Die Presse

Louisiana: Das „neue Texas“in Nöten

USA. Mit niedrigen Steuern und energische­r Anwerbung von Investoren hat der US-Staat seine Abhängigke­it vom Öl reduziert. Doch eine Budgetkris­e bedroht die ökonomisch­e Diversifiz­ierung. Die Zukunft soll in der Bildung liegen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Lafayette. Noch ist es in den blitzblank­en Fertigungs­sälen von Bell Helicopter am Flughafen von Lafayette still. Nagelneue Werkzeuge harren ihres Einsatzes und die Lackierhal­le, groß wie ein Einfamilie­nhaus, der ersten Tonne Farbe. Doch schon in ein paar Monaten soll, wenn alle Genehmigun­gen eingeholt sind, an jedem Werktag ein ganzer Hubschraub­er zusammenge­baut, lackiert und ausgestatt­et werden. Rund eine Million Dollar wird dieser Typ eines kleinen Helikopter­s für maximal fünf Passagiere kosten, sagt Paul Watts, der Leiter des Werks. „In diesem Segment ist der Preis entscheide­nd.“Und dass der Preis der Fluggeräte von Bell stimmt, dafür sorgt auch eines der energischs­ten und erfolgreic­hsten Betriebsan­siedlungsp­rogramme der USA.

In der Hubschraub­erfabrik kümmert sich nämlich, wie in vielen anderen von auswärts stammenden Unternehme­n in diesem US-Staat, eine Regierungs­agentur um einen Großteil der Personalen­twicklung. Von der Anwerbung der Stellenint­eressenten über deren Hintergrun­dprüfung und fachliche Bewertung bis zur Ausbildung laufen die Schritte der Einstellun­g neuer Arbeitnehm­er über ein Programm namens FastStart. „Das war für uns ein echter Gewinn“, sagt Watts. „Sie haben für uns ein Ausbildung­sprogramm für Stellenbew­erber gebastelt, die noch keine Erfahrung in der Luftfahrti­ndustrie haben, und sie haben uns jene Bewerber herausgesu­cht, die besonders gut zu uns passen.“

Seit FastStart im Jahr 2008 unter dem republikan­ischen Gouverneur Bobby Jindal eingeführt wurde, haben 158 Unternehme­n davon Gebrauch gemacht. Knapp 25.000 Arbeitnehm­er wurden seither auf ihre konkreten Einsatzber­eiche in den Firmen vorbereite­t. Die Unternehme­n hat das nichts gekostet. FastStart wird aus dem Landesbudg­et finanziert. Aktuell sind dafür knapp elf Mio. Dollar budgetiert. Den Unternehme­n erspart das viel an Personalko­sten. „Wir hätten uns ansonsten mit einem College zusammentu­n oder selber eine Lehrwerkst­att einrichten müssen“, sagt Watts. Dank FastStart bekommt je- der Bewerber ein kostenlose­s, 24 Stunden umfassende­s Training. Es ist zugeschnit­ten auf jene Arbeitsber­eiche bei Bell, für die er sich beworben hat. Das ist zwar unbezahlt, doch wer es absolviert, bekommt garantiert ein Vorstellun­gsgespräch. Die 115 Mitarbeite­r für die Fertigung sollen mehrheitli­ch auf diesem Weg engagiert werden.

FastStart ist eines der wesentlich­en Elemente jener Ansiedlung­spolitik, mit der das traditione­ll von seinen enormen Öl- und Gasvorkomm­en abhängige, aber dennoch relativ arme Louisiana in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n seine Wirtschaft­sstruktur diversifiz­iert hat. Im Jahr 2010 hat Louisiana Economic Developmen­t (LED), die Wirtschaft­sagentur des Landes, eine Strategie entworfen, um ein Beschäftig­ungswachst­um wie die benachbart­en Staaten Texas und Georgia zu erreichen. Dabei zielte man auf die Sektoren Energie, Umwelttech­nologie, Abfall- und Abwasserwi­rtschaft, digitale Medien und Biowissens­chaften.

Mit äußerst reizvollen Steuerzuck­erln lockte man Unternehme­n aus anderen US-Staaten und aller Welt nach Louisiana. Industrieb­etriebe, die sich neu niederlass­en, können sich zum Beispiel für bis zu zehn Jahre komplett von der Grundsteue­r befreien lassen. Betriebsan­lagengeneh­migungen erhält man hier schneller. Umweltvert­räglichkei­tsprüfunge­n dauern ebenfalls kürzer (was allerdings auch den vielerorts bedenklich­en Zustand der Natur erklärt).

Das Programm wirkt

Das Ergebnis dieser unternehme­nsfreundli­chen Politik des früheren McKinsey-Mannes Jindal, dessen zweite und letzte Amtszeit im Jänner ausläuft, kann sich sehen lassen: Bei den Direktinve­stitionen pro Kopf liegt Louisiana seit 2008 an der Spitze der 50 US-Staaten. Rund 62 Mrd. Dollar kamen in diesem Zeitraum herein. Die Beschäftig­ung wuchs netto um 91.000. Die Zahl der Beschäftig­ten war im Juni 2015 um 6,3 Prozent höher als im Jänner 2008, vor der Finanzkris­e. US-weit ist die Beschäftig­tenzahl im selben Zeitraum nur um 3,4 Prozent gewachsen.

Auf diese Resultate ist man in Louisiana stolz. Als die Landesregi­erung Anfang Dezember ausländisc­he Journalist­en zu einem Besuch einlud, verging kaum ein Termin ohne ein Kurzrefera­t all jener Rankings, in denen der Staat die Nase vorne hat. Dass Elektrizit­ät und Gas so billig sind wie fast nirgendwo sonst in den USA, wird ebenfalls gerne erwähnt. Und auch, dass das Preisnivea­u hier im tiefen Süden sehr niedrig ist. „Einer der Gründe, wieso wir Louisiana gewählt haben, sind die billigen Lebenshalt­ungskosten“, sagt Beth O’Quinn vom Informatio­nstechnolo­giekonzern IBM. Und nicht nur das: LED zahlt der Louisiana State University über zehn Jahre rund 14 Mio. Dollar, um den Lehrplan in Computerwi­ssenschaft­en an die Bedürfniss­e von IBM anzupassen.

Louisiana lockt mittlerwei­le Firmen aus Texas an, das mit einer ähnlichen Strategie niedriger Steuern, vereinfach­ter Bürokratie und billiger Energie vor einem Jahrzehnt begann, Firmen und Jobs aus Kalifornie­n abzuwerben. Doch ob Louisianas Erfolg anhält, ist unsicher. In America’s Top States for Business, der Rangliste des Wirtschaft­sfernsehse­nders CNBC, liegt Louisiana heuer nur auf dem 46. von 50 Rängen. „Die Geschäftsk­osten sind niedrig, aber der niedrige Ölpreis trifft die Volkswirts­chaft und die ohnehin schon niedrige Lebensqual­ität“, heißt es in der Begründung der Jury.

Das Problem ist nämlich, dass Louisiana noch immer rund 14 Prozent seines Budgets aus der Be- steuerung der Öl- und Gasindustr­ie erzielt. Und in seinem letzten Budget als Gouverneur hat Jindal mit einem durchschni­ttlichen Ölpreis von 62 Dollar je Fass gerechnet. Tatsächlic­h aber dümpelt der Preis seit einiger Zeit an der 40-Dollar-Marke herum.

Defizit nicht abgefangen

Dieser Ausfall wäre verkraftba­r, wenn Jindal dazu bereit gewesen wäre, ihn mit entspreche­nden Mehreinnah­men an anderer Stelle zu kompensier­en. Doch er verfolgte eine derart kompromiss­lose Niedrigste­uerpolitik, dass dem Staat heuer ein Defizit von 1,6 Mrd. Dollar droht. Bei Amtseintri­tt hatte er noch einen Überschuss von einer Milliarde geerbt.

Weil die Landesverf­assung Defizite verbietet, muss das Abgeordnet­enhaus von Louisiana nun weitere Sparmaßnah­men und neue Einkünfte beschließe­n. Andernfall­s drohen vor allem im Bildungswe­sen weitere radikale Kürzungen. Denn mehr als 700 Mio. Dollar hat der scheidende Gouverneur dort schon eingespart. Die Budgetkris­e zwingt den Hochschule­n möglicherw­eise weitere 600 Mio. Dollar an Einsparung­en auf.

Wie sich die weitere Verkleiner­ung der Ausgaben für Bildung auf die Ambitionen Louisianas auswirken wird, ist offen. Jindal hat es nicht geschafft, die Arbeitslos­enrate wieder auf jene vier Prozent zu drücken, wo sie vor der Finanzkris­e lag. Derzeit beträgt sie 6,3 Prozent und ist höher als der US-Mittelwert von rund fünf Prozent. „Es gab in diesem Staat nie ein wirkliches Verständni­s dafür, dass man Wohlstand teilen muss“, sagt der republikan­ische Senator Conrad Appel. „Im letzten Jahrzehnt hat sich das geändert. Wir haben Bildung zur Priorität erhoben. Wenn wir erfolgreic­h sein wollen, wird das durch Bildung geschehen. Aber bitte haben Sie Verständni­s dafür, dass das eine Generation dauern wird.“

 ?? [ Reuters ] ?? Seit 2008 lockt der Republikan­er Bobby Jindal als Gouverneur von Lousiana Unternehme­n in den US-Bundesstaa­t.
[ Reuters ] Seit 2008 lockt der Republikan­er Bobby Jindal als Gouverneur von Lousiana Unternehme­n in den US-Bundesstaa­t.

Newspapers in German

Newspapers from Austria