Fluchen, hupen, quatschen und kuppeln
100 Jahre gelbe Taxis in New York: Was man als Big-Apple-Besucher binnen drei Tagen so erlebt in den schaukelnden Kultkisten – von Schimpftiraden über Lebensgeschichten bis hin zu Heiratsanträgen.
Broadway, Ecke 23. Straße beim Flat Iron Building: Der Verkehr schiebt sich stockend vorbei am berühmten Hochhaus mit der markanten Bügeleisenform. Kleinwagen, Trucks, Straßenkreuzer – ein endloser Strom aus Blech und Gummi, brummend, hupend, von aufheulenden Polizeisirenen übertönt. Da hinten, endlich, ein gelber Punkt. Schnell die Hand hoch, Touristenfinger fuchteln durch die Luft. Wenige Meter weiter vorn: Noch ein Arm oben, mit zwei Fingern wie abgeknickte Antennen. Ein New Yorker, der mit dieser aufreizend lässigen Geste den gelben Punkt ergattert, das Taxi. Gut, dass gleich ein weiteres um die Ecke biegt und hält. Tür auf und einsinken in die abgewetzte Kunstleder-Rückbank. Im Taxi gibt’s gratis ein stöhnendes Ächzgeräusch der Stoßdämpfer dazu. So beginnt für viele BigApple-Besucher die Fahrt in einer der Kultkisten namens „Yellow Taxi“, im Volksmund „Cab“.
Da sitzt man nun hinter der schusssicheren BankschalterScheibe, die die Rückbank vom Fahrer trennt. Sagt das Reiseziel, „Chrysler-Building, please“, durch den Sprechspalt und ist gespannt, ob der Cabbie, der Taxifahrer, es versteht, ob’s ein eingewanderter Pakistani, ein Exil-Kasache oder Filipino ist, der in kaum verständlichem Englisch antwortet, wahlweise mit der von rollenden Rs geprägten russischen Variante oder asiatischem Fistel-Falsett.
Zwölf Stunden on the road
„Ah, Chrysler“, raunt dieser Cabbie freundlich, um postwendend in den Pöbelmodus umzuschalten: „Bloody bastard, knock you off the street“, brüllt er, stakkatohaft hupend. Von der Straße schubsen will er den Laster, der ihm am Empire State Building die Vorfahrt nimmt, die Sicht versperrt und das Taxi mit Dieselschwaden vollpumpt. Doch sogleich ist der schnurrbärtige Chauffeur wieder gut gelaunt, er macht diesen Job offenbar gern – zwölf Stunden am Tag: Entweder von fünf Uhr morgens bis 17 Uhr fährt Akturk Ertugnur oder, so wie heute, die um 17 Uhr beginnende Nachtschicht, erzählt der 58-jährige türkischstämmige Fahrer mit lustig funkelnden Augen. Seit mehr als 25 Jahren hinterm Steuer, etwa 100.000 Kilometer schafft er pro Jahr – trotz Dauerstaus in den Straßenschluchten und der immer wieder querenden und zum Halten zwingenden Ameisenstraßen der Fußgänger, so wie jetzt auf der Fifth Avenue, Ecke 42. Straße.
Wohl in keiner anderen Weltstadt prägen Taxis das Stadtbild so prominent wie in New York, vor allem durch ihre Einheitsfarbe. Sie ist Standard seit genau 100 Jahren, eingeführt von John Hertz. Er grün- dete am 1. Dezember 1915 die Firma Yellow Cab und ließ seine Taxis sämtlich in Post-Gelb lackieren. Warum, ist unklar. Mit diesem Konzept wurde Hertz, lange bevor er seine Autovermietung gründete, schnell zum Taxi-Marktführer in Manhattan, ließ die vor 1915 schon zugelassenen, meist grün und rot gepunkteten Taxis bedeutungslos werden. Etwa 13.000 Yellow Cabs kurven heute durch die Häuserschluchten, längst haben viele Taxifirmen die Farbe übernommen. Als offizielle „Cabs“zu erkennen sind sie alle am „Medaillon“, einer auf die Motorhaube genieteten oder geschweißten bierdeckelförmigen Plakette, vergeben von New Yorks Taxi Commission. Lizenzen, die meist vererbt werden. Kommt eine in die Versteigerung, bringt sie bis zu 300.000 Dollar.
Alle paar Jahre versucht’s ein Cabbie ohne Lizenz, so wie Ray Kottner. Er sagte sich 2006 nach über 50 Jahren von Taxikommission und Taxiunternehmern los, fuhr Gäste umsonst und bat um eine Spende, mindestens 20 Dollar. Anders als der vergnügte Akturk zählte Ray zur Spezies der von New Yorkern so getauften Crabby Cabbies, der mürrischen Fahrer, vor allem wegen seiner markigen Sprüche: „Taxifahren in New York ist wie eine schlechte Ehe: Entweder du steigst rechtzeitig aus oder du hältst die Klappe!“Aussteigen musste Kottner 2007 selbst – gezwungenermaßen: Die strenge Kommission ließ sein „Taxi for free“beschlagnahmen und die Gratistouren zeitweilig verbieten. Doch der über Achtzigjährige gab nicht auf, blieb der bunte Vogel unter New Yorks Cabbies. Mit riesigen Reklame-Dachreitern auf seinem Taxi wollte er den New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg dazu bewegen, US-Präsidentschaftskandidat zu werden. Als dieser ablehnte, plakatierte Kottner um: „Bloomberg macht’s nicht, also wählt Taxi-Ray!“schrieb er auf sein in die Jahre gekommenes Taxi der Marke Checker.