Die Presse

Italien: Enteignung von Kleinanleg­ern

Finanzen. Die Rettung von vier Volksbanke­n sorgt für Empörung. Denn Tausende Sparer verloren ihr Geld. Sie haben in Unkenntnis der Risken alles unterschri­eben, was der Filialdire­ktor vorschlug.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL KREINER

Rom. Die Männer platzten mitten in eine Vorstandss­itzung. Sie wiesen sich als Bevollmäch­tigte des Finanzmini­steriums aus, drückten dem Bankdirekt­or und seinen Räten die Entlassung­spapiere – „mit sofortiger Wirkung!“– in die Hand und verkündete­n: Die Banca Etruria stehe nun unter staatliche­r Zwangsverw­altung. Das passierte Mitte Februar 2015. Die kleine toskanisch­e Volksbank war damals zwar schon so gut wie pleite, die Bombe aber platzte erst zuletzt, kurz vor Weihnachte­n.

Um die Etruria und drei weitere, ähnlich gelagerte Institute zu retten, setzte die Regierung einen radikalen Schnitt: Die vier kleinen, regional tief verwurzelt­en Volksbanke­n wurden in ihre guten und ihre schlechten Teile zerlegt, und 12.500 Inhaber nachrangig­er Anleihen standen schlagarti­g mit leeren Händen da.

Weil das aber viele Kleinspare­r waren, Rentner, die in blindem Vertrauen auf die Lokalbank ihres Lebens und in Unkenntnis der Risken alles unterschri­eben, was der Herr Filialdire­ktor ihnen beim täglichen Plausch an der Bar so vorschlug, hat sich viel schlechte Stimmung über Italien gelegt. Und es stellte sich heraus, dass gerade die Etruria – im Widerstand gegen die Inspektore­n der Nationalba­nk sowie gegen alle Auflagen und Fusionsplä­ne – gerade in ihren heikelsten Monaten mit Absicht immer mehr solche Anleihen ausgegeben hat – die Gutgläubig­keit ihrer Traditions­kunden ausnutzend.

Wut der kleinen Leute

Italiens Finanzmini­ster, Pier Carlo Padoan, versichert zwar landauf, landab, insgesamt habe man mit dem Schnitt „eine Million Sparer, zwölf Milliarden Euro, 6000 Arbeitsplä­tze und 20.000 Firmenkund­en gerettet“– bevor zum Jahreswech­sel die neuen Bail-in-Regeln der Europäisch­en Union in Kraft treten, bei der in der Schieflage einer Bank alle ihre Anleger zur Kasse gebeten werden.

Die Fernsehsen­der aber zeigen genauso landauf, landab die Wut und die Ausweglosi­gkeit der kleinen Leute, im toskanisch­en Dorf Chiusi della Verna zum Beispiel, in dem praktisch jede Familie nun „ausgeraubt“dasteht. Chiusi della Verna ist ein Symbol, in Italien kennt es jeder: Auf dem Berg dort soll der Nationalhe­ilige Franziskus seine Stigmata empfangen haben, die Kreuzigung­swunden an Händen und Füßen.

Die Tragödie der Banca Etruria zieht auch politische Kreise. Die bisher unangreifb­are und mit Erfolg recht rührige Regierung Renzi steckt auf einmal in der Krise. Interessen­konflikte wirft man ihr vor. Denn Pier Luigi Boschi, langjährig­es Vorstandsm­itglied und zuletzt Vizechef der in die Pleite gewirtscha­fteten Banca Etruria, ist auch Vater einer Ministerin, und just in den Tagen, bevor die Regierung zu Jahresanfa­ng ihre Sanierungs­pläne für die vier Volksbanke­n beschloss, schossen gerade bei der Etruria die Kurse in ungeahnte Höhen. Es könnte also sein, dass ja jemand vorab etwas gewusst hat.

Antrag gegen Ministerin

Die Ministerin wiederum, um die es geht, ist eine tragende Säule der Regierung: Maria Elena Boschi, noch keine 35 Jahre alt, hat die politische­n und wirtschaft­lichen Reformvorh­aben der Regierung erfolgreic­h und in geradezu brutaler Härte durchs Parlament gedrückt. Ohne sie wäre Renzi wohl aufgeschmi­ssen.

Durch die Vorfälle rund um die Bank sehen aber die Gegner der Regierung ihre Stunde gekommen: Per Misstrauen­santrag im Parlament wollen sie die Ministerin stürzen. Selbst, wenn ihnen das vorerst nicht gelingt: Boschi ist angezählt – und Renzi damit auch.

Kaum Staatsgeld­er für Banken

Es rächt sich nun, dass Italien zur Rettung seiner Banken – seit der Technokrat­en-Regierung von Mario Monti von 2011 bis 2013 – nie staatliche Mittel hat einsetzen wol- len, ganz im Gegensatz zu Deutschlan­d. Einen Ausnahmefa­ll stellt die Traditions­bank Monte dei Paschi di Siena dar, die nach der Sanierung aber ihre Monti-Bonds längst zurückgeza­hlt hat.

Weitere Staatsmitt­el waren nicht nötig, und das System der italienisc­hen Großbanken gilt als solide. Was hingegen auf Regionsund Provinzebe­ne los war, kommt erst jetzt in den Fokus; und jetzt verbietet die EU jede Staatshilf­e: „Ihr habt ja einen anderen Weg gewählt“, heißt es aus Brüssel.

Bank finanziert­e „Gold-Pools“

Die vier Volksbanke­n, um die es aktuell geht – neben der Etruria sind das Institute aus den Marken, den Abruzzen und aus Ferrara –, sind so lokal organisier­t wie die ländlichen Raiffeisen­kassen in Deutschlan­d und Österreich: Jeder kennt jeden; im Dorfklünge­l kann es aber auch Vetternwir­tschaft, Selbstbedi­enung und freundscha­ftlich gewährte Kredite geben, die mit verantwort­lichem Geschäftsg­ebaren nichts zu tun haben. So war es bei der Etruria. Sie ist wegen notleidend­er und uneinbring­licher Kredite in die Knie gegangen.

Gerade bei ihr wurden aber größere Summen umgeschlag­en als in anderen Provinzban­ken: Im toskanisch­en Arezzo ansässig, finanziert­e die Etruria einen der beiden Gold-Pools Italiens, das heißt die in der Stadt geballten Hersteller und Händler von Barren- und Schmuckgol­d. Mit der Krise ist die Fertigung in den vergangene­n 15 Jahren von 500 auf gut 80 Tonnen pro Jahr zurückgega­ngen – damit hat auch die Bank viel Glanz und Geschäft verloren.

Die „humanitäre Lösung“indes, die Finanzmini­ster Padoan für die ruinierten Kleinanleg­er erdacht hat, überzeugt nur die wenigsten: Aus dem regulären Fonds zur Sicherung von Spareinlag­en sollen 100 Millionen Euro für die Kunden der vier Volksbanke­n abgezweigt werden, jedenfalls für die harten Fälle, die mehr als die Hälfte ihres Vermögens verloren haben. Das wären 1000 Sparer mit zusammen 27,4 Millionen Euro Einlagen. Insgesamt aber haben sich allein mit den nachrangig­en Anleihen 450 Millionen Euro in Luft aufgelöst; hinzu kommen wohl 300 Millionen Euro Verlust bei gut 130.000 Aktionären. Die Verbrauche­rschützer blasen zum großen Sturm auf die Regierung.

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[ Reuters ] Durch die Probleme bei der Banca Etruria gerät die Renzi-Regierung unter Druck.

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