Louisiana: Das „neue Texas“in Nöten
USA. Mit niedrigen Steuern und energischer Anwerbung von Investoren hat der US-Staat seine Abhängigkeit vom Öl reduziert. Doch eine Budgetkrise bedroht die ökonomische Diversifizierung. Die Zukunft soll in der Bildung liegen.
Lafayette. Noch ist es in den blitzblanken Fertigungssälen von Bell Helicopter am Flughafen von Lafayette still. Nagelneue Werkzeuge harren ihres Einsatzes und die Lackierhalle, groß wie ein Einfamilienhaus, der ersten Tonne Farbe. Doch schon in ein paar Monaten soll, wenn alle Genehmigungen eingeholt sind, an jedem Werktag ein ganzer Hubschrauber zusammengebaut, lackiert und ausgestattet werden. Rund eine Million Dollar wird dieser Typ eines kleinen Helikopters für maximal fünf Passagiere kosten, sagt Paul Watts, der Leiter des Werks. „In diesem Segment ist der Preis entscheidend.“Und dass der Preis der Fluggeräte von Bell stimmt, dafür sorgt auch eines der energischsten und erfolgreichsten Betriebsansiedlungsprogramme der USA.
In der Hubschrauberfabrik kümmert sich nämlich, wie in vielen anderen von auswärts stammenden Unternehmen in diesem US-Staat, eine Regierungsagentur um einen Großteil der Personalentwicklung. Von der Anwerbung der Stelleninteressenten über deren Hintergrundprüfung und fachliche Bewertung bis zur Ausbildung laufen die Schritte der Einstellung neuer Arbeitnehmer über ein Programm namens FastStart. „Das war für uns ein echter Gewinn“, sagt Watts. „Sie haben für uns ein Ausbildungsprogramm für Stellenbewerber gebastelt, die noch keine Erfahrung in der Luftfahrtindustrie haben, und sie haben uns jene Bewerber herausgesucht, die besonders gut zu uns passen.“
Seit FastStart im Jahr 2008 unter dem republikanischen Gouverneur Bobby Jindal eingeführt wurde, haben 158 Unternehmen davon Gebrauch gemacht. Knapp 25.000 Arbeitnehmer wurden seither auf ihre konkreten Einsatzbereiche in den Firmen vorbereitet. Die Unternehmen hat das nichts gekostet. FastStart wird aus dem Landesbudget finanziert. Aktuell sind dafür knapp elf Mio. Dollar budgetiert. Den Unternehmen erspart das viel an Personalkosten. „Wir hätten uns ansonsten mit einem College zusammentun oder selber eine Lehrwerkstatt einrichten müssen“, sagt Watts. Dank FastStart bekommt je- der Bewerber ein kostenloses, 24 Stunden umfassendes Training. Es ist zugeschnitten auf jene Arbeitsbereiche bei Bell, für die er sich beworben hat. Das ist zwar unbezahlt, doch wer es absolviert, bekommt garantiert ein Vorstellungsgespräch. Die 115 Mitarbeiter für die Fertigung sollen mehrheitlich auf diesem Weg engagiert werden.
FastStart ist eines der wesentlichen Elemente jener Ansiedlungspolitik, mit der das traditionell von seinen enormen Öl- und Gasvorkommen abhängige, aber dennoch relativ arme Louisiana in den vergangenen zwei Jahrzehnten seine Wirtschaftsstruktur diversifiziert hat. Im Jahr 2010 hat Louisiana Economic Development (LED), die Wirtschaftsagentur des Landes, eine Strategie entworfen, um ein Beschäftigungswachstum wie die benachbarten Staaten Texas und Georgia zu erreichen. Dabei zielte man auf die Sektoren Energie, Umwelttechnologie, Abfall- und Abwasserwirtschaft, digitale Medien und Biowissenschaften.
Mit äußerst reizvollen Steuerzuckerln lockte man Unternehmen aus anderen US-Staaten und aller Welt nach Louisiana. Industriebetriebe, die sich neu niederlassen, können sich zum Beispiel für bis zu zehn Jahre komplett von der Grundsteuer befreien lassen. Betriebsanlagengenehmigungen erhält man hier schneller. Umweltverträglichkeitsprüfungen dauern ebenfalls kürzer (was allerdings auch den vielerorts bedenklichen Zustand der Natur erklärt).
Das Programm wirkt
Das Ergebnis dieser unternehmensfreundlichen Politik des früheren McKinsey-Mannes Jindal, dessen zweite und letzte Amtszeit im Jänner ausläuft, kann sich sehen lassen: Bei den Direktinvestitionen pro Kopf liegt Louisiana seit 2008 an der Spitze der 50 US-Staaten. Rund 62 Mrd. Dollar kamen in diesem Zeitraum herein. Die Beschäftigung wuchs netto um 91.000. Die Zahl der Beschäftigten war im Juni 2015 um 6,3 Prozent höher als im Jänner 2008, vor der Finanzkrise. US-weit ist die Beschäftigtenzahl im selben Zeitraum nur um 3,4 Prozent gewachsen.
Auf diese Resultate ist man in Louisiana stolz. Als die Landesregierung Anfang Dezember ausländische Journalisten zu einem Besuch einlud, verging kaum ein Termin ohne ein Kurzreferat all jener Rankings, in denen der Staat die Nase vorne hat. Dass Elektrizität und Gas so billig sind wie fast nirgendwo sonst in den USA, wird ebenfalls gerne erwähnt. Und auch, dass das Preisniveau hier im tiefen Süden sehr niedrig ist. „Einer der Gründe, wieso wir Louisiana gewählt haben, sind die billigen Lebenshaltungskosten“, sagt Beth O’Quinn vom Informationstechnologiekonzern IBM. Und nicht nur das: LED zahlt der Louisiana State University über zehn Jahre rund 14 Mio. Dollar, um den Lehrplan in Computerwissenschaften an die Bedürfnisse von IBM anzupassen.
Louisiana lockt mittlerweile Firmen aus Texas an, das mit einer ähnlichen Strategie niedriger Steuern, vereinfachter Bürokratie und billiger Energie vor einem Jahrzehnt begann, Firmen und Jobs aus Kalifornien abzuwerben. Doch ob Louisianas Erfolg anhält, ist unsicher. In America’s Top States for Business, der Rangliste des Wirtschaftsfernsehsenders CNBC, liegt Louisiana heuer nur auf dem 46. von 50 Rängen. „Die Geschäftskosten sind niedrig, aber der niedrige Ölpreis trifft die Volkswirtschaft und die ohnehin schon niedrige Lebensqualität“, heißt es in der Begründung der Jury.
Das Problem ist nämlich, dass Louisiana noch immer rund 14 Prozent seines Budgets aus der Be- steuerung der Öl- und Gasindustrie erzielt. Und in seinem letzten Budget als Gouverneur hat Jindal mit einem durchschnittlichen Ölpreis von 62 Dollar je Fass gerechnet. Tatsächlich aber dümpelt der Preis seit einiger Zeit an der 40-Dollar-Marke herum.
Defizit nicht abgefangen
Dieser Ausfall wäre verkraftbar, wenn Jindal dazu bereit gewesen wäre, ihn mit entsprechenden Mehreinnahmen an anderer Stelle zu kompensieren. Doch er verfolgte eine derart kompromisslose Niedrigsteuerpolitik, dass dem Staat heuer ein Defizit von 1,6 Mrd. Dollar droht. Bei Amtseintritt hatte er noch einen Überschuss von einer Milliarde geerbt.
Weil die Landesverfassung Defizite verbietet, muss das Abgeordnetenhaus von Louisiana nun weitere Sparmaßnahmen und neue Einkünfte beschließen. Andernfalls drohen vor allem im Bildungswesen weitere radikale Kürzungen. Denn mehr als 700 Mio. Dollar hat der scheidende Gouverneur dort schon eingespart. Die Budgetkrise zwingt den Hochschulen möglicherweise weitere 600 Mio. Dollar an Einsparungen auf.
Wie sich die weitere Verkleinerung der Ausgaben für Bildung auf die Ambitionen Louisianas auswirken wird, ist offen. Jindal hat es nicht geschafft, die Arbeitslosenrate wieder auf jene vier Prozent zu drücken, wo sie vor der Finanzkrise lag. Derzeit beträgt sie 6,3 Prozent und ist höher als der US-Mittelwert von rund fünf Prozent. „Es gab in diesem Staat nie ein wirkliches Verständnis dafür, dass man Wohlstand teilen muss“, sagt der republikanische Senator Conrad Appel. „Im letzten Jahrzehnt hat sich das geändert. Wir haben Bildung zur Priorität erhoben. Wenn wir erfolgreich sein wollen, wird das durch Bildung geschehen. Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass das eine Generation dauern wird.“