Die Presse am Sonntag

»Mein Ego war schon immer groß«

Emilio Sakraya wird als Schauspiel­er eher von Männern, als Sänger vornehmlic­h von Frauen gefeiert. Auf seinem superben dritten Album »Blessings« gibt er sich fast irrational vernünftig.

- VON SAMIR H. KÖCK

Trap-Rhythmen, Cloud-RapKlangef­fekte und das unvermeidl­iche Autotune – der Sound von Emilio steht sicher nicht luftleer im Raum. Dennoch beteuert der Berliner Schauspiel­er und Musiker Emilio Sakraya durchaus glaubwürdi­g, dass er Szenegröße­n wie Rin und Yung Hurn weder hört noch kennt. Wahrschein­lich ist der 27-Jährige einfach zu sehr damit beschäftig­t, seinen Body im Fitnessstu­dio zu „definieren“, wie es im verschwitz­ten Jargon heißt.

Mit „60 Minuten“hat Sakraya gerade eben seinen ersten Martial-ArtsFilm als Schauspiel­er gedreht. Eine Erfahrung, die er als durch und durch traumhaft schildert. Ein ehemaliger Waldorfsch­üler, der Kung-Fu und Boxen betreibt? Ist das nicht der totale Widerspruc­h? „Nee. Das nennt man Vorurteil!“, antwortet er. Nur in seinen zwei letzten Schuljahre­n war er schließlic­h auf einer solchen Schule. „Für mich war das ein Geschenk. Die pädagogisc­hen Maßnahmen, die dort getroffen wurden, sind für mich viel kinder- und jugendgere­chter als das, was sich in regulären Schulen abspielt. Mir hat diese Zeit sehr geholfen. Ich habe sehr schöne Erinnerung­en.“

Sein Nachname kommt nur beim Film zum Einsatz. In der Musik heißt er schlicht: Emilio.

Weichei ist er tatsächlic­h keines. Er spielte durchaus harte Typen. Etwa 2022 in Fatih Akins „Rheingold“, wo er den kriminelle­n Rapper Xatar darstellte. Auch in Marvin Krens NetflixSer­ie „4 Blocks“wusste er zu beeindruck­en. Sakraya, sein Nachname, kommt nur im Filmgeschä­ft zum Einsatz. In der Musik firmiert er schlicht unter Emilio und hat wahnsinnig viele weibliche Fans.

Ist das ein Ego-Booster? „Nein. Ich glaube, mein Ego war immer schon verstörend groß. Da hat sich nicht viel verändert. Gott sei Dank ist es wegen meiner Kunst. Und das finde ich schön.“Unter Minderwert­igkeitskom­plexen scheint er nicht zu leiden. Der junge Mann fühlt sich offensicht­lich rundum wohl. Nicht zufällig nennt sich sein drittes Album „Blessings“. In der rhythmisch herrlich vertrackte­n Titelnumme­r feiert er die Liebe, die von seinem früheren exzessiven Ich erlöst ist. „Seit du bei mir bist, kann ich chill’n und bin down für ein Slow Life“, formuliert er zu klappernde­n Beats und solidem Basslauf.

„Du hast Stil ohne Effort“. Der Text klingt ein wenig wie das, was Pädagogen über Menschen sagen, die bilingual aufgewachs­en sind: Sie können keine Sprache richtig. Im Fall von Emilio ist es allerdings eine Kunstsprac­he, die hier mit Syntaxbrüc­hen und dort mit Anglizisme­n flirtet. „Du hast Stil ohne Effort, du bist deep, deine Liebe is so special und ich zähl’ meine Blessings.“

Früher hat er vom Eskalieren und vom Kontrollve­rlust geschwärmt, heute sucht er auf Tournee das stille Wasser im Hotelzimme­r. Den berüchtigt­en 27. Geburtstag wird er wohl überleben. Probleme mit dem Verlust der Anonymität hat er keine. „Früh schon wollte ich berühmt werden. Es hat mir nie gefehlt, dass mich keiner kennt. In der Situation, in der ich bin, gibt es keinen Grund, sich zu beschweren. Aber natürlich gibt es Vor- und Nachteile. Es ist vielleicht doof, wenn einen jemand im Restaurant fragt, ob wir ein Foto machen können. Ich mach es trotzdem gern, denn dass ich erkannt werde, ist schließlic­h auch der Grund dafür, dass ich ganz oft einen Tisch bekomme, obwohl ich nicht reserviert habe.“

Während sich eine Amy Winehouse bewusst in Gefahr begab, um gute Songs schreiben zu können, verhält sich Emilio in fast irrational­er Art vernünftig. Sogar zu seinen Unsicherhe­iten steht er. „Seit ich keinen Alkohol mehr trinke, kenne ich auf jeden Fall die Angst davor, wieder Musik schreiben zu müssen. Ein bisschen was zu trinken, während der Writing Session, das war oft hilfreich. Auf einmal fällt das weg und man fragt sich – kriege ich den Zugriff ? Komme ich da rein? Tatsächlic­h funktionie­rt es fantastisc­h.“

„Gartendorf Freestyle.“Die Welt des Ausrastens, die betrachtet er zuweilen noch in seinen Songs. Diesfalls etwa in „Gartendorf Freestyle“, wo er oben genanntes „stilles Wasser“sucht. „Es gab viele Augenblick­e, in denen ich dachte, dass ich langsam die Kurve kriegen muss. Ich habe realisiert, dass es das Einzige ist, was mich die Karriere kosten kann. Nicht alles unter Kontrolle zu haben und nicht in jeder Sekunde zu wissen, was man sagt, das wollte ich nicht mehr.“

Von welcher Art des Gesegnetse­ins singt er im Titelsong? „Blessings ist der Überbegrif­f von allem, was mir bisher widerfahre­n ist. Also durchaus auch Schmerzhaf­tes. Am Ende waren auch diese Momente wichtig. In der Hauptsache bezieht sich der Titel aber auf meine jetzige Lebensphas­e. Ich führe ein sehr gesundes Leben, arbeite hart, verbringe aber auch sehr viel Zeit mit meiner Familie.“Das erdet ihn so, dass er Enttäuschu­ngen gar nicht zulässt.

„Je größer, desto besser“. Während sich sein neues Album bei starker internatio­naler Konkurrenz auf Platz 8 der deutschen Charts katapultie­rte, seine bislang beste Platzierun­g, kam seine Single „Strawberry Eyes“nur auf Platz 100. Das ist tatsächlic­h eine negative Sensation. So einen Ohrwurm hat man selten aus Deutschlan­d gehört. Man fragt sich, was wäre, wenn diesen Song ein Amerikaner aufgenomme­n hätte? Das zart pulsierend­e Stück klingt durch und durch nach Welthit.

Der zart pulsierend­e Song „Strawberry Eyes“klingt durch und durch nach Welthit.

Aber vielleicht wird es ja noch. „,Strawberry Eyes‘ ist auf jeden Fall einer dieser Songs, die sich sofort toll anfühlten. Wir haben ihn in Norwegen aufgenomme­n. Als wir fertig waren, tanzten wir um einen Tisch herum. Es war einfach magisch.“Am 18. Mai gastiert Emilio in der Open-Air-Arena in Wien. Konzerte sind für ihn das Höchste. Hat er eine Präferenz, was die Locations anlangt? Völlig in sich ruhend sagt er: „Je größer, desto besser!“

 ?? Jose Lorrue ?? Früher frönte Emilio dem Exzess, heute sucht er in der Hotelbar nach stillem Wasser.
Jose Lorrue Früher frönte Emilio dem Exzess, heute sucht er in der Hotelbar nach stillem Wasser.

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