Anheizen des Topfs: Uns geht’s wie den Fröschen
Unser Rechtssystem wird immer komplexer: Entweder wir springen aus dem heißen Wasser, oder wir lassen uns langsam garen.
Setzt man einen Frosch in kochendes Wasser, so springt der Frosch aus dem Wasser. Setzt man den Frosch hingegen in lauwarmes Wasser und erwärmt dieses langsam, so bleibt der Frosch sitzen, bis das Wasser kocht und der Frosch stirbt.
Dieses Experiment an Fröschen kann symbolhaft für unser Staatsgefüge als Vergleich herangezogen werden. Seit Jahren bewegen wir uns in einem System aus Rechtsnormen, das laufend ergänzt und erweitert wird. Als Beispiel sei das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz genannt: 1955 in Kraft getreten, hat dieses Gesetz in den vergangenen 60 Jahren über 300 Änderungen erfahren. Allein im Jahr 2015 sind laut dem Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts fünf Änderungen des ASVG erfolgt.
Die Bestimmungen werden immer detaillierter, die vorgegebenen Prozesse werden immer noch aus- gefeilter, um nur ja jeder möglichen Eventualität entsprechen zu können. Als Ergebnis finden wir einen Wust an Rechtsnormen vor, die niemand mehr überblickt. Das gilt schon für einzelne Rechtsgebiete, deren Regelungsdichte kein Experte mehr durchschauen kann.
Ausgehöhlte Rechtsordnung
Im Bild des eingangs erwähnten Froschexperiments gesprochen: Das ursprünglich angenehme Wasser einer Rechtsordnung wurde uns unter dem Hintern erwärmt. Wir haben es gar nicht gemerkt. Dort und da wurde in den vergangenen Jahren schon ein leises Ächzen vernommen, aber die Rechtsordnung als solche wurde als gegeben akzeptiert.
Die Reaktion, die von vielen Rechtsunterworfenen (zumindest in Österreich) auf die zunehmende Komplexität und Unüberschaubarkeit der Rechtsordnung erfolgt: man hat sich arrangiert. Gezwungenermaßen akzeptieren wir einen Graubereich in unserem Leben, in dem wir nicht so genau wissen, ob das, was wir tun, noch ganz gesetzeskonform ist. Aber solange niemand und insbesondere nicht die Staatsmacht aufschreit, lässt es sich so leben.
Analytisch betrachtet wird damit aber das Recht als konstitutives Element eines Staats in seiner Wirksamkeit ausgehöhlt. Diese Beobachtung gilt für viele Rechtsbereiche, beispielhaft auch für das Arbeitsrecht. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben sich arrangiert, nicht immer zur vollen Zufriedenheit beider Seiten, aber in Summe in einer Form, mit der beide Seiten leben konnten.
Übrigens geht der Staat mittlerweile selbst dazu über, die eigene Rechtsordnung zu unterwandern. So bieten in Vorarlberg mittlerweile öffentliche Institutionen den Wohnungseigentümern an, für sie risikofrei Wohnraum an Dritte zu vermieten. Hintergrund ist der dringende Bedarf an leistbarem Wohnraum und die große Zahl an leer stehenden Wohnungen.