„Wir mussten Misserfolge einkalkulieren“
Volkstheater. Die erste Saison der neuen Direktorin, Anna Badora, brachte bisher durchaus nicht nur Beifall. Der „Presse“erklärt sie die Strategie hinter ihrem Spielplan, sie klagt über Geldmangel – und hält fest: „Mit Kritik kann ich umgehen.“
Die Presse: Wie lautet die Zwischenbilanz nach den bisher beachtlich vielen Premieren Ihrer ersten Saison am Volkstheater? Anna Badora: Wir haben extrem unterschiedliche Theaterformen ausprobiert. Ein Camus-Stück mit Puppen steht zwischen dem „Marienthaler Dachs“mit Arbeitslosenchören und einem modern inszenierten Nestroy. Vieles ist beim Publikum hervorragend angekommen, wie „Hakoah Wien“, „Das Missverständnis“, die Inszenierungen von Dusanˇ David Paˇr´ızek. Für anderes wurden wir abgestraft, etwa für den Nestroy, aber auch für meine „Fasching“-Inszenierung. Erfolg oder Misserfolg lassen sich nicht an einer Kennziffer allein festmachen.
Wie steht es um die Auslastung? Hinter einem Spielplan stehen auch strategische Überlegungen. Jetzt schon Bilanz zu ziehen ist also deutlich zu früh. Und Auslastungszahlen sind auch Mittelwerte, da wiegt ein voller Saal eben eine schwach besetzte Vorstellung auf, wie es sie im Theater immer mal wieder gibt. Wir haben uns für die erste Spielzeit vorgenommen, das mögliche Profil des Volkstheaters auszuloten und weit zu fassen, uns nicht nur im Mittelfeld der voraussichtlichen Publikumsakzeptanz zu bewegen. Es geht uns um die langfristige Relevanz des Volkstheaters für die Stadt, deshalb mussten wir Misserfolge einkalkulieren. Nur so haben wir die Chance, dem Zuschauer auch echte Entdeckungen zu bieten – denn wer kannte in Wien zum Beispiel Yael Ronen?
Was ist hier anders als am Grazer Schauspielhaus, das Sie zuvor neun Jahre geleitet haben, oder am Theater in Düsseldorf, wo Sie bis 2006 Intendantin waren? In Düsseldorf gab es finanziell unvergleichbar bessere Bedingungen. Graz war, bevor ich dort antrat, bühnentechnisch gut ausgestattet. Die Grazer Theater-Holding ermöglichte, dass wir künstlerisch so erfolgreich sein konnten. Auch die Valorisierung war garantiert. Hier in Wien steht uns noch viel Arbeit auch an dieser Front bevor. Wir müssen vieles an den Strukturen überprüfen, und das Haus ist baulich in einem wirklich schlechten Zustand. Aber bezüglich der Mittel für die Renovierung hat sich ja sehr Positives seitens der Stadt Wien getan. Auch der Bund hat zustimmende Signale ausgesendet.
Wie sind die Reaktionen auf die neue Tribüne im Parkett, durch die es bessere Sicht, aber weniger Sitzplätze gibt? Die positiven Reaktionen überwiegen deutlich. Übrigens hat unser Architekt in den ursprünglichen Plänen ähnliche Varianten für eine Arena-Bühne gefunden. Damals wurde darauf verzichtet, weil sich unter dem Balkon 400 Stehplätze befanden. Auf diese Einnahmen wollte man nicht verzichten. Mit rund 1900 Plätzen war das Volkstheater eines der größten im deutschsprachigen Raum. Die Situation heute ist völlig anders. Viele der Sitzplätze in den Rängen waren gar nicht mehr verkäuflich. Schon Direktorin Emmy Werner wollte diese unzumutbaren Sitzplätze ganz hinten abbauen lassen.
Mit Ihrem Antreten in Wien wurde im Sommer fast das ganze Ensemble ausgetauscht. Wie schwer fiel Ihnen das? Gespräche mit den Schauspielern, die man nicht verlängert, gehören für mich zu den schwersten Aufgaben. Es gab viele negative Stimmen, die aber eher zeigten, dass längst nicht alle mit den Gepflogenheiten bei Intendantenwechsel an Theatern vertraut sind. Dann haben einige Journalisten auch sehr unsauber argumentiert und Gäste mit dem Ensemble in einen Topf geworfen. Bleiben wir exakt: Noch in Direktor Schottenbergs letzter Saison sind viele gegangen. Bei einem anstehenden Wechsel ist das üblich. Wir hatten nur noch mit 16 Ensemblemitgliedern zu verhandeln. Drei wollten kein festes Engagement, vier haben wir übernommen, neun nicht verlängert. Mein Ensemble hat aktuell 21 Schauspieler und Schauspielerinnen.
Sie starten einen neuen Versuch in den Bezirken, indem Sie das kleinere Theater am Hundsturm im fünften Bezirk wiederbeleben, als Ausgangspunkt für Touren durch die Bezirke. Wie war der Beginn dort? Volx/Margareten ist eine Erfolgsgeschichte. Wir sind auf Kooperationen angewiesen, etwa mit dem Max Reinhardt Seminar, da unser Budget minimal ist. Es ist ein kleines Wunder, dass dort solche Projekte entstehen konnten wie „Ausblick nach oben“, das mit Kindern verschiedener Herkunft gespielt wird. Inzwischen wurde es zu Festivals für Erwachsene eingeladen, so hoch ist das Niveau. Der ORF hat das Stück begleitet.
Wie hat sich diese Veränderung in den Bezirken auf die Abonnements ausgewirkt? Die Bezirke haben ein eher traditionelles Publikum. Umso schwerer fällt es, neue Sehgewohnheiten einzuführen. Entsprechend gibt es neben Zustimmung erboste Briefe. Die Entwicklung der Abos kann man noch nicht beurteilen. Reden wir darüber im April. Ich war bei fünf Vorstellungen in den Bezirken dabei: Die Zuseher folgten dem Bühnengeschehen sehr konzentriert, danach wurde häufig heftig diskutiert, auch unter den Zuschauern.
Ihr Theaterprogramm signalisiert bisher stark eine soziale Komponente. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis hat unlängst dem Thalia Theater in Hamburg eine Inszenierung abgesagt, weil es sich so stark für Flüchtlinge engagiert. Er wurde kritisiert. Wie sehen Sie den Fall? Ich teile die Ansicht von Hermanis ganz sicher nicht. Theater und soziales Engagement schließen sich in keiner Weise aus, im Gegenteil! Dokumentar- und Partizipationstheater, Bürgerchöre und Stückentwicklungen sind inzwischen anerkannte Theaterformen, natürlich müssen sie gut gemacht sein. Aber gerade das Theater sollte sich davor hüten, missliebige Meinungen abzustrafen, Kritiker wie Hermanis mundtot zu machen. Das Diktat mancher Mainstream-Meinungen, die zu Denkverboten in der Gesellschaft führen, begünstigt doch das Erstarken von Populisten, die sich so als Opfer stilisieren können.
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