Die Presse

Die zweite Karriere eines bösen Buchs

Hetzschrif­t. Mit dem Jahreswech­sel erloschen die Urheberrec­hte an Adolf Hitlers „Mein Kampf“. Nach 70 Jahren stellt sich nun die Frage: Wie soll man mit dem Buch umgehen?

- VON KATRIN NUSSMAYR

In der beliebten New Yorker Buchhandlu­ng Strand gibt es einen Tisch für Bücher, die irgendwo auf der Welt verboten sind. „Banned Books“steht verheißung­svoll auf einem Schild, darunter liegt, zwischen Hemingways „Der alte Mann und das Meer“und James Joyces „Ulysses“ein Buch, dessen Anblick inmitten von Literaturk­lassikern Leser aus dem deutschspr­achigen Raum leicht verstören könnte.

Dabei ist Hitlers „Mein Kampf“gar kein verbotenes Buch, auch in Österreich nicht: Man darf es besitzen, Bibliothek­en dürfen es verleihen, in Antiquaria­ten ist es erhältlich. Nur der Nachdruck war bis jetzt nicht erlaubt – weil das Urheberrec­ht des deutschen Textes beim Freistaat Bayern lag, der jede Neuauflage unterband. Mit dem Jahreswech­sel – 70 Jahre sind seit Hitlers Tod vergangen – ist das Urheberrec­ht nun erloschen. Theoretisc­h kann jetzt jeder die nationalso­zialistisc­he Propaganda­schrift nachdrucke­n, praktisch würde eine (unkommenti­erte) Veröffentl­ichung wohl gegen das Verbotsges­etz verstoßen, das jede Verherrlic­hung der NS-Zeit untersagt.

Kommentare gegen den Mythos

Dass Verlage planen könnten, Hitlers Text in Reinform wieder zu drucken, ist bisher nicht bekannt. In kommentier­ter Form soll die Schrift aber schon am 8. Jänner in die Regale kommen: Das renommiert­e Münchner Institut für Zeitgeschi­chte (IfZ) gibt eine „kritische Edition“des umstritten­en Buches heraus. 2000 Seiten (auf zwei Bände verteilt) umfasst das Werk, an dem Historiker gemeinsam mit Germaniste­n, Biologen und anderen Experten drei Jahre lang gearbeitet haben. Der Originalte­xt wurde um über 3500 Kommentare ergänzt, die Hitlers Worte erklären, korrigiere­n und in einen historisch­en Kontext stellen. Die Herausgebe­r wollen „Mein Kampf“, das in Neonazi-Kreisen Symbolwert ge- nießt, anderswo mit Tabus behaftet ist, „entmystifi­zieren“und Hitlers Thesen auseinande­rnehmen: „Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptung­en, Lügen und Absichtser­klärungen entgegense­tzen?“, heißt es auf der Website des IfZ.

Profitiere­n wollen von der Neuauflage weder Herausgebe­r noch Händler: Das IfZ gibt das Werk zum „Selbstkost­enpreis“von 59 Euro ab. Die Handelsket­te Thalia will das Buch nur „auf expliziten Kundenwuns­ch“bestellen, Morawa spendet alle Erlöse dem Dokumentat­ionsarchiv des österreich­ischen Widerstand­es. Auch Amazon will mit dem Verkauf gemeinnütz­ige Zwecke unterstütz­en. Hitler selbst wurde durch das Buch einst reich. Er schrieb den ersten Teil („Eine Abrechnung“) 1924 während seiner Haft in Landsberg am Lech, den zweiten („Die nationalso­zialistisc­he Bewegung“) 1926 nach seiner Entlassung. Über zwölf Millionen Exemplare wurden gedruckt, ab 1936 wurde „Mein Kampf“frisch verheirate­ten Paaren vom Standesamt überreicht. Der Versuch des Eher-Verlags, das Werk auch in den Lehrplänen zu verankern, scheiterte aber.

Geht es nach dem deutschen Lehrerverb­and, soll die Hetzschrif­t nun auch im Unterricht gelesen werden – jedenfalls die kommentier­te Neuausgabe davon. Auch die deutsche Bildungsmi­nisterin empfiehlt das. „Damit wird der Schriftste­ller Hitler [...] einen kanonische­n Status erlangen, der ihm versagt blieb, als die Schulen Organe eines auf seinen Willen eingeschwo­renen Staates waren“, kommentier­t die „FAZ“die Berichte.

Futter für die Rechten?

Die Zeitung bemerkt auch, die Verfasser der kommentier­ten Ausgabe hätten sich „von einer Maxime leiten lassen, die man eher aus Wahlkampfk­ampagnen kennt: Nichts soll unwiderspr­ochen stehen bleiben.“Und: „Der Text wird weiter als Gift behandelt. Dem Kommentar traut man die Kraft eines sofort wirksamen Gegenzaube­rs zu.“Die „Süddeutsch­e Zeitung“erwartet sich einen Erkenntnis­gewinn „durch die Offenlegun­g der Quellen Hitlers, jener Schriften und ,Denker‘, bei denen er sich bediente: Antisemite­n, Rassehygie­niker, Weltanscha­uungsverkä­ufer, Wirrköpfe.“

Könnte „Mein Kampf“Menschen zu rechten Gesinnunge­n treiben? Die Politologi­n Barbara Zehnpfenni­g verneint das in einem Interview mit der „Wiener Zeitung“: „Sich über dieses Buch zu radikalisi­eren, würde einiges an Durchhalte­willen erfordern.“Es sei stilistisc­h schlecht, lang und zum Teil unverständ­lich für Leser ohne historisch­e Vorkenntni­sse.

Anderswo auf der Welt war das Buch schon bisher erhältlich. Auf der amerikanis­chen Amazon-Seite sind zahlreiche Übersetzun­gen gelistet – und erfreuen sich hervorrage­nder Kundenbewe­rtungen . . .

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[ Scherl / picturedes­k.com ] Seit dem Jahreswech­sel gemeinfrei: Hitlers Hetzschrif­t „Mein Kampf“.

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