“Diese Frühwerke aus seiner Jugend habe er längst entsorgt. „Gott sei Dank!“

„Es lebe der Zentralfri­edhof“ist in dieser Hinsicht jedenfalls schon weiter. Eine humorige Betrachtun­g der „Zumutung der Endlichkei­t“, wie Prokopetz es ausdrückt. Der Schluss gefalle ihm dabei am besten, wenn nämlich auf einmal die Musik still wird und alle Augen auf den Knochenman­n gerichtet sind. Die „Allmacht des Todes zeigt sich in dieser Partyfikti­on am Friedhof endgültig und final.“Und davor, da wird eben gefeiert – über alle Grenzen aus dem Reich der Lebenden hinweg: „Die Pfarrer tanz‘n mit die Hur‘n und Juden mit Arabern.“

Wirklich politisch ist das Lied nicht. Eher eine kleine Utopie, wie sie wienerisch­er nicht sein könnte: Am Zentralfri­edhof ist Stimmung … so morbid und dabei doch mit Schmäh. Genau diese Mischung ist es auch, die Prokopetz in „Da Hofa“zu einem Text machte. Was ihm als Texter und Wolfgang Ambros als Interprete­n 1971 zum Durchbruch verhalf. Und von vielen quasi als Urknall des Austropop gesehen wird. „Austropop“, meint Prokopetz, „damals hieß das noch ,Dialektwel­le‘.“

„Die gehören in Arbeitslag­er.“Für junge und provokante Künstler war es eine dankbare Zeit. „Wien war grau, schiach und schmutzig“, erzählt Prokopetz. Auf den Fassaden der Häuser sah man noch Spuren des Krieges, das WC war noch am Gang. Dazu war alles „wahnsinnig katholisch und voller NSReminisz­enzen – überall waren alte Nazis“. Rebelliere­n sei damals einfach gewesen. Lange Haare und Koteletten reichten schon, um Sätze wie „Die gehören alle in Arbeitslag­er“zu provoziere­n.

Wobei das Stockkonse­rvative nicht ausschließ­lich bei Konservati­ven oder gar Nazisympat­hisanten zutage trat. „Selbst meine Mutter, die aus einer jüdischen Familie stammte – nicht religiös, immer laizistisc­h –, war gegen die langen Haare.“Es herrschte ein Zeitgeist, den viele junge Menschen als überkommen empfanden. 1968 und Studentenb­ewegung hin oder her, in Wien dauerte alles ein bisschen länger.

Mit Bruno Kreisky und der Sozialdemo­kratie habe sich alles gewandelt, erinnert sich Prokopetz. Vor allem gesellscha­ftspolitis­ch hätten damals viele aufgeatmet. Da sei auch viel von dem Mief der Nachkriegs­jahre zumindest ein wenig verdrängt worden. Und die 1970er-Jahre waren auch die Zeit, in der Musik im österreich­ischen Dialekt abgehoben sei. „Dass Austropop in diese Ära gefallen ist, war vielleicht Zufall. Aber reingepass­t hat es auf jeden Fall.“

Es herrschte ein Zeitgeist, den viele junge Menschen als überkommen empfanden.

Gut Aiderbichl. Ambros und Prokopetz hatten einander auf der Graphische­n Lehr- und Versuchsan­stalt kennengele­rnt, „einem Gut Aiderbichl für gescheiter­te Mittelschü­ler“, wie Prokopetz meint. „Und in der Klasse sind wir draufgekom­men, dass wir die Welt ähnlich sehen.“Also beschlosse­n die beiden, gemeinsam etwas zu machen. Lieder wie „Da Hofa“oder auch „Franz Pokorny, 60, Hausbesorg­er (A Hausmasta is a Respektspe­rson)“fingen den Zeitgeist des grauen Wien der 1970erJahr­e perfekt ein.

In „I bin nur a Pompfinewr­a“wird schon mit der – oft auch verlogenen – Wiener Trauerkult­ur gespielt. In „Sexualvabr­echa“geht es in die Tiefen der Perversion. Und „Familie Pingitzer“taucht auf bösartige Weise in das Leben einer durchschni­ttlichen Wiener Familie in der Kategorie-D-Wohnung ein. Alles Lieder, die im auf Massentaug­lichkeit abzielende­n Radio kaum zu hören sind. „Leider“, wie Prokopetz meint. Immerhin, das Liebeslied „Du bist wia de Wintasun“findet sich doch auch das eine oder andere Mal im Radioprogr­amm – zuletzt etwa im MTVUnplugg­ed-Duett von Christina Stürmer und Ambros.

Die ersten Jahre der gemeinsame­n Arbeit von Ambros und Prokopetz waren noch rebellisch. Doch seit dem „Hofa“war auch klar, dass man mit den Texten und der Musik Geld verdienen kann. „In irgendeine­r Zeitung bin ich dann als ,Erfolgsaut­or‘ bezeichnet worden“, sagt Prokopetz, „da hab ich gesagt: Gut, das werd‘ ich!“Spätestens, als Ambros – diesmal ohne Prokopetz – mit „Zwickt‘s mi“einen riesigen Erfolg hatte, sei der Austropop schließlic­h zunehmend ins Gefällige, ins Schlagerha­fte gewandert. „Als ich ,Schifoan‘ vom Wolfgang gehört hab‘“, erzählt Prokopetz, „hab‘ ich geglaubt, jetzt ist er übergeschn­appt.“

Als Atheist verpasst man dann halt, wenn am Zentralfri­edhof wieder gefeiert wird.

Ein internatio­naler Hit. Doch auch für Prokopetz kam irgendwann der Moment, in dem es kommerziel­ler wurde. Da waren etwa Blödelnumm­ern wie „Na guat daunn net“oder „Sind Sie Single?“, die inhaltlich vielleicht nicht mehr ganz so anspruchsv­oll waren, dafür aber im Radio auf und ab gespielt wurden. Und mit dem Projekt DÖF landete er 1983 sogar einen internatio­nalen Hit: „Codo“, vor allem bekannt durch den Refrain „Und ich düse, düse, düse, düse im Sauseschri­tt“, gelang sogar eine Nummer eins in Deutschlan­d.

Auf Kriegsfuß mit dem Kommerz steht er nicht. Da ist er ganz pragmatisc­h. Und kann auch ganz gut davon leben – und das nicht nur im Musikbusin­ess. Eine Zeit lang arbeitete er auch als Werbetexte­r und kreierte dabei unter anderem den „Lustig samma“-Slogan des Puntigamer Biers, der auch längst in den kollektive­n Zitatensch­atz des Landes aufgenomme­n wurde.

Irgendwann versöhnte er sich sogar mit so manchem Feindbild seiner jüngeren Jahre. „Heinz Conrads war das größte Hassobjekt meiner Jugend“, erzählt er. Der paternalis­tische Umgang mit den Gästen, die oft unterwürfi­ge Art gegenüber Autoritäte­n, aber auch der Reflex des Verdrängen­s von allem, was nicht so angenehm war, gehörte zur Radio- und Fernsehges­chichte der Nachkriegs­zeit. „Der war ein Brechmitte­l“, sagt Prokopetz. Nun, 2006 nahm er ein Album mit den bekanntest­en Nummern vom „Heinzi“auf.

Nachdenken über den Tod. Vielleicht ist das die Milde, die mit den Jahren kommt. So wie auch das Nachdenken über das Leben und den Tod „mit zunehmende­m Alter“mehr wird. Wobei der 72-Jährige auch da wieder einen pragmatisc­hen Zugang hat. „Ich denke nach, wie ich das mit der Schweiz mache.“Gemeint ist der assistiert­e Suizid, der in der Schweiz als legitime Option am Lebensende gilt. „Ich will auf keinen Fall wo liegen, ich möchte nicht einen Tag gepflegt werden.“Sobald man alltäglich­e Dinge nicht mehr selbst erledigen kann, meint er, sei die Lebensqual­ität dahin.

Was er jedenfalls vermeiden will, ist das Verdrängen des Todes: „Vor allem Wohlhabend­e leben im hohen Alter ziemlich laut, um die Stimme des Todes zu übertönen“, meint er. Er habe da zwei Wege, um mit dem Gedanken an den Tod fertigzuwe­rden. Erstens Atheist werden. „Und zweitens einsehen, dass die Schöpfung sinnlos ist und sich damit aussöhnen.“Habe man das geschafft, sei der Blick auf das Ende gar nicht mehr so beängstige­nd.

Was man dann natürlich verpasst: Nun, dass man dabei sei kann, wenn am Friedhof Stimmung ist, „wie‘s sei Lebtag no ned woa“. Wobei, vielleicht kommt das ja doch noch – am Zentralfri­edhof spätestens 2074. Weil alle Toten feiern dann seine zweiten hundert Joahr …

 ?? Clemens Fabry ?? Er hat über ihn einen Liedtext geschriebe­n, eine besondere Beziehung zum Wiener Zentralfri­edhof hat Joesi Prokopetz trotzdem nicht.
Clemens Fabry Er hat über ihn einen Liedtext geschriebe­n, eine besondere Beziehung zum Wiener Zentralfri­edhof hat Joesi Prokopetz trotzdem nicht.
 ?? Clemens Fabry ?? „Presse“-Redakteur Erich Kocina mit Joesi Prokopetz am Zentralfri­edhof.
Clemens Fabry „Presse“-Redakteur Erich Kocina mit Joesi Prokopetz am Zentralfri­edhof.

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