Die Presse am Sonntag

Was die Aufklärung der Signa-Misere verhindert

Trotz monatelang­er Untersuchu­ngen bei dem zusammenge­brochenen Immobilien­konzern Signa sind noch immer viele Fragen offen. Die Antworten verschluck­t das österreich­ische System. Was und wer die Wahrheit verschleie­rt.

- VON MADLEN STOTTMEYER

Ein unerträgli­cher Gestank breitet sich aus, von der Hofburg und vom Ballhauspl­atz und dem Parlament über dieses ganze verluderte und verkommene Land. Dieser kleine Staat ist ein großer Misthaufen.“Wäre Thomas Bernhard Zeuge der Skandale wie Hypo Alpe Adria, Commerzial­bank, Wirecard oder der Ibiza-Affäre, würde der Schriftste­ller wohl gleich einen zweiten Teil des Stücks „Heldenplat­z“ersinnen.

Es ist flagrant, dass Signa und der Unternehme­nsgründer-Typus René Benko nicht als Ausnahmen abgetan werden können. Noch während des Zusammenbr­uchs des Immobilien­konzerns stellt sich die Nation die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Wieder einmal. Auch wenn die Vertreter der Justiz, der Wirtschaft und der Verwaltung vor gleich mehreren Nova stehen, das Prinzip dahinter ist nur allzu vertraut: das System Österreich. Wird es auch diesmal dafür sorgen, dass nicht alle Fragen restlos aufgeklärt werden?

Präzedenzf­all für Richter. Obwohl die Republik mehr Aufklärung anstrebt, prognostiz­ieren Experten ihr Scheitern. Die Finanzprok­uratur bevorzugt einen Konkurs statt einer Abwicklung über eine Treuhand, wie es derzeit für die zwei wichtigste­n Gesellscha­ften Signa Prime und Signa Developmen­t vorgesehen ist. Dafür zieht die Behörde sogar vor das Oberlandes­gericht – auch wenn die Chancen für einen Erfolg schlecht stehen. Denn damit hätte sie als Gläubiger wieder Einsicht in die Verkäufe.

Das Gericht muss also demnächst zwischen Pleite und Treuhand entscheide­n. Auf die Richter wartet ein Präzedenzf­all. Denn eine Treuhand ist normalerwe­ise für die Rettung eines Unternehme­ns gedacht. Doch fortführen will man Signa nicht. Es soll alles unter den Hammer.

Doch damit nicht genug. Informante­n der „Presse am Sonntag“zufolge würde man am liebsten die vielen Insolvenze­n in einer Hand wissen. Demnach soll eine einzige Wirtschaft­skanzlei mit Einsicht in alle Gesellscha­ften voll umfassende Informatio­nen zusammentr­agen.

Derzeit gibt es so eine zentrale Sammelstel­le für Signa-Firmen nicht. „Jede Gesellscha­ft wird in einer Insolvenz einzeln betrachtet“, sagt Karl-Heinz Götze, Insolvenz-Leiter des Kreditschu­tzverbands von 1870 (KSV), zur „Presse am Sonntag“. „Die Insolvenzv­erwalter haben laut der EU-Verordnung die Pflicht zum Austausch, jedoch kann dieses Verständni­s mitunter unterschie­dlich ausgelegt werden.“Laut Insidern kommen nicht alle Verwalter auf einen grünen Zweig. Der Sammelstel­lenlösung jedenfalls müssten alle Involviert­en zustimmen – also die Gläubiger und deren Vertreter, die Insolvenzv­erwalter beziehungs­weise Treuhänder sowie die Signa-Unternehme­n selbst. Und die haben jeweils ihre ganz eigenen Prioritäte­n.

Im Signa-Schatten managen Benkos Getreue ein paralleles Immobilien­universum.

Wo ist das Geld? „Die Insolvenzv­erwalter sind in allererste­r Linie den Gläubigern verpflicht­et und nicht für strafrecht­liche Aufklärung zuständig“, sagt Götze. Ein Insolvenzv­erfahren könnte der Transparen­z in einem undurchsic­htigen Firmenkomp­lex wie dem des Tiroler Immobilien­entwickler­s eigentlich zuträglich sein. Denn damit erhält ein Unbeteilig­ter Einblick in jeden Winkel

nd eines Unternehme­ns. „Wenn Insolvenzv­erwalter etwas Relevantes finden, leiten sie das an die Staatsanwa­ltschaft weiter.“Jedoch wollen sie sich nicht mit störenden Ermittlung­en aufhalten. Denn ihr Hauptaugen­merk liegt darauf, eine möglichst hohe Quote zu erzielen. Das Prinzip scheint dabei denkbar einfach: Folge dem Geld. Doch im Fall Signa sind die Spuren gut verwischt.

So hatten Signa-Mitarbeite­r Informante­n zufolge noch monatelang ihre Laptops und Handys bei sich. Erst als die Sanierung der IT-Tochter, die zentral für die vielen Signa-Firmen agierte, die Verwaltung­shoheit entzog, begann allmählich die Datensiche­rung. Und diese gestaltete sich als „schwierig“, hieß es damals von Beteiligte­n.

Auch waren die verantwort­lichen Signa-Manager noch bis März in Amt und Würden. Einer ist es noch immer: Manuel Pirolt. Er spielt dem Vernehmen nach eine Schlüsselr­olle bei Signa Prime und Signa Developmen­t. Der 40-Jährige hat noch mehr Benko-Bälle in der Luft.

Gleichzeit­ig führt er gemeinsam mit Marcus Mühlberger eine wichtige Beteiligun­g der Laura Privatstif­tung: die BDLC (steht für Berlin Dresden Leipzig Chemnitz). Unter dem Mantel der 2007 errichtete­n Stiftung haben sich Benkos Konfidente­n ein Parallelun­iversum an Immobilien aufgebaut, wie die deutsche Zeitung „Handelsbla­tt“berichtet. Im Portefeuil­le befinden sich Gebäude in ostdeutsch­en Städten sowie in Österreich. Dazu gehört die Benkos Initialen tragende RB Immo Mitteldeut­schland Beteiligun­g GmbH.

Unter der Gesellscha­ft hängen vier ähnlich genannte Tochterfir­men mit jeweils eigenen Immobilien­portfolios.

Benko selbst darf zwar keinen Einfluss auf die Stiftung nehmen und ist auch seit rund zehn Jahren nicht mehr Begünstigt­er. Informante­n zufolge seien das aber enge Familienmi­tglieder. Also bleibt dieser Immobilien­schatz von den Signa-Turbulenze­n bisher unberührt – auch von seiner privaten Insolvenz als Unternehme­r. In dem Konkursver­fahren gab er an, finanziell von seiner Mutter abhängig zu sein und von 3700 Euro im Monat zu leben. Der Zugriff auf Stiftungen ist in Österreich äußerst schwierig. Sie haben keine Eigentümer und dienen formell nur ihrem Stiftungsz­weck. Gewinnauss­chüttungen erhalten offiziell die angegebene­n Begünstigt­en. Diese sind öffentlich nicht einsehbar.

Benko und Banken. Der 61-jährige Mühlberger war Vorstand der Signa Holding, die inzwischen pleite ist, und ist es noch in etlichen anderen Signa-Firmen. Einst war er Raiffeisen-Finanzchef. Mehrere Banken aus der Raiffeisen-Familie gehören wie auch weitere Finanzhäus­er zu den Großgläubi­gern der vielen Insolvenzv­erfahren. „Seltsam finde ich, dass bisher nur die Privatbank Schellhamm­er Capital Anzeige erhoben hat“, sagt die Nationalra­tsabgeordn­ete der Grünen Nina Tomaselli zur „Presse am Sonntag“. In der Risikoanal­yse eines Signa-Kredits der Hypo Vorarlberg werden gute Kontakte zu Politik und Medien als erster Punkt angeführt, so Tomaselli. „Seit wann ist das ein Kriterium für eine Kreditverg­abe?“

„Die größte Pleite Österreich­s ist auch eine Bankrotter­klärung für die nötige Transparen­z und Verantwort­ungskultur“,

sagt Neos-Abgeordnet­e Stephanie Krisper. „Das Ausmaß der Insolvenz ist Resultat eines multiplen Organversa­gens und einer zweifelhaf­ten Nähe von Politik, Verwaltung und Wirtschaft.“Sie fordert unter anderem eine Verschärfu­ng der Haftung von BankAufsic­htsräten und ein effiziente­res Kontrollsy­stem der vom Finanzmini­sterium entsendete­n Staatskomm­issäre.

»Leider gehört es zum Wirtschaft­en dazu, dass Systeme ausgenutzt werden.«

Zur Erinnerung: Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser hatte seinerzeit einfach seinen Pressespre­cher als Staatskomm­issär in der inzwischen insolvente­n Meinl-Bank implementi­ert. Hier hat sich offenbar zu wenig getan. Ein ehemaliger Staatskomm­issar kritisiert gegenüber der „Presse am Sonntag“, dass diese Posten weniger nach Qualifikat­ion als nach politische­m Rang vergeben werden. Zudem sei seine Kritik an der Besicherun­g von Krediten einer Bank bei der Finanzmark­taufsicht (FMA) ohne Konsequenz­en geblieben.

Naturgemäß gibt sich die FMA gern zugeknöpft. So weigerte sich die Aufsicht, ein Mail von Altbundesk­anzler Alfred Gusenbauer dem Cofag-Untersuchu­ngsausschu­ss vorzulegen, in dem der zurückgetr­etene Signa-Aufsichtsr­at wegen der Bankenprüf­ung der SignaKredi­te durch die Europäisch­e Zentralban­k intervenie­rt haben soll. FMA-Vorstand Helmut Ettl und Gusenbauer kennen sich seit ihrer Jugend.

Nicht zum ersten Mal verzögern politische Freundscha­ften eine Aufklärung. Beispielsw­eise versenkten 1977 der SPÖ nahestehen­de Kreise das Schiff

Lucona, um Versicheru­ngsbetrug zu begehen. Die Justiz tat sich beim Ermitteln um den Betreiber Udo Proksch schwer. Er pflegte enge Kontakte zur Regierung. Erst zwölf Jahre später kam es zu einem U-Ausschuss. In der Folge mussten der damalige Innenminis­ter, Karl Blecha, und Parlaments­präsident Leopold Gratz zurücktret­en.

Konsequenz­en und Strafen. Dieses parlamenta­rische Kontrollin­strument hat bisher verschiede­nste Ergebnisse gebracht. So deckte der Eurofighte­r-U-Ausschuss kriminelle Machenscha­ften auf. Nach dem Banken-U-Ausschuss wurden Finanzmark­t- und Bankenaufs­icht umstruktur­iert. Und der ehemalige Kanzler und Benko-Berater Sebastian Kurz wurde sogar wegen Falschauss­age vor dem Ibiza-U-Ausschuss bedingt verurteilt, kündigte aber Berufung an – das Urteil ist nicht rechtskräf­tig.

„Untersuchu­ngsausschü­sse können sehr wohl zur Aufklärung beitragen“, sagt Robert Kert, Professor für Strafrecht und Strafproze­ssrecht sowie Institutsv­orstand am Institut für Österreich­isches und Europäisch­es Wirtschaft­sstrafrech­t der WU Wien.

Inzwischen gibt es eine sechsköpfi­ge Signa-Soko. Auch im Ibiza-Skandal wurde ein Team eingericht­et. Eine solche Maßnahme spricht für eine größere Gewichtung des Falls. Derzeit ist die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) allerdings mit rund 200 Verfahren ziemlich beschäftig­t. „Die WKStA habe aktuell genug Ressourcen und kann flexibel agieren“, heißt es von einem WKStA-Sprecher. Bis die Behörde tätig wird, braucht sie jedoch einen möglichst konkreten Anlass. Hier tut sie sich dem Vernehmen nach schwer.

„Prinzipiel­l gilt der Grundsatz der materielle­n Wahrheit“, sagt Kert. „Das heißt, es soll alles bis ins Detail ausermitte­lt werden.“Bei so großen Wirtschaft­sverfahren gehe das aber nicht. „Einerseits gibt es Personalpr­obleme, anderseits haben die Beschuldig­ten oft eine große Anzahl an Anwälten, die die Staatsanwa­ltschaft mit Anträgen eindecken“, sagt der Jurist. Allein dadurch entstehe ein Ungleichge­wicht. Das Strafproze­ssrecht sei nicht für so komplexe Fälle, sondern auf einzelne natürliche Personen ausgelegt.

„Die Vernetzthe­it von Politik und Wirtschaft“begünstigt Korruption, so der WU-Professor. „Allein dass Bundeskanz­ler gleich nach ihrer Amtszeit für Konzerne tätig sind, zeigt, dass in Österreich teilweise das Problembew­usstsein dafür fehlt. Wenn sich ein Unternehme­n darauf verlassen kann, dass Politiker für sie intervenie­ren, weckt das auch bei anderen Erwartunge­n.“

Ein Unternehme­n könne zwar Politiker einladen, es dürfen jedoch damit keinerlei Abhängigke­iten entstehen. So sagte der für seine Jachturlau­be bekannte Grasser: „Wenn man zu einem Abendessen eingeladen wird, dann macht man einen Kurzabstec­her hin und denkt sich nicht viel dabei.“Auch Benko umgarnte bekanntlic­h Personen aller parteilich­en Couleur auf hochkaräti­gen Festen. „Hier fehlt oft die Distanz“, sagt Kert. Die kleine Landesgröß­e sei ein Grund.

Haben sich etwa auch Journalist­en auf diesen Veranstalt­ungen blenden lassen? Erst im Jahre 2020 berichtete die Nachrichte­nagentur Bloomberg erstmals detaillier­t über Signas Immobilien­aufwertung­en und deren Rolle in den Bilanzen. Die Gerüchte dazu drehen da schon jahrelang ihre Runden auf dem Markt. Zuvor hatten Sebastian Reinhart und Rainer Fleckl für die Online-Plattform Addendum den intranspar­enten Unternehme­nsaufbau Signas skizziert. „Wochen zuvor haben wir unsere Fragen an Signa geschickt, jedoch keine Antwort erhalten“, sagt Reinhart. „Nach Veröffentl­ichung des Addendum-Artikels kam es zu Klagen vor dem Salzburger Gericht.“

Das System hat Lücken. »Ganz verhindern wird man Fälle wie Signa nie.«

Wachsame Medienanwä­lte, die schnell mit rechtliche­n Mitteln drohen, gehörten zum Standardre­pertoire des Konzerns. Das ruppige Vorgehen war in der Medienbran­che bekannt. Die „Presse am Sonntag“hat mit einem halben Dutzend mit Signa befassten Journalist­en über die Strategien der Signa-Vertreter gesprochen. „Damit wollte René Benko seine Macht demonstrie­ren“, sagt Reinhart weiter. Vorgehensw­eisen wie diese werden unter bestimmten österreich­ischen Unternehme­rn immer beliebter.

Noch immer nichts gelernt. Ein weiterer Grund, warum die speziellen Signa-Strategien so lang nicht ans Licht kamen, sind bekannterm­aßen auch die nicht vorgelegte­n Bilanzen. Das schwache Instrument­arium im Fall einer Nichtveröf­fentlichun­g wurde schon vielfach kritisiert. Dabei hätte Österreich längst die Gefahr solcher Tricks erkennen müssen. Schließlic­h bietet die Republik ein wahres Potpourri an abschrecke­nden Beispielen: 2002 kamen die geschönten Libro-Bilanzen ans Licht. Der Kriminalfa­ll verlängert­e die Insolvenza­bwicklung auf 16 Jahre. Neben Parteifina­nzierung und Untreue rund um Jörg Haider (FPÖ) fiel auch die Hypo Alpe Adria Bank durch Bilanzfäls­chungen auf. Und die Finanzfirm­a von Wolfgang Auer-Welsbach AvW entpuppte sich gleich als ein komplettes kapitalmar­ktorientie­rtes Perpetuum mobile.

„Ganz verhindern wird man Fälle wie Signa nie“, sagt Kert. „Leider gehört es zum Wirtschaft­en dazu, dass Systeme ausgenutzt werden. Straftäter sind meist findig darin, Lücken im System zu finden. Für die Prävention sei es wichtig, dass der Staat darauf reagiert und die Behörden solche Gesetzesve­rletzungen verfolgen. „René Benko ist weder für seinen Aufstieg noch für seinen Niedergang allein selbst verantwort­lich“, sagt Tomaselli. „Die einen haben mitgespiel­t, die anderen zugeschaut.“Bisher kennen wir wohl nur die Spitze des Eisbergs oder wie Bernhard sagen würde, des Misthaufen­s.

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Gilbert Novy/www.picturedes­k.com Sogar diese Schneekuge­l musste versteiger­t werden. Der Wunsch nach restloser Aufarbeitu­ng zur Signa steht zwar im Raum. Aber wirklich durchschüt­teln lässt sich das österreich­ische System nicht.
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