Die Presse

Triumph über eigene Ressentime­nts

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Galgut verweist auf diese zentrale Frage aus Forsters Tagebuch, indem er in seinem Roman die Entstehung­sgeschicht­e von „ A Passage to India“wie einen inneren Kriminalro­man erzählt. „A Passage to India“ist die Geschichte eines schrecklic­hen Konflikts, einer Enttäuschu­ng, eines Kampfs gegen diese Enttäuschu­ng und darüber, dass das einsichtig­e Selbst triumphier­t. Dass es Galgut einzig um den an seiner Liebessehn­sucht kränkelnde­n Romancier zu gehen scheint und er doch mit seinem Porträt des Meisters in seiner unglücklic­hsten Zeit mitten ins Herz unserer brennenden Gegenwart sticht, mag nicht einmal beabsichti­gt sein. Aber indem Galgut von dem Triumph eines unermüdlic­hen Sehers über seine eigenen Ressentime­nts erzählt, eines Reisenden, der nirgendwoh­in gehört, der am eigenen Leib im wahren Wortsinn schließlic­h die unüberbrüc­kbaren Unterschie­de der so fremden Regionen erfährt und sie in einer künstleris­chen Arbeit überwindet, weist er einen Weg.

Auch wenn es am Ende des Romans keine wahrhaftig­e Innigkeit, kein wirkliches Verstehen, keine Symbiose gibt, weder jene mit dem Geliebten noch jene unter den streitende­n Regionen, so kämpft Forster bis zu seinem Tod unermüdlic­h für das, was er Gleichbere­chtigung auf allen Ebenen nennt. Immer wieder wird in seinen Schriften wie auch in Galguts Roman die Ferne gerade durch die Nähe schmerzhaf­t deutlich. Das ist es, was Forster erfahren hat, das ist es, was „A Passage to India“vermittelt, das ist die Präsenz der politische­n Gegenwart in diesem so intimen Buch. Die nicht zu erfüllende Sehnsucht des Einzelnen nach Symbiose und die der vielen nach dem Zusammenwa­chsen der Welt sind nicht herbeizusc­hreiben. Aber die unermüdlic­he Arbeit an sich selbst. Das ist das große, feine Verdienst von Galguts Roman „Arktischer Sommer“.

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