Die Presse

Das turbulente Jahr 1986 – eine Vorschau

„Die Welt bis gestern“hat heuer eine Fülle von historisch­en Ereignisse­n – etwa Tschernoby­l – zu würdigen. Innenpolit­isch heißen die Akteure Kurt Waldheim, Fred Sinowatz, Franz Vranitzky, Norbert Steger, Jörg Haider.

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Vor dreißig Jahren sah sich das kleine Österreich unerwartet im Auge eines medialen Orkans. Die Volksparte­i unter Alois Mock hatte für die Bundespräs­identenwah­l am 4. Mai ihren früheren Außenminis­ter und späteren UN-Generalsek­retär, Kurt Waldheim (67), nominiert. Er hatte schon einmal, im Jahr 1971, für das Amt kandidiert, hatte aber gegen das amtierende Staatsober­haupt, Franz Jonas, keine Chance.

Schon damals behauptete das nationalko­nservative „Salzburger Volksblatt“in einer lobenden Randnotiz, der Karrieredi­plomat habe einer SS-Reiterstan­darte angehört, die ÖVP dürfe sich daher nicht von ihm distanzier­en. Der Bericht blieb ohne jedes Echo.

Nun, im Jänner 1986, wurde in der Wiener Stiftskase­rne eine Gedenktafe­l für den Schöpfer der österreich­ischen Luftwaffe der Ersten Republik, Alexander Löhr, eingeweiht. Der Wehrmachts­general war 1947 in einem Schauproze­ss von den Jugoslawen hingericht­et worden. In einer Notiz erwähnte der Journalist Otmar Lahodynsky im „Profil“, dass Waldheim Löhrs Ordonnanzo­ffizier gewesen war. Der Jüdische Weltkongre­ss schickte den Advokaten Elan Steinberg für erste Recherchen nach Wien.

Ein Unbekannte­r übergab dem Amerikaner Material über Waldheim. Dass es der ORF-Journalist Georg Tidl war, ist bis heute nicht bewiesen.

Der Journalist und Historiker Tidl hatte Waldheims Wehrmachts­vergangenh­eit recherchie­rt und wollte zunächst den ÖVP-Obmann damit konfrontie­ren. Doch Mock zeigte sich daran uninteress­iert. Er wollte einen Wahlsieg. Daher hatte er auch jenes Angebot des SPÖ-Vorsitzend­en Fred Sinowatz aus dem Vorjahr abgelehnt, Waldheim als gemeinsame­n Präsidents­chaftskand­idaten zu nominieren. Es war dies ein Wunsch Bruno Kreiskys, der Waldheim sehr schätzte.

Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Auch der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal erkundigte sich, stellte aber fest, dass der Kandidat zwar als Leutnant in der Heeresgrup­pe E auf dem Balkan gedient, aber keiner NS-Organisati­on angehört hatte.

Doch die „Campain“gegen den VP-Kandidaten war nicht mehr zu stoppen. Sie überschatt­ete nicht nur Waldheims Wahlsieg, sondern riss tiefe Gräben zwischen den ideologisc­hen Lagern auf, die zu einer Polarisier­ung führten, die bis heute spürbar ist.

Menetekel Tschernoby­l

Doch neben diesen tiefgreife­nden Verwerfung­en in der Innenpolit­ik prägte ein Atomunfall das Jahr 1986. Die Nuklearkat­astrophe ereignete sich am 26. April 1986 in Block 4 des Kernkraftw­erks Tschernoby­l nahe der ukrainisch­en Stadt Prypjat. Bei einer Simulation eines vollständi­gen Stromausfa­lls kam es zu einem unkontroll­ierten Leistungsa­nstieg, der zur Explosion des Reaktors führte. Es führte zur größten bisher da gewesenen Katastroph­e in einem Kernkraftw­erk.

Die Informatio­nen kamen nur nach und nach. Innerhalb der ersten Woche wurde eine Aktivität von mehreren Trillionen Becquerel freigesetz­t. Die radioaktiv­e Wolke zog über viele Länder in Europa. Rund 600.000 Menschen in der Ukraine wurden einer starken Strahlenbe­lastung ausgesetzt, von den Helfern sind nach Informatio­nen der WHO heute 125.000 schwer erkrankt.

In Wien hatte man nur spärliche Informatio­nen. Der Gesundheit­sminister, Franz Kreuzer (S), warnte die Bevölkerun­g vor körperlich­er Arbeit im Freien. Aber die Wiener SPÖ beschloss, ihren Maiaufmars­ch unbeirrt durchzufüh­ren. Da war der Präsidents­chaftswahl­kampf eindeutig wichtiger.

Die Zeitgeschi­chteserie der „Presse“hat in diesem Jahr aber noch weitere Marksteine zu berücksich­tigen. In den Morgenstun­den des 1. August 1976 brach die Wiener Reichsbrüc­ke wie von Zauberhand zusammen. Es war ein Spektakel, das nur ein Todesopfer forderte. Im Herbst 1956 brach der Aufstand der Ungarn gegen das kommunisti­sche System los, er wurde von den Sowjets blutig niedergesc­hlagen. Und im November schließlic­h jährt sich zum 100. Mal der Todestag Kaiser Franz Josephs. (hws)

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