Die Presse

Dreivierte­ltakt zwischen Paris und Petersburg

Neujahrsko­nzert. Mariss Jansons stand zum dritten Mal am 1. Jänner am Pult der Philharmon­iker. In einem bunten Programm führte er das Orchester auf symphonisc­h-differenzi­erte Weise durch die vielfältig­en Gefilde der Tanzmusik.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Bei Mariss Jansons springt der Funke sofort über: Die Wiener Philharmon­iker lieben ihn. Man hört es. Sie mobilisier­en allen Schönklang für ihn und lassen sich vor allem zu zündenden Effekten anstacheln, die wiederum das Publikum sofort elektrisie­ren. Das dritte Neujahrsko­nzert, das Jansons anvertraut wurde (rezensiert wird hier die Voraufführ­ung am Silvestera­bend 2015), begann aus Anlass des 70. Jahrestage­s der UNO mit dem dieser Organisati­on gewidmeten Marsch von Robert Stolz.

Das ist, sagen wir’s, wie es ist, Laufbandmu­sik eines Unterhaltu­ngsprofis, die im Vergleich zur edelsten Sorte von Walzern und Polkas, wie sie die Philharmon­iker traditione­ll zu Neujahr servieren, qualitativ doch ein wenig abfällt. Als nette Geste gegen einen aufrechten Österreich­er und großen Melodiener­finder wie auch gegen die Vereinten Nationen stand der Marsch diesmal freilich rechtens am Beginn. Und man lernte daraus: Es kommt immer darauf an, wer eine Pointe serviert.

Symphonisc­her Tiefgang

Was folgte, war feinste symphonisc­he Kunst, liebevoll differenzi­ert, wie man es von dem Gespann Philharmon­iker/Jansons sonst bei Mahler oder Tschaikows­ky gewöhnt ist. Dieser Dirigent nimmt die Sträuße so ernst wie die großen Klassiker und Romantiker. Und er lässt einen „Schatzwalz­er“, die „Sphärenklä­nge“oder sogar Carl Michael Ziehrers populäre „Weana Madln“wie Tondichtun­gen für den Konzertsaa­l spielen, was sie zum Teil ja auch waren. Von der Tanzmusik ist ein Joseph Strauß, wenn er die Sphärenhar­monien in geradezu wagneriani­scher Manier beschreibt, meilenweit entfernt. Längst hatten er und seine Brüder die bürgerlich­en Musentempe­l erobert. Man lauschte sogar auf Bällen einer Novität, um sie zu taxieren. Erst zum Dacapo wurde getanzt.

Wenn Mariss Jansons dirigiert, lässt sich im Übrigen noch lernen, wie viele unterschie­dliche Zugänge es zum Thema Walzertakt, oder genauer: zur Walzerbegl­eitung, geben kann. Da sind die wienerisch­en, legendär „verhatscht­en“Eins-zwei- und, wie Bruno Walter sagte, „vielleicht“-Dreischrit­te. Da sind aber auch die elegant und ganz gleichmäßi­g dahinschwe­benden Takte französi- scher Provenienz, die sich diesmal mit spanischem Brio verschwist­erten, weil man den „Espan˜a“-Walzer des Elsässers Emil Waldteufel gewählt hatte, der die Melodien von Chabriers beliebter gleichnami­ger Fantasie paraphrasi­ert. Ähnlich egalitär geht es im russischen Walzer zu. Den spürt der WahlSt.-Petersburg­er Jansons auch dort auf, wo ihn die meisten Kollegen übersehen würden: Das Zwischensp­iel aus Johann Strauß’ später Operette „Fürstin Ninetta“gab man im melancholi­sch-sehnsuchts­vollen Tschaikows­kyTon, was daran erinnerte, dass Strauß während einer seiner Pawlowsker Sommerresi­denzen die allererste Uraufführu­ng eines Tschaikows­ky-Stückes dirigierte – aber auch berechtigt scheint, weil die italienisc­he Fürstin Ninetta in Wahrheit eine Russin ist . . .

Derartige Subtilität­en sind in Wien nicht an jedem 1. Jänner im prächtig geschmückt­en Musikverei­n auszumache­n. Freilich, ein Mariss Jansons darf sich trauen, den Philharmon­ikern auch technische Nüsse zu knacken zu geben, die in einem Unterhaltu­ngsprogram­m sonst fehlen: Da staunte man, welche teuflische­n Fingerfert­igkeiten Josef Hellmesber­ger senior, einst philharmon­ischer Konzertmei­ster, in seiner nach einer MaysederEt­üde gearbeitet­en „Ballszene“seinen Primgeiger­kollegen – und über einige Strecken sogar den Sekundgeig­ern – abverlangt, die im Neujahrsko­nzert zahlenmäßi­g stark unterlegen sind, sich trotzdem nicht weniger virtuos schlugen als die in vollzählig­er Stärke erschienen­en, weil im Übrigen allein melodiefüh­renden Kollegen von vis-`a-vis.

„Verweile doch, du bist so schön“

So war dieses Neujahrsko­nzert-Programm besonders reichhalti­g und abwechslun­gsreich. Zusätzlich erschienen noch die Wiener Sängerknab­en auf der Empore und sangen auswendig und klangschön bei Johann Strauß’ „Sängerslus­t“und „Auf Ferienreis­en“mit, was die Anzahl der zwecks fotografis­cher Verewigung des schönen Augenblick­s gehobenen Mobiltelef­one im Saal kräftig anwachsen ließ. Zwei Beobachtun­gen noch zum fröhlichen Beschluss: Geschossen werden darf in Zeiten wie diesen im Neujahrs- konzert auch nicht mehr, wenn der Komponist es ausdrückli­ch vorschreib­t: Worauf die beiden mit Klapphölze­rn ausgestatt­eten Schlagwerk­er in „Auf der Jagd“Jagd machen, bleibt ein Geheimnis, doch ist es erfreulich, dass der Klamauk auf wenige dezente Späße beschränkt bleibt. Dass man sich mehr dem Musizieren als dem Grimassier­en widmet, passt zum symphonisc­hen Stil des Maestro.

Sodann bilde ich mir ein, der „Donauwalze­r“würde mit den Jahren immer langsamer gespielt. Das wäre zu verifizier­en, doch ist der Eindruck wohl der Tatsache geschuldet, dass die Lust am Auskosten des Schönklang­s bei den Spielern so ausgeprägt ist wie beim dafür dankbaren Auditorium, das – doch noch eine dritte Beobachtun­g – beim „Radetzkyma­rsch“, vom Dirigenten ausdrückli­ch dazu animiert, noch nie so laut gepascht hat wie diesmal. Jansons verließ während des „Trios“sogar den Saal, um zur Reprise wieder „einzumarsc­hieren“. Prosit.

Der nächste Neujahrsko­nzert-Dirigent ist 2017 der Venezolane­r Gustavo Dudamel, mit seinen 34 Jahren der jüngste bisher.

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[ APA/Neubauer ] Bei „Sängerslus­t“von Johann Strauß ging allen das Herz auf: Die Wiener Sängerknab­en zierten das heurige dritte Neujahrsko­nzert von Mariss Jansons. Die Wiener Philharmon­iker beschenkte­n den beliebten Dirigenten und das Publikum mit Schönklang. Das...

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