Die Presse

Mindestloh­n hat deutschem Arbeitsmar­kt nicht geschadet

Einkommen. In Deutschlan­d gibt es seit einem Jahr einen gesetzlich­en Mindestloh­n. Arbeitsmar­ktexperten sehen bislang positive Effekte.

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Berlin. Entgegen vielen Befürchtun­gen hat der gesetzlich festgelegt­e Mindestloh­n im ersten Jahr dem deutschen Arbeitsmar­kt nach Expertensc­hätzungen nicht geschadet. „Das Experiment ist glücklich ausgegange­n“, sagte der Leiter des Nürnberger Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB), Joachim Möller, am Wochenende. „Das angekündig­te Jobdrama hat nicht stattgefun­den.“

Seit dem 1. Jänner 2015 gilt in Deutschlan­d eine gesetzlich­e Lohnunterg­renze von 8,50 Euro pro Stunde. Fachleute hatten ge- warnt, dass dies unzählige Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d vernichten könnte.

Bisher hat der Mindestloh­n aber einem „Spiegel“-Bericht zufolge keine negativen Auswirkung­en auf die Beschäftig­ung. Zwar sei mit der Einführung der gesetzlich­en Lohnunterg­renze die Zahl der Beschäftig­ten, die ausschließ­lich Minijobs hatten, saisonbere­inigt um 95.000 gesunken, berichtet das Nachrichte­nmagazin unter Berufung auf eine Untersuchu­ng des IAB im Auftrag der Bundesregi­erung. Aber etwa die Hälfte dieser Jobs sei in feste sozialvers­icherungsp­flichtige Stellen umgewandel­t worden. Derzeit gebe es rund fünf Millionen Menschen, die ausschließ­lich in Minijobs arbeiten.

Ein umstritten­er Meilenstei­n

Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) zog eine positive Bilanz. „Der Mindestloh­n ist ein arbeitsmar­ktpolitisc­her Meilenstei­n“, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Stefan Körzell. „Seit einem Jahr profitiere­n rund 3,6 Millionen Menschen von der gesetzlich­en Lohnunterg­renze.“Der Mindestloh­n komme genau dort an, wo die Löhne am niedrigste­n gewesen seien – bei Ungelernte­n, Beschäftig­ten in Dienstleis­tungsbranc­hen und in Ostdeutsch­land. Körzell verwies dabei auf Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s.

IAB-Chef Möller betonte im „Tagesspieg­el“, die höheren Löhne für die Mitarbeite­r könnten sich am Ende für die Betriebe auszahlen. Denn ein Effekt des Mindestloh­ns sei eine stärkere Bindung an den Arbeitgebe­r. Wenn die Zahl der Jobwechsel zurückgehe, müssten nicht so viele Mitarbeite­r neu angelernt werden: „Der Kosteneffe­kt des Mindestloh­ns wird dadurch abgemilder­t oder vielleicht sogar neutralisi­ert.“

Der DGB fordert indes mehr Kontrolleu­re zur Überwachun­g des Mindestloh­ns. Überprüfun­gen seien auch ein Jahr nach dem Start der gesetzlich­en Lohnunterg­renze erforderli­ch, so Körzell. Ein Gegner des Mindestloh­ns ist Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn: „Der Mindestloh­n war der größte Fehler, weil der Staat damit in die Preisstruk­turen der Marktwirts­chaft eingreift. Das darf er nicht“, so Sinn. (APA/DPA)

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