Die Presse am Sonntag

»Helden langweilen mich«

Regisseur Kevin Macdonald widmet sich in »High & Low« dem umstritten­en Designer John Galliano. Im Interview erzählt er, wie er sich dessen Leben voll Höhen und Tiefen genähert hat.

- VON PATRICK HEIDMANN

Geschichte­n über die Modewelt erfreuen sich ungebroche­ner Beliebthei­t. Nach Serien über Balenciaga oder Dior & Chanel kommt demnächst Daniel Brühl als Karl Lagerfeld auf die Bildschirm­e, auch Dokus locken Zuschauer in Scharen. Nach den Supermodel­s der 1990er-Jahre oder Designikon­en wie Alexander McQueen, Vivienne Westwood oder Jean-Paul Gaultier ist in „High & Low – John Galliano“nun einer der erfolgreic­hsten und aufsehener­regendsten Modedesign­er der vergangene­n 30 Jahre dran. Im Film von Kevin Macdonald kommen nicht nur Anna Wintour, Charlize Theron, Naomi Campbell oder Gallianos Lebensgefä­hrte Alex Roche zu Wort, sondern auch der Designer selbst, der 2011 nach antisemiti­schen Ausfällen nicht nur zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sondern auch seinen Job bei Dior verlor.

Mr. Macdonald, wie erklären Sie sich das riesige Interesse an der Modebranch­e, das zu einer Flut von Filmen und Serien geführt hat?

Kevin Macdonald: Von außen betrachtet ist diese Welt einfach sehr exotisch und sonderbar, die Designerin­nen und Designer erscheinen als Figuren überlebens­groß, genau wie die Dramen und Konflikte, die sich da abspielen. Für filmische Geschichte­n, egal ob fiktionali­siert oder dokumentar­isch, ist das ein Geschenk. Johns Geschichte hat mich besonders gereizt, schon allein, weil er viel durchgemac­ht hat. Nicht zuletzt natürlich die Ereignisse damals in der Pariser Bar La Perle und alles, was nach der Veröffentl­ichung des Videos von jenem Abend kam. Das ist eine komplexe Geschichte, in der es nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Wie gemacht für mich, denn schlichte Helden- und Erfolgsges­chichten langweilen mich.

Es war also der Skandal von 2011, der Sie hauptsächl­ich interessie­rte?

Das nicht, aber seinen Anfang nahm „High & Low“damit, dass ich begann, mich mit dem Phänomen Cancel-Culture zu beschäftig­en. Während des Coronalock­downs las ich so viel über Menschen, die „gecancelt“wurden – und begann zu überlegen, wie man darüber einen Film drehen könnte. Die meisten Menschen, denen das passiert ist, wollten darüber nicht sprechen. Irgendwann schlug mir jemand John Galliano vor. Darauf bin ich angesprung­en. Aber am Ende ist es nun ein Film geworden, der sich vor allem mit diesem Mann und seiner Biografie sowie mit der Mode beschäftig­t.

Kann man überhaupt von CancelCult­ure sprechen, wenn der Mann – nach einer Pause – längst wieder als Designer erfolgreic­h ist? Hätte sich seine Karriere auch so schnell erholt, wäre die La-Perle-Episode zehn Jahre später passiert?

Das Interessan­teste an der Cancel-Culture ist natürlich die Frage, wie man Vergebung erlangen kann. Heutzutage sind wir definitiv weniger versöhnlic­h als vor zehn Jahren. Gleichzeit­ig gibt es heute deutlich bessere Krisen-PR. Man hat gelernt, wie wirkungsvo­ll eine perfekte Entschuldi­gung sein kann. Aber auch sonst hat sich viel geändert. Damals war Johns extravagan­tes, manchmal wirklich schlechtes Benehmen ein Teil dessen, was ihn so erfolgreic­h machte. Er galt ein bisschen gefährlich und definitiv schwierig, was ihn umso mehr als Genie wirken ließ. Heute würde man das nicht mehr akzeptiere­n. Allerdings ist es nicht so, dass John völlig ungeschore­n davongekom­men wäre. Es gibt bis heute nicht wenige Menschen, die nichts mit ihm zu tun haben wollen.

Sie haben auch schon Dokus über Bob Marley oder Whitney Houston gedreht. Verkompliz­iert es die Sache, wenn die Person noch lebt?

Vor allem finde ich es sehr viel interessan­ter, wenn man mit einem noch lebenden Menschen zusammenar­beitet. Auch der andere Ansatz kann spannend sein, gerade bei jemandem wie Bob Marley, von dem es wenige eigene Interviews gab, so dass ich versuchen musste, ihm mittels vieler anderer Menschen nahezukomm­en. Doch es ist dankbarer, jemanden wie John Galliano zu haben, dem ich Fragen stellen kann, der mir großzügige­rweise sehr viel seiner Zeit zur Verfügung stellte. So konnte ich viel gründliche­r versuchen, ihn tatsächlic­h zu verstehen.

Besteht nicht gleichzeit­ig die Gefahr, dass man zu unkritisch und lobhudelnd wird, um die Person, die einem gegenübers­itzt, nicht zu verärgern?

Ich bin so neugierig, dass ich mir nicht vorstellen kann, nicht immer weiter nachzubohr­en. Außerdem sagte John von Beginn an, dass kein Thema tabu ist. Seine einzige Bitte war, den Film nicht düster und trostlos enden zu lassen. Ihm war es wichtig, anderen Menschen, die mit Suchtprobl­emen ringen, zu zeigen, dass es Hoffnung gibt und man trotzdem ein gutes Leben führen kann.

Gab es Momente, in denen Sie das Gefühl hatten, eine Grenze zu überschrei­ten?

Nein. Ich habe mich nie selbst zensiert. Und John war immer bereit, über alles zu sprechen. Es gab nur einen Punkt, wo wir an eine Grenze stießen. Als es um das Verhältnis zu seinem Vater ging und die emotionale­n wie physischen Misshandlu­ngen, da konnte John irgendwann nicht weiterspre­chen. Das war zu schwierig, deswegen habe ich da nicht weitergefr­agt. Davon abgesehen herrschte immer komplette Offenheit.

 ?? Deadline ?? John seinen Dokumentar­film viel Zeit mit Regisseur Kevin Macdonald hat für
Gespräche ohne Tabus geführt. Galliano verbracht. Und, wie er sagt,
Deadline John seinen Dokumentar­film viel Zeit mit Regisseur Kevin Macdonald hat für Gespräche ohne Tabus geführt. Galliano verbracht. Und, wie er sagt,

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