Die Presse

Aus Blut, Sperma und Tränen

Film. Gaspar Noe´ wollte in „Love“Liebe und Sexualität im Kino spürbar machen – mit famosem Einsatz von 3-D. Doch die stärksten Sequenzen schildern ein Trennungst­rauma.

- VON ANDREY ARNOLD

Dass man im Programmki­no sitzt und dabei zusieht, wie sich ein erigiertes Glied in Großaufnah­me Richtung Publikum entleert, kommt seit der Sexfilmwel­le Ende der Siebziger nicht mehr allzu oft vor, und wenn doch, ist die Wahrschein­lichkeit, dass es sich um einen Film von Gaspar Noe´ handelt, relativ hoch. Der argentinis­ch-französisc­he Regisseur gilt seit Filmen wie „Menschenfe­ind“und „Irreversib­el“als Enfant terrible, von dem derartige Leinwandtr­ansgressio­nen regelrecht erwartet werden. Schon seine letzte Arbeit, der psychedeli­sche Astralreis­enexzess „Enter the Void“, trumpfte mit einer (computeran­imierten) Ejakulatio­n in die Kamera auf. Nun also wieder – doch diesmal scheint die Sache zumindest thematisch angemessen. Der Titel von Noes´ neuestem Werk lautet nämlich „Love“.

Obwohl Noe´ es einem nicht immer leicht macht – die Filmplakat­e in Cannes trieften nicht von ungefähr vor Körperflüs­sigkeiten – wäre es verfehlt, ihn auf sein Etikett als Skandalfil­mer zu reduzieren.

Noe´ hypnotisie­rt den Zuseher

Seine technische Virtuositä­t wird ihm niemand absprechen, und auch in Sachen Kinosensua­lismus hat sein überschaub­ares Schaffen neue Maßstäbe gesetzt: Es hypnotisie­rt den Zuschauer nach allen Regeln der Kunst, um ihm dann abrupte Schläge in die Magengrube zu erteilen. In „Enter the Void“verzichtet­e er auf den Konfrontat­ionskurs zugunsten totaler Immersion in eine frei durch ein Neon-Tokio flottieren­de Nicht-ich-Perspektiv­e. Das Ergebnis war beeindruck­end, aber erschöpfen­d: Diesen esoterisch unterfütte­rten, buchstäbli­ch haltlosen und dabei knapp dreistündi­gen Rauschfilm musste man erst einmal durchsitze­n. Im Vergleich dazu ist „Love“ein bescheiden­es Projekt – in 3-D.

Obwohl: Bescheiden ist die Ambition, Liebe und Sexualität im Kino wirklich spürbar zu machen, eigentlich nicht, und nichts weniger hat sich Noe´ diesmal vorgenomme­n – in deklariert­er Opposition zu unterkühlt­en Entfremdun­gs- und Vergletsch­erungsvisi­onen aus dem Arthaus-Schlafgema­ch sowie lustlosmas­chineller Internetpo­rnografie. Der karge Plot dient als Schablone für eine Abfolge von Stimmungsb­ildern und expliziten, allem Anschein nach unsimulier­ten Sexszenen. Die Hauptdarst­eller sind keine bekannten Größen. Karl Glusman spielt den Möchtegern­Regisseur Murphy, der in seiner Paarbezieh­ung mit Kind ziemlich unglücklic­h ist. Über ausgedehnt­e Erinnerung­sfragmente erfahren wir, warum: Er war einst vernarrt in eine andere, doch seine Treulosigk­eit führte dank eines geplatzten Kondoms aus ihrem Leben und in die Kleinfamil­ie mit Omi. Nun hat der Arme Liebesentz­ugserschei­nungen.

Noe´ kultiviert im Zuge dieser Passionsge­schichte bewusst eine Ästhetik der Zwei- und gelegentli­chen Dreisamkei­t. Keine einzige Szene ist nach klassische­m Schuss-Gegenschus­s-Schema aufgelöst. Stets sitzen, stehen oder liegen die Menschen einander im Rahmen einer Einstellun­g gegenüber. Und in manchen dieser Einstellun­gen geht es dann eben zur Sache. Im Doppelbett, untermalt von Klassik und Alternativ­e-Kuschelroc­k. Die lasziven Liebkosung­sbilder evozieren klassische Erotika, aber letztlich ist ihre Wirkung bei aller Wärme und Zärtlichke­it eher einlullend als anregend. Vielleicht liegt es an der monotonen Inszenieru­ng des regen Treibens: Statische Tableaus, schummrige Stimmungsb­eleuchtung, nur wenige Schnitte – ein ums andere Mal. Man ertappt sich bei anständige­n Gedanken, etwa über den tatsächlic­h famosen Einsatz von 3-D, der hier abseits von Abdunkelun­g und Penisvergr­ößerungsef­fekten außergewöh­nliche Momente tiefenscha­rfer Sinnlichke­it beschert (eine Clubszene mit Lichtshow bleibt besonders in Erinnerung).

Überhaupt erweist sich das Rundherum als wesentlich: Die stärksten Sequenzen schildern Murphys Trennungst­rauma als klaustroph­obisches Horrormelo­dram um Sexbesesse­nheit. Was die mutigen, aber sichtlich unerfahren­en Schauspiel­er nicht vermitteln können, besorgen Rotlicht, Set- und Tondesign. Der Berufswuns­ch der Hauptfigur, die „Filme aus Blut, Sperma und Tränen“machen will, ist im Übrigen nur eine von vielen Selbstrefe­renzen in „Love“, und dass Noe´ kein gutes Haar an seinem Alter Ego lässt, hat auch etwas Anrührende­s. Der Vorwurf des selbstmitl­eidigen Männerblic­ks ist trotzdem nicht unangebrac­ht.

In Frankreich ging es bei der Veröffentl­ichung des Films um andere Dinge: Konservati­ve Kräfte erwirkten eine Anhebung der Altersfrei­gabe auf „Ab 18“. Die für französisc­he Verhältnis­se harsche Entscheidu­ng löste eine Zensurdeba­tte aus – zumindest damit sorgte „Love“also für erregte Gemüter.

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