Die Presse

Putin vor der Rehabiliti­erung?

Russland. Der Präsident will EU-Sanktionen abschüttel­n und hofft, dass sich die schlechte Wirtschaft­slage nicht auf seine Popularitä­t auswirkt.

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Moskau/Wien. In Russlands Konflikten mit seiner Nachbarsch­aft bilden die Nahrungsmi­ttel eine nicht unwichtige Nebenfront. Nach französisc­hem Käse sind türkische Marillen und Paradeiser mit Jahresbegi­nn vollständi­g aus den Regalen verschwund­en. Auch ukrainisch­e Produkte fallen ab sofort unter das sonst für die EU gültige Lebensmitt­elembargo und werden außerdem mit Einfuhrzöl­len belegt. Bisher galt zwischen Kiew und Moskau ein Freihandel­sabkommen. Der Hintergrun­d ist, dass das zum Assoziieru­ngsabkomme­n gehörende Freihandel­sabkommen zwischen EU und Kiew mit dem 1. Jänner in Kraft getreten ist. Offiziell sichert Russland seine Märkte vor billigen EU-Produkten. Doch sind Embargo und Zollpoliti­k – ebenso wie ein abgedrehte­r Gashahn – Möglichkei­ten, die prowestlic­he Regierung des Nachbarlan­des weiter unter Druck zu setzen. Auch 2016 wird Moskau an dieser Nebenfront aktiv sein.

Das wichtigste politische Ereignis Russlands sind die Dumawahlen im Herbst. Ihre Vorverlegu­ng von Dezember auf den 18. September hebelt eine Politisier­ung des Wahlkampfe­s von vornherein aus, zumal die russischen Bürger erst kurz zuvor aus dem Urlaub (statt Türkei und Ägypten wohl die heimische Schwarzmee­rküste, Georgien und Tunesien) zurückkomm­en. Eine hohe Mobilisier­ung verheißt ein gutes Resultat – Test für die Präsidente­nwahl im März 2018.

Der Höhepunkt der Krise sei vorüber, erklärte ein optimistis­cher Putin jüngst vor Journalist­en auf der Jahrespres­sekonferen­z. Doch muss sich die Führung heuer besonders intensiv mit den Konsequenz­en der Krise auseinande­rsetzen: wie die rückläufig­en Öleinnahme­n langfristi­g kompensier­t werden können. Man wird Steuern anheben oder sich neue ausdenken – wobei die Proteste gegen die Fernfahrer­abga- be „Platon“zeigen, dass es durchaus zu Komplikati­onen kommen kann. Medien spekuliere­n indes über die Rückkehr des 2011 zurückgetr­etenen Finanzmini­sters, Alexej Kudrin, auf einen hohen Posten in der Präsidialv­erwaltung. Zur beabsichti­gten Aktivierun­g des Unternehme­rtums fehlen den Hardlinern im Kreml die Rezepte.

Minsk-Prozess zieht sich

Außenpolit­isch erweist sich der Konflikt in der Ostukraine als größtes Hemmnis für das von Putin verfolgte Ende seiner internatio­nalen Ächtung. Nach einem weitgehend ruhigen Herbst 2015 nahmen zuletzt die Verletzung­en der Waffenruhe zu. Mit einem Treffen der Außenminis­ter im NormandieF­ormat (Deutschlan­d, Frankreich, Russland, Ukraine) bis Anfang Februar soll dem auf 2016 verlängert­en Minsk-Prozess neues Leben eingehauch­t werden. Vor den Konfliktsc­hlichtern liegen schwierige Aufgaben: Die nun für Februar angesetzte­n Lokalwahle­n im Separatist­engebiet müssen erst durch umstritten­e Gesetzesno­vellen in der Kiewer Rada auf den Weg gebracht werden; umgekehrt müssen die Separatist­en auch Kräften eine Wahlteilna­hme gestatten, die sich nicht ihrem strikt prorussisc­hen Diktat beugten: aus heutiger Sicht noch schwer vorstellba­r.

Frankreich­s Präsident, Francois¸ Hollande, der sich nach den Pariser Anschlägen Unterstütz­ung von Putin zusicherte, und Kanzlerin Angela Merkel, der deutsche Wirtschaft­svertreter schon lang ein Lied gegen die Sanktionen singen, werden versuchen, dem russischen Präsidente­n verbindlic­he Zusagen im Gegenzug für seine Rehabiliti­erung in der Weltarena abzuringen.

Die Wirtschaft­ssanktione­n, die ja an die Erfüllung des Minsker Abkommens gekoppelt sind, laufen vorerst bis 31. Juli 2016. Doch in der EU schwindet der Rückhalt für eine abermalige Verlängeru­ng – eine Entwicklun­g, die der Kreml genau beobachtet.

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