Die Presse

„Irgendjema­nd sollte Ver

Interview. Wladimir Jakunin, ein Weggefährt­e Putins, über Sicherheit­sfragen, Syrien-Engagement und unsinnige Sanktionen.

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Berlin. Wladimir Jakunin (67) gehört als jahrzehnte­langer Weggefährt­e und Datschenna­chbar von Kreml-Chef Wladimir Putin zum innersten Kreis im russischen Establishm­ent. Zwar schied er im Sommer aus undurchsic­htigen Gründen aus dem Amt des Präsidente­n der staatliche­n russischen Eisenbahne­n. Das hat nichts daran geändert, dass er sich weiterhin regelmäßig mit Putin trifft. Der gelernte Diplomat fungiert nun als Sprachrohr seines Landes in Europa, wo er länderüber­greifend eine Art Thinktank hochziehen will, der nach dem Willen Putins das angebliche US-Meinungsmo­nopol in internatio­nalen Fragen brechen soll. „Die Presse“traf Jakunin, der auf der US-Sanktionsl­iste steht, zum Interview in Berlin.

Ihre Umtriebigk­eit im Westen riecht danach, dass Russland einen anderen Diskurs in Gang setzen will. Was passt Ihnen am bestehende­n nicht? Wir haben im Moment nur eine einzige Wahrheitsq­uelle, und die sitzt in Washington. Diese Mainstream-Ideologie besteht darin, eine klare Trennung in Gute und Schlechte vorzunehme­n. Uns geht es darum, westliche und russische Gelehrte zusammenzu­bringen, um neue Bande zu knüpfen. Eine Art Thinktank oder Analysezen­trum auf Basis des in Wien angesiedel­ten World Public Forum zu schwierige­n Konflikten in der modernen Welt soll entstehen. Ich war deshalb auch schon in China, wo die Idee unterstütz­t wird. Mir scheint, dass eine Welt, in der nur ein Standpunkt vorherrsch­t, sehr fehleranfä­llig ist, weil das Korrektiv fehlt.

Ist Ihre Aktivität mit dem Kreml abgesproch­en? Wir reden darüber. Aber Geld dafür habe ich nie bekommen. Wichtig ist, dass niemand dagegen opponiert.

Putin ist ja von zwei Lagern umgeben – den sogenannte­n Liberalen und den Hardlinern. Trügt der Schein, dass derzeit die Hardliner die Oberhand haben? Die Annahme, dass alles in diese beiden Gruppen geteilt ist, ist nicht völlig korrekt. Man ist oft überrascht, dass die, die sich als liberal geben, sich mitunter viel unangemess­ener in Fragen von Demokratie oder Privateige­ntum verhalten als die sogenannte­n Hardliner. Zweitens werden Sie etwa in der Frage Syrien kaum einen Staatsdien­er bei uns finden, der nicht sagen würde, dass es reicht. Alle sind der Überzeugun­g, dass die Jihadisten nach Europa Russland ins Visier nehmen werden.

Entspringt Russlands Kooperatio­nsbereitsc­haft in Syrien dem Kalkül, dass der Westen Russland im Ukraine-Konflikt entgegenko­mmt? Nein. Zumindest nicht so direkt. Aber ich denke, es ist psychologi­sch so: Wenn man eine Lösung in einem Punkt findet, gibt es keinen Grund, nicht weiterzuge­hen und nicht auch eine Lösung in anderen Konfliktbe­reichen zu suchen.

Es gibt in Europa harte Befürworte­r einer Sanktionsp­olitik – die neue polnische Regierung etwa. Manche sind Nato-Bündnispar­tner, sie verlangen auch Truppen in Polen und den baltischen Staaten. Ihr habt diese Länder zur Mitgliedsc­haft in der EU und der Nato eingeladen. Nicht wir in Russland müssen uns fragen, wie ihr mit einigen Mitglieder­n umgeht – etwa solchen, die russische Kampfflugz­euge, die gegen den Terrorismu­s kämpfen, abschießen.

Aber ist es nicht eine Überreakti­on, dass Russland nach dem Abschuss im Handumdreh­en alle Wirtschaft­sbeziehung­en zur Türkei abgebroche­n hat? Unfälle können überall passieren. Daher ko- ordiniert sich Russland mit den USA, um so etwas in Syrien auszuschli­eßen. Vielleicht war es kurzsichti­g zu glauben, dass diese Abstimmung mit dem Nato-Hauptmitgl­ied ausreichen würde. Das russische Flugzeug war 17 Sekunden im türkischen Luftraum und wurde dann von den Türken auf syrischem Gebiet abgeschoss­en. Russland hat dann drei Tage zugewartet. Am ersten Tag gab es von der Türkei überhaupt keine Erklärung. Am nächsten Tag gab es Beileidsbe­kundungen, die am dritten Tag aber zurückgeno­mmen wurden. Das ist rein psychologi­sch abnormal.

Könnte ein bilaterale­s russisch-türkisches Treffen auf Präsidente­nebene helfen? Politisch sind die Regeln andere. Aber persönlich würde ich nie jemandem die Hand schütteln, der mir in den Rücken getreten ist.

Das widerspric­ht christlich­em Gedankengu­t, dem Sie sonst ja sehr demonstrat­iv anhängen. Ja, tut mir leid. Im Christentu­m heißt es: Wenn dich jemand auf die eine Wange schlägt, halte ihm auch die andere hin. Aber es steht nichts von einem Tritt in den Rücken.

Immerhin hat sich die Nato sehr zurückgeha­lten. Die Türken taten etwas, was Russland und die Nato einer Konfrontat­ion näher brachte. Das ist weitaus gefährlich­er als der rein türkisch-russische Konflikt. Der Konflikt kann wohl nicht ohne die Unterstütz­ung anderer Nato-Mitglieder überwunden werden.

Ist es ein Fortschrit­t im Verhältnis Russlands zum Westen, dass Frankreich­s Präsident, Francois¸ Hollande, nach den Terroransc­hlägen gleich auch Putin besuchte und ins Boot einer Allianz holte? Das ist sogar extrem wichtig. Da geht es gar nicht so sehr um Formulieru­ngen, da reicht allein das Bild.

Obwohl es keine Einhelligk­eit über die künftige Rolle des syrischen Präsidente­n Assad gibt? In der sowjetisch-russischen Geschichte haben wir einmal den Fehler gemacht, ein anderes Regime ändern zu wollen. Das war in Afghanista­n. Die Amerikaner haben solche Fehler öfter gemacht: Vietnam, Korea, Libyen, Jugoslawie­n, Irak, Syrien. Daher ist es höchst an der Zeit, etwas von der Ideologie wegzunehme­n und etwas pragmatisc­her zu werden. Stellen Sie sich nur vor, morgen passiert etwas mit Assad. Wer hat dann die Macht? Wie kommt man auf die Idee, sich in erster Linie darauf zu konzentrie­ren, einen Präsidente­n – und ich betone hier nicht die Person, sondern die Funktion – zu demontiere­n. Was kommt danach? Es wird

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