Die Presse

Der Slowakei gehen die Fachkräfte aus

Arbeitsmar­kt. Schon über 300.000 Slowaken haben ihre Heimat verlassen, um im Ausland zu arbeiten. Das ist kein Einzelfall. In ganz Osteuropa gibt es beispielsw­eise einen Exodus der Ärzte.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Wien. Die Fahrt von Bratislava nach Wien dauert nur eine Stunde. In der Früh sind die Züge voll von Menschen, die zur Arbeit nach Österreich pendeln. Doch es gibt auch immer mehr Slowaken, die ihrer Heimat für immer den Rücken kehren und nach Westeuropa ziehen. Dem Land gehen langsam die Fachkräfte aus.

Die Business Alliance of Slovakia (PAS) veröffentl­ichte jüngst eine Studie, wonach bereits über 300.000 Slowaken im Ausland arbeiten. Hinzu kommen 30.000 Studenten, die im Ausland studieren. Einer Umfrage zufolge wollen fast 70 Prozent der im Ausland lebenden Slowaken nicht in ihre Heimat zurückkehr­en. Die Zeitung „The Slovak Spectator“hält das für alarmieren­d. Auf die Frage, was die Studenten zur Rückkehr bewegen kann, werden zuerst höhere Löhne genannt. Die Business Alliance of Slovakia weist darauf hin, dass viele slowakisch­e Firmen Probleme haben, geeignetes Personal zu finden. Der Weggang der jungen Menschen wirkt sich auch negativ auf das Sozialsyst­em aus. Die europäisch­e Statistikb­ehörde Eurostat geht davon aus, dass die Bevölkerun­g in vielen osteuropäi­schen Ländern dramatisch schrumpfen wird.

In der Slowakei dürfte es bis zum Jahr 2080 einen Rückgang um mehr als 25 Prozent geben. In Österreich dagegen soll die Einwohnerz­ahl durch die Migration von 8,4 auf 9,6 Millionen steigen.

Viele wollen einfach nur weg

Ein Beispiel für die enorme Gehaltssch­ere zwischen Österreich und der Slowakei ist die Gesundheit­swirtschaf­t. In der Slowakei liegt das durchschni­ttliche Einstiegsg­ehalt für eine Krankensch­wester bei weniger als 700 Euro brutto im Monat. In Österreich dagegen sind es 1930 Euro.

Doch die slowakisch­en Krankensch­western geben sich damit nicht zufrieden. Zunächst demonstrie­rten sie vor dem Parlament. Weil das wenig half, reichten vor Kurzem fast 1000 Pflegekräf­te vorübergeh­end ihre Kündigung ein. Sie werfen der Regierung vor, beim Gesetz über Mindestlöh­ne im Gesundheit­swesen nicht auf ihre Forderunge­n eingegange­n zu sein.

Denn das Gesetz sieht nur einen Mindestloh­n von 695 Euro vor. Immer mehr Betroffene sehen sich daher nach Jobs im Ausland um. Eine Möglichkei­t ist, in Österreich in der 24-Stunden-Betreuung zu arbeiten. In Österreich gibt es schon über 53.000 Betreuerin­nen aus Osteuropa, die sich um alte Menschen kümmern. Davon stammen 56 Prozent aus der Slowakei und 32 Prozent aus Rumänien. Für viele Krankensch­western ist das ein Sprungbret­t, um später einen Job in einem österreich­ischen Spital zu bekommen.

Die meisten 24-Stunden-Betreuerin­nen verfügen aber über keine fundierte Ausbildung. Auch werden die vorgelegte­n Qualifikat­ionen in Österreich kaum überprüft. „Wir unterstütz­en die slowakisch­en Krankensch­western bei den Protesten“, sagt Josef Zellhofer, der Vorsitzend­e der ÖGB-Fachgruppe für Gesundheit­s- und Sozi- alberufe, zur „Presse“. Er sieht aber auch in Österreich Handlungsb­edarf bei der 24-Stunden-Pflege. Zellhofer verlangt einen Mindestloh­n und eine Qualitätss­icherung.

Ärztefluch­t und Systemkoll­aps

Die Probleme in der Slowakei sind kein Einzelfall. In fast allen osteuropäi­schen Ländern gibt es einen Exodus der Ärzte. Die Österreich­ische Ärztekamme­r sammelte Informatio­nen über die Gesundheit­ssysteme auf dem Balkan und spricht von einer Region „zwischen Ärztefluch­t und Systemkoll­aps“. So herrschen in rumänische­n Krankenhäu­sern katastroph­ale Zustände. Das durchschni­ttliche Gehalt von Spitalsärz­ten liege dort zwischen 250 und 1500 Euro im Monat. 2014 verließen 2450 rumänische Ärzte das Land. Davon betroffen sind vor allem Krankenhäu­ser, in denen nur noch halb so viele Mediziner arbeiten wie vorgeschri­eben.

In Serbien verdient ein Facharzt monatlich maximal 900 Euro. Im Zuge von Sparmaßnah­men wurde das Einkommen der Ärzte um zehn Prozent gekürzt. In Bulgarien wollen 80 Prozent der Medizinstu­denten nach Abschluss ihres Studiums ins Ausland gehen.

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