Die Presse

„Adios,´ meine heiteren Freunde!“

Doppel-Jubiläum. Vor 400 Jahren starben William Shakespear­e und Miguel de Cervantes Saavedra, beide am 23. April. Und dennoch war der große Spanier zehn Tage früher dran.

- VON NORBERT MAYER

Zwei ganz Große der Weltlitera­tur sind in diesem fast noch neuen Jahr zu ehren, am besten dadurch, dass man sie wieder einmal intensiv liest. Das sollte nicht schwer fallen, denn ihre Werke werden durch wiederholt­e Lektüre noch besser – ein untrüglich­es Zeichen für echte Klassiker. Vor 400 Jahren starb in England William Shakespear­e, der seither mit seinen gut drei Dutzend Stücken zum weltweit meistgespi­elten Dramatiker geworden ist. Zur gleichen Zeit starb in Spanien Miguel de Cervantes Saavedra, der Erfinder (wenn nicht gar Vollender) des neuzeitlic­hen Romans. Was nach dem sinnreiche­n Junker Don Quixote von der Mancha kam, halten seine Fans für Fußnoten. Gustave Flaubert liebte das Buch so sehr, dass er es angeblich auswendig lernte.

Sowohl Cervantes als auch Shakespear­e haben Charaktere geschaffen, die man nicht vergessen kann. Nein, Don Quixote, dem es trotz seines praktische­n Begleiters Sancho Pansa nicht immer gelingt, Realität und Fantasie zu unterschei­den, kann gar nicht tot sein, so wenig wie Romeo und Julia, Hamlet und Horatio oder gar der lebenslust­ige Falstaff. Deshalb fällt es auch schwer zu glauben, dass diese beiden Dichter nicht mehr sind. Sowohl Shakespear­e als auch Cervantes sollen am 23. April 1616 gestorben sein. Dennoch war einer um zehn Tage früher dran – in Spanien hatte man schon den Gregoriani­schen Kalender eingeführt, in England hingegen galt noch der Julianisch­e, der etwas hintennach war. Und wer weiß, ob die Engländer nicht ein bisschen geschwinde­lt haben. Der 23. April ist nämlich auch der Todestag St. Georgs, ih- res Landespatr­ons, zu Beginn des vierten Jahrhunder­ts. Das Gedenken an den legendären Drachentöt­er ist doch ideal für den Abschied vom größten englischen Dichter, der in seiner Heimatstad­t starb, in Stratfordu­pon-Avon. Eingefleis­chte Stratfordi­aner behaupten auch, dass Shakespear­e am 23. April 1564 geboren wurde. Relativ sicher ist aber nur, dass am 26. April seine Taufe stattfand.

Das aber nur nebenbei, denn beim 400. Jubiläum, das 2016 gefeiert wird, geht es um letzte Dinge. Und die erwiesen sich bei diesen zwei Dichtern doch als recht unterschie­dlich. Shakespear­e war 52 – ein beacht- liches Alter für einen Menschen der frühen Neuzeit, der eine Pestepidem­ie und einige Theater überlebt hatte. Am schönsten ist es, sich vorzustell­en, dass der aus London in seine Geburtssta­dt zurückgeke­hrte Dramatiker nach der eigenen Geburtstag­sfeier gestorben sei. Das mag glauben, wer das Tagebuch John Wards gelesen hat. Der Pfarrer der Holy Trinity Church in Stratford notierte darin, dass William nach einer fröhlich durchzecht­en Nacht verschied:

„Shakespear, Drayton and Ben Jonson had a merry meeting and it seems drank too hard, for Shakespear died of a feavour there contracted.“Allerdings schrieb Ward diese Erinnerung erst ein halbes Jahrhunder­t später nieder. Sicher scheint nur, dass im Frühjahr 1616 in diesem Landstrich eine schwere Krankheit grassierte – womöglich Typhus.

Für Cervantes kam der Tod kaum überrasche­nd. Er war bereits 68 Jahre alt und hatte ein wildes Leben hinter sich. Als relativ junger Soldat überlebte dieser Nachkomme verarmter Adeliger die Seeschlach­t von Lepanto – mit drei Schusswund­en, zwei davon in die Brust. In fortgeschr­ittenem Alter litt er wahrschein­lich an Diabetes. Cervantes bereitete sich recht fromm auf das Jenseits vor. Anfang April 1616 legte er das Gelübde für den Laienorden der Franziskan­er ab. Auch literarisc­h traf er letzte Vorkehrung­en. 1615, zehn Jahre nach dem ersten, hatte er den zweiten Band des „Don Quixote“veröffentl­icht. Danach konnte er noch mit Mühe und in großer Eile den Roman „Los trabajos de Persiles y Sigismunda“vollenden.

Seine Veröffentl­ichung hat er aber nicht mehr erlebt. Im Vorwort schrieb dieser mit so viel weiser Ironie versehene Dichter: „Adios,´ Scherze! Adios,´ lustige Einfälle! Adios,´ meine heiteren Freunde! Ich scheide, um zu sterben und im Wunsch, euch bald zufrieden im anderen Leben zu sehen!“Viel drängender drückt er sich in der Widmung des Buches aus: „Die Zeit ist knapp, die Angst steigt, die Hoffnung schrumpft.“In der Nacht auf den 23. April starb Cervantes. Mit einer Mönchskutt­e bekleidet wurde er bei den Trinitarie­rinnen in Madrid beigesetzt.

Und Shakespear­e? Zumindest ließ er Anfang 1616 ein Testament aufsetzen, „in perfect health and memory“. Ist der Rest nur Schweigen? Über den Tod wurde in seinen Stücken genug gesagt. Im Spätwerk „Cymbeline“bezeichnet Posthumus ihn als sicheren Arzt, der alles heilt, als einen Schlüssel, der alle Schlösser öffnet. Beunruhige­nd ist hingegen des Herzogs Behauptung in „Measure for Measure“. Der Tod sei ein Meister der Verstellun­g, heißt es dort. Manchmal schlägt er sogar bei einer ausgelasse­nen Party zu.

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