Straffrei durch unkorrekte Zeichen?
Straßenverkehr. Weil einem Tempolimit Zusatztafeln über die Streckenlänge fehlten, bleibt ein Raser ungeschoren. Bei einem Überholverbot war aber ein wohlmeinender Richter doch zu pitzlig.
Wien. Wer wegen Missachtung eines Verkehrszeichens bestraft wird, hat gute Chancen, am Ende ungeschoren davonzukommen. Das zeigt der Fall eines Motorradfahrers, der in Imst (Tirol) auf einer Straße, auf der 30 km/h erlaubt waren, mit 71 km/h erwischt wurde. Wie sich im Nachhinein herausstellte, waren die 30er-Tafeln unvollständig, sodass der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) die Strafe aufhob. In einem weiteren aktuellen Fall stellte sich aber heraus: Man kann es mit dem Studium der Verkehrszeichen auch übertreiben.
IFall 1: Tempolimit. Geschwindigkeitsbeschränkungen sind formal Verordnungen. Sie sind mit entsprechenden Tafeln kundzumachen und werden erst dadurch wirksam. Der VwGH nimmt die Kundmachung sehr genau: Steht ein Verkehrszeichen fünf Meter vor oder hinter der Stelle, an der es laut Verordnung stehen sollte, „kann von einer gesetzmäßigen Kundmachung keine Rede sein“, entschied er nicht erst einmal. Anwälte, die mit Verkehrsdelikten befasst sind, sehen sich deshalb gern auf der zuständigen Bezirkshauptmannschaft den Verordnungsakt an, auf dem ein Verkehrszeichen beruht.
So wurde auch der Vertreter jenes Motorradfahrers fündig, der in Imst auf der Hahntennjochstraße viel zu schnell fuhr. Während „30“korrekt auf den Beginn-, Wiederholungs- und Endezeichen stand, fehlte eine Zusatztafel, die hätte angeben sollen, für welche Streckenlänge das Limit galt. Diese Angabe ist (nach § 51 Abs 1 StVO) Pflicht, wenn eine Beschränkung – wie im Imster Fall – über eine längere Strecke als einen Kilometer gelten soll und wenn es die Verkehrssicherheit erfordert.
Über dieses Erfordernis hätte man vielleicht diskutieren können, waren doch laut Bezirkshauptmannschaft an den Anfängen des Tempo-30-Bereichs und bei allen Einmündungen 30er-Tafeln angebracht. Allerdings stand in der Ver- ordnung derselben Behörde ausdrücklich, dass an allen Vorschriftsund Wiederholungszeichen Zusatztafeln über die Streckenlänge anzubringen waren. Für den VwGH erübrigte sich damit die Frage, ob die Verkehrssicherheit die Tafeln gebot; er hob die zuerst mit 340 Euro festgesetzte und vom Unabhängigen Verwaltungssenat auf 250 Euro reduzierte Strafe auf (2013/02/0014).
IFall 2: Überholverbot. Alles bisher Gesagte gilt auch für Überholverbote. In einem Salzburger Fall lag es allerdings an einem Mitglied des UVS (nun: Verwaltungsgericht) Salzburg, das Thema der Korrektheit von Verkehrszeichen um eine neue Facette zu bereichern. Es ging um einen Fahrer, der an verbotener Stelle überholt hatte. Ohne dass der Mann sich selbst darauf berufen hätte, beanstandete das wohlmeinende – vielleicht auch um eine elegante Erledigung bemühte – UVS-Mitglied die Form der Piktogramme auf den Verkehrszeichen.
Die Autos sehen nämlich in den gesetzlichen Vorgaben leicht unterschiedlich aus, je nachdem, wann sie in die Straßenverkehrsordnung gekommen sind (siehe die nebenstehende Illustration): Beim generellen Überholverbot, das schon in der StVO 1960 zu finden ist, sind die Autos mit einer runden Karosserie dargestellt; beim Überholverbot speziell für Lkw, das mit der 6. StVO-Novelle am 1. Jänner 1977 eingefügt wurde; hat der Pkw eine eckige Form.
Weil am Salzburger Tatort das generelle Überholverbot aber mit eckigen Autos angezeigt wurde, ortete der UVS eine nicht ordnungsgemäße Kundmachung: Ließe man diese Ungenauigkeit durchgehen, hätte bald jeder Fahrer im Einzelfall zu entscheiden, ob ein Schild noch der StVO entspreche oder nicht. Der mutmaßliche Verkehrssünder musste laut UVS nicht zahlen. Darauf ließ sich der VwGH aber nicht ein: Nichts deute darauf hin, dass die Tafel nicht leicht und rechtzeitig als Überholverbot erkannt werden konnte (Ro 2015/02/0022). Dieser Fahrer muss also doch zahlen.