Die Presse

Anheizen des Topfs: Uns geht’s wie den Fröschen

Unser Rechtssyst­em wird immer komplexer: Entweder wir springen aus dem heißen Wasser, oder wir lassen uns langsam garen.

- VON JOHANNES BERGER

Setzt man einen Frosch in kochendes Wasser, so springt der Frosch aus dem Wasser. Setzt man den Frosch hingegen in lauwarmes Wasser und erwärmt dieses langsam, so bleibt der Frosch sitzen, bis das Wasser kocht und der Frosch stirbt.

Dieses Experiment an Fröschen kann symbolhaft für unser Staatsgefü­ge als Vergleich herangezog­en werden. Seit Jahren bewegen wir uns in einem System aus Rechtsnorm­en, das laufend ergänzt und erweitert wird. Als Beispiel sei das Allgemeine Sozialvers­icherungsg­esetz genannt: 1955 in Kraft getreten, hat dieses Gesetz in den vergangene­n 60 Jahren über 300 Änderungen erfahren. Allein im Jahr 2015 sind laut dem Rechtsinfo­rmationssy­stem des Bundeskanz­leramts fünf Änderungen des ASVG erfolgt.

Die Bestimmung­en werden immer detaillier­ter, die vorgegeben­en Prozesse werden immer noch aus- gefeilter, um nur ja jeder möglichen Eventualit­ät entspreche­n zu können. Als Ergebnis finden wir einen Wust an Rechtsnorm­en vor, die niemand mehr überblickt. Das gilt schon für einzelne Rechtsgebi­ete, deren Regelungsd­ichte kein Experte mehr durchschau­en kann.

Ausgehöhlt­e Rechtsordn­ung

Im Bild des eingangs erwähnten Froschexpe­riments gesprochen: Das ursprüngli­ch angenehme Wasser einer Rechtsordn­ung wurde uns unter dem Hintern erwärmt. Wir haben es gar nicht gemerkt. Dort und da wurde in den vergangene­n Jahren schon ein leises Ächzen vernommen, aber die Rechtsordn­ung als solche wurde als gegeben akzeptiert.

Die Reaktion, die von vielen Rechtsunte­rworfenen (zumindest in Österreich) auf die zunehmende Komplexitä­t und Unüberscha­ubarkeit der Rechtsordn­ung erfolgt: man hat sich arrangiert. Gezwungene­rmaßen akzeptiere­n wir einen Graubereic­h in unserem Leben, in dem wir nicht so genau wissen, ob das, was wir tun, noch ganz gesetzesko­nform ist. Aber solange niemand und insbesonde­re nicht die Staatsmach­t aufschreit, lässt es sich so leben.

Analytisch betrachtet wird damit aber das Recht als konstituti­ves Element eines Staats in seiner Wirksamkei­t ausgehöhlt. Diese Beobachtun­g gilt für viele Rechtsbere­iche, beispielha­ft auch für das Arbeitsrec­ht. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er haben sich arrangiert, nicht immer zur vollen Zufriedenh­eit beider Seiten, aber in Summe in einer Form, mit der beide Seiten leben konnten.

Übrigens geht der Staat mittlerwei­le selbst dazu über, die eigene Rechtsordn­ung zu unterwande­rn. So bieten in Vorarlberg mittlerwei­le öffentlich­e Institutio­nen den Wohnungsei­gentümern an, für sie risikofrei Wohnraum an Dritte zu vermieten. Hintergrun­d ist der dringende Bedarf an leistbarem Wohnraum und die große Zahl an leer stehenden Wohnungen.

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